6919428-1981_39_09.jpg
Digital In Arbeit

Der Taubenfreund

19451960198020002020

Die erste Erzählung von Peter Ebner ist 1980 in der FURCHE erschienen. Der 49jährige Autor ist gebürtiger Wiener, lebte längere Zeit in England und Griechenland und istals Lehrer tätig. Er legt im nächsten Jahr im Verlag Styria seinen ersten Roman ,,Die Erfolgreiche" vor.

19451960198020002020

Die erste Erzählung von Peter Ebner ist 1980 in der FURCHE erschienen. Der 49jährige Autor ist gebürtiger Wiener, lebte längere Zeit in England und Griechenland und istals Lehrer tätig. Er legt im nächsten Jahr im Verlag Styria seinen ersten Roman ,,Die Erfolgreiche" vor.

Werbung
Werbung
Werbung

Mehlmann ist Pensionist. Er lebt von der Rente, die ihm der Staat bezahlt Das ist ein recht ansehnlicher Betrag, der am Ende jeden Monats auf sein Konto überwiesen wird. Früher, vor einigen Jahren, da war er Chefredakteur der größten Wochenzeitung des Landes. Damals hat er „Unsere Zeit" herausgegeben. Er war ein bekannter Maim. Aber die Umstände im Staatswesen haben sich geändert. Das ist nun auch schon über acht Jahre her.

Schnell und tiefgreifend haben sich die Verhältnisse geändert. „Unsere Zeit" ist bald nicht mehr erschienen. Die Polizei hat vor einigen Jahren zu nächtlicher Stunde die Büroräume versiegelt. Sie durften nicht mehr betreten werden. So einfach war die Einstellung des Blattes gewesen. Jetzt duldet das neue Regime nur eine Tageszeitung. Das ist die Staats-zeitvmg. Sonst gibt es nichts; keine Wochenmagazine imd auch lücht monatlich erscheinende Journale.

Mejilmann stand damals als einer der ersten auf den Blättern, die heute noch in der Mapi>e mit der Aufschrift „UnverläßHch" liegen. Aber Märtyrer wollte das

neue Regime nicht haben. Mehlmann wurde in den Ruhestand versetzt. Die neuen Machthaber zahlen ihm seither eine gute Rente. Er bekommt mehr als doppelt soviel wie die einfachen Leute. Dafür hat er Arbeits- und Schreibverbot. Ein bedeutender Maim ist so von der Bühne des öffentlichen Lebens verschwunden. Mehlmaim durfte damals seine Wohnung behalten. Das ist eine große Wohnung. Trotzdem hat das neue Regime geduldet, daß er büeb.

Was das Schreiben betrifft? Natürlich schreibt Mehlmaim heute noch, aber er tut es streng geheim. Er sdireibt Tagebücher. In einem befaßt er sich mit seinem Privatleben, im anderen mit den Vorgängen im Staatswesen. Er schreibt noch Erzählungen, Romane, Gedichte. All das tut er im verborgenen.

Um sicher zu sein, daß bei Kontrollen seiner Wohnung nichts gefunden wird, bewahrt er die Manuskripte, Hefte, Blätter und Zettel hinter der doppelten Wand eines Kleiderschrankes auf. Dieses Versteck wird so bald kein Polizist entdecken, meint er. Aber nur noch kiu-ze Zeit, dann wird dieser Rauni vollgestopft sein mit Papier. Was dann? Kommt Zeit, kommt Rat, denkt Mehlmann, und schreibt weiter.

Nach dem Frühstück und vordem Abendessen macht Mehlmann längere Spaziergänge durch die Straßen des Stadtzentrums bis zum großen Park. Dabei geht er langsam. Er beobachtet die Menschen, die Fahrzeuge, die Häuser, die Vögel, die Bäume und Büsche und Blumen. Jahre hindurch spaziert er nun schon zwei Mal tä^ch zum Park und zurück.

Eines Tages merkte er, daß in seinem Inneren langsam eine Veränderung vor sich gegangen ist Erstaunt stellte er damals fest daß er begonnen hatte, etwas zu tun, das er vorher nie getan hatte. Mehlmann hat plötzlich begonnen, die Vögel zu Heben. Er tut es jetzt noch. Er Hebt die Vögel in den Straßen und im Park. Er liebt die Sperlinge, die Amseln und Finken, und alle selteneren Vögel dazu.

