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Die präsidentenlose/die schreckliche Zeit

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Nach jedem Regierungswechsel in Washington gleichen die Wochen, die auf die Wahl folgen, einem echten Interregnum. Jegliche Regierungstätigkeit unterbleibt, die Verlierer packen ihre Koffer, die Sieger sind noch nicht ernannt. Die Medien haben Hochsaison, und ihren Spekulationen stehen Tür und Tor offen.

Amerika ist ein von Politikern geführtes Land, so daß Revirements, wie sie jetzt bevorstehen, viel tiefer einschneiden als in Europa. In Frankreich führte etwa die Bürokratie das Land, während Kabinette kamen und gingen. Die amerikanischen Politiker kommen aber aus den verschiedensten Sparten des Berufslebens, sie sind Anwälte oder Unternehmer, Gewerkschaftsführer oder Universitätsprofessoren, und wenn ihr Kandidat oder ihre Partei unterüegen, treten sie von der Bühne des Geschehens wieder ab und kehren zu ihren Berufen zurück.

Ist man, was die Personalpolitik betrifft, auf bloße Spekulation angewiesen, so kann man, was die allgemeine politische Richtung betrifft, wenigstens auf die Probleme zurückgreifen, mit denen sich Carter sogleich nach Amtsantritt konfrontiert sehen wird. Sie sind vor allem ökonomischer und außenpolitischer Natur. Sogleich nach Carters Wahlsieg setzte eine massive Baisse in Wallstreet ein, die mehr als Worte andeutete, daß die Wirtschaft gegenüber Carter tiefes Mißtrauen empfindet. Man befürchtet massives „spending“, um die Stagnation zu überwinden und die Arbeitslosigkeit herabzudrücken, was nur um den Preis einer hohen Inflationsrate erkauft werden kann. Daß auch das Ausland ähnliche Befürchtungen hegt, beweist das hektische Ansteigen des Goldpreises.- Carter und sein ökonomisches Team glauben, so wird versichert, daß derzeit noch keine Gefahr einer höheren Inflation gegeben sei, weil die Industrie noch weit unter ihrer Kapazität arbeite. Die Auswirkungen dessen, was jetzt beschlossen wird, werden zwar erst in einem oder zwei Jahren zu fühlen sein, aber jetzt schon vorweggenommen. Wir leben ja in einer Periode des Spätkapitalismus, in der alles mit größter Skepsis aufgenommen wird und Investitionsentscheidungen von heute ihre Auswirkungen auf die unmittelbare, aber auch auf die weitere Zukunft haben. Carters erstes Anliegen ist es daher, Vertrauen zu wecken, das herrschende Klima der Zweifel Und des Pessimismus zu verbessern, damit die Unternehmer risikofreudiger und optimistischer werden. Er wird daher wohl einen betont Konservativen in das Finanzressort berufen und auch die anderen ökonomischen Bereiche mit erprobten Wirtschaftsführern besetzen. Das ist jedenfalls eine Art von Konsens, der sich unter jenen entwik-kelt hat, die von Berufs wegen die Zukunft voraussagen. Als weiteren Schritt wird Carter wohl eine Steuererleichterung anstreben, was ihm schon deshalb politisch leichter fallen wird, weil auch Präsident Ford so einen Schritt