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Die Biologie nach dem Sündenfall..

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In der Frage „Künstliche Befruchtung“ hüllt sich der Gesetzgeber nach wie vor in Schweigen. Die Dringlichkeit einer Regelung unterstreichen einmal mehr zwei Beiträge von betroffenen Experten.

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In der Frage „Künstliche Befruchtung“ hüllt sich der Gesetzgeber nach wie vor in Schweigen. Die Dringlichkeit einer Regelung unterstreichen einmal mehr zwei Beiträge von betroffenen Experten.

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Der Sündenfall und somit die Vertreibung aus dem Paradies der unschuldigen angewandten Wissenschaften hat schon 1911 im Staate New York mit der Gründung eines rassenhygienischen Amtes stattgefunden. Schon am 12. Juli 1911 beschloß die staatliche Wohltätigkeitsbehörde in ihrer Vierteljahressitzung die Gründung eines Untersuchungsamtes mit besonderer Berücksichtigung der Rassenhygiene.

Die Aufgaben dieses Amtes sind die folgenden: „Jedes menschliche Wesen hat ein Recht,

.wohlgeboren' zu sein, mit anderen Worten, einen gesunden Verstand in einem gesunden Körper zu erben...“

Das war der Beginn jener Periode in den Vereinigten Staaten, in der bis zum 1. Jänner 1939 nach den Publikationen der „Human Betterment Foundation“ 30.690 Unfruchtbarmachungen an sogenannten Asozialen und Erbkranken vorgenommen wurden. Viele europäische Länder folgten dem amerikanischen Beispiel, so etwa die Schweiz oder Skandinavien.

Die weltweite Ideologie jener Zeit lag also in der Uberzeugung, daß „Minderwertige“ aus dem Reproduktionsprozeß eliminiert werden müßten, um den Nachkommen das Recht auf „Wohlge-boren-Sein“ zu garantieren.

Dieses zunächst nur gesellschaftlich geforderte Recht wurde recht bald in vielen Ländern zum legistisch realisierten Rechtsgut, wobei hier festgehalten werden muß, daß erst im nationalsozialistischen Deutschland das Sterilisationsgesetz mit einer bis dahin nicht gekannten Konsequenz exekutiert wurde.

Festzuhalten ist aber auch, daß — nicht nur im NS-Staat — viele Menschen, wahrscheinlich die überwiegende Mehrheit (!) von den gesellschaftspolitisch-biologischen Notwendigkeiten solcher gesetzlicher Maßnahmen tatsächlich überzeugt waren und der Gesetzgeber somit nur „Volkes Stimme“ realisierte.

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, daß es freilich Wissenschafter und Politiker gab, die sich massiv gegen die Sterilisation aussprachen (die aber nicht gehört wurden).

Die Geschichte der Sterilisation ist somit auch eine Geschichte der Ideenrezeption, in der in Abhängigkeit von wirtschaftlichen, politischen und einer kaum zu überblickenden Zahl weiterer Faktoren Unrecht zu Recht wurde — und das mit der notwendigen Uberzeugungskraft durch unsachliche, unwissenschaftliche und einseitige Information.

In welcher Situation aber stehen wir heute? Mit Ehrfurcht und Respekt hat man der Uberzeugung des Moraltheologen Andreas Laun zu begegnen, der schreibt: „Sieht man von der gesellschaftlichen Situation ab und fragt nur, was allein unter dem Gesichtspunkt der sittlichen Wahrheit zur in-vitro-Fertilisa-tion aus der Sicht der katholischen Moraltheologie zu sagen ist, lautet die Antwort: Ohne die großen ethischen Unterschiede zu verkennen, die sich aus den jeweils verschiedenen Zielsetzungen ergeben, aufgrund derer die in-vitro-Fertilisation angewandt wird, muß die katholische Moraltheologie die in-vitro-Fertilisation ablehnen“ (in „Künstliche Befruchtung — Versuch einer Standortbestimmung in medizinischer, strafrechtlicher und moraltheologischer Sicht“, Wien 1985). .

Aber: Ehrfurcht und Respekt wird man wohl auch vor Menschen haben müssen, die über die Medien informiert wurden, daß verschiedene Techniken der künstlichen Befruchtung durch den wissenschaftlichen Fortschritt in den gynäkologischen Ambulanzen fast schon Routinemethoden wurden und nun all ihre Hoffnungen in jene Ärzte setzen, die ihnen ihren innigsten Wunsch erfüllen könnten.

Wer aber ist nun jene oberste moralische Instanz, die sich für oder gegen die Ermöglichung von Nachkommenschaft im Falle männlicher oder weiblicher Infertilität ausspricht? Wer kann sich nun tatsächlich — zu Recht oder auch zu Unrecht — anmaßen, trotz des Vorhandenseins der neuen, zumeist erfolgversprechenden Technologie unter Berufung auf höhere Werte den Verzicht auf Nachkommen auszusprechen und zu verordnen?

Freilich soll auch hier festgehalten werden, daß der Begriff „Verzicht“ in unserer Gesellschaft von Kindestagen an ja gar nicht gelehrt wird und deshalb für viele weder verständlich noch akzeptabel sein kann.

Wie ist es aber um die psychische Situation von Menschen bestellt, die keine Kinder bekommen können und deren Herzenswunsch es ist, Kinder zu haben? Menschen, die jahrelang vergeblich darauf gewartet haben, daß man ihnen ein Kind zur, Adoption freigibt?

Zur Zeit ist trotz aller Einwände die sogenannte „künstliche Befruchtung“ oft der einzige Weg, um kinderlosen Partnern zu Kindern zu verhelfen.

Wissenschaftlicher Fortschritt läßt sich nicht aufhalten; dies konzidiert auch der Moraltheologe Laun: „Es gibt die in-vitro-Fertilisation, und kein Appell wird sie zum Verschwinden bringen. Keines der Laboratorien, die heute in-vitro-Fertilisation praktizieren, wird seine Arbeit einstellen. Im Gegenteil, staatliche Gelder werden vermehrt in diese Forschung fließen, und neue Siegesmeldungen der Wissenschaft, die das Leben mehr und mehr ,in den Griff bekommt, stehen bevor.“

Diesem Realismus muß aber auch eine realistische Einstellung der Gesellschaft gegenüberstehen. Ständige, aktive, permanent ihre Stimme erhebende Ethik-Kommissionen müssen über den universitären Bereich hinaus wirksam werden, um jeden auch nur denkbaren Mißbrauch zu verhindern. /

Pädagogische Strategien müssen erarbeitet und im Sinne einer neuen Form des „Lebens- und Partnerschaftshygiene-Unterrichtes“ an den Schulen weitergegeben werden.

Die Lösung des „Problems künstliche Befruchtung“ wird kurzfristig rechtlich und politisch mehr oder weniger effizient gelöst sein. Nur: Kurzfristige Lösungen und daraus resultierende kurzfristige politische Zufriedenheit werden nur aufschiebende Wirkung zeitigen können.

So wichtig für die Betroffenen heute auch die Aufgabe der Regierung ist, den weitgehenden rechtsleereri Raum durch adäquate Rechtssicherheit zu ersetzen — so unabdingbar ist aber auch die Forderung, langfristige soziale Strukturen mit Einstellungen zu entwickeln, die nicht mehr alles als machbar ansehen. y

Der Autor ist Universitätsprofessor am Institut für Humanbiologie der Universität Wien.

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