Seit jenen Tagen des Bewußtwerdens seiner Veränderung hält er in seiner Wohnung ein kleines Lager an Weizenkömem, an Mais, Hafer und perste. Es ist schwierig für ihn, dieses Lager immer wieder zu füllen. Manchmal fährt er sogar zu einem Bauer aufs Land; zu einem Bekannten aus seiner Jugendzeit Dort holt er den Weizen und die anderen Körner. In der Stadt ist es ungemein schwierig, diese Dinge zu erwerben.

Geht Mehlmann zum Park, dann hat er drei Stoff säckchen bei sich. Eines trägt er in der Hand, die anderen zwei sind in den Taschen seines Mantels verborgen. Natürlich ist es verboten, die knappen Nahrungsmittel an Vögel zu verfüttern. Mit größter Vorsicht streut Mehlmann im Peirk seine Weizenkömer, den Mais, den Hafer und die Gerste.

Er ist schon geübt im Abwarten. Jetzt! Keiner der Passanten ist Mehlmann zugewandt Blitzschnell greift er in eines der Säckchen und streut eine Handvoll Kömer. Er geht weiter. Nach einer Weile kehrt er um und sieht wie sich die Vögel um das Futter scharen. Einige Sekunden schaut er zu, um anschließend seinen Spaziergang fortzusetzen.

Wie an jedem Tag der vergangenen Jahre ist Mehlmann auch heute am frühen Vormittag am Weg zum Park. Eben überquert er den Hauptplatz der Stadt Dort gibt es genau in der Mitte eine winzige Grünanlage. Mehlmann geht hinüber und verweilt einen Augenblick lang. Er blickt prüfend um sich. Blitzschnell greift er dann in das Säckchen, das er in seiner rechten Manteltasche verborgen hält Er streut eine Handvoll Maiskörner.

Sofort danach bleibt er bewegungslos stehen. Er ist zutiefst erschrocken. Er sieht einen Mann auf sich zukommen. Ich Idiot denkt er. Den habe ich übersehen. Der lehnte dort gegen jenen Baumstamm. Das Braun seines Anzuges ist dasselbe wie das der Baumrinde.

Sie streuen Futter, sagt der Mann, als er Mehlmann erreicht Sein Tonfall ist nicht unfreundlich, nur etwas verwundert Gott sei Dank, sagt sich Mehlmann. Der ist offensichtlich kein Agent und auch kein Polizist in Zivil. Jetzt schüttelt der Mensch den Kopf und wiederholt diesmal mit fragender Stimme: Sie streuen Futter? Hier? Wozu? Schon seit langer Zeit gibt es keine Tauben am Hauptplatz. Die sind längst tot. Das Amt für Volksgesundheit hat veranlaßt, daß die zu vergiften sind. Sie streuen umsonst

Mehlmann blickt nun seinem Gesprächspartner in die Augen; vielleicht zehn Sekunden lang. Während dieser Zeit faßt er Vertrauen zu ihm und sagt: Ich kenne Sie nicht Aber ich meine, Sie werden mich verstehen. Irgendwo muß es doch noch Tauben geben. Nicht wahr? Vielleicht wohnen sie in den Wäldern und bei den Felsen der Berge? Eines Tages wird eine wiederkommen, dann eine zweite. Die werden die Kömer finden und bleiben.

Ich werde glücklich sein an jenem Tag. Vielleicht wird das Amt für Volksgesundheit nicht mehr einschreiten. Dann werden die Tauben bleiben können. Sehen Sie, setzt Mehlmann ein wenig später fort Ich liebe Tauben. Sie gehen auf der Erde herum wie wir. Aber sie fliegen auch. Sie sind sanft Sie sind treu. Tauben lieben ihre Heimat Man kann sie in ferne Länder bringen. Setzt man sie frei, so fliegen sie ins Land ihrer Jugend zurück. Schnell. Sie nehmen den kürzesten Weg.

Ich könnte Sie der Polizei übergeben, sagt der Mann im braunen Anzug. Sie werden es nicht tun, antwortet Mehlmann. Nein, ich werde es nicht tun, sagt der Fremde. Er nickt Mehlmann zu und sagt noch: Viel Glück! Dann geht er weiter. Am Gehsteig gegenüber wendet er sich nochmals Mehlmann zu und lächelt. Einen Augenblick später ist er in einer der Seitengassen verschwunden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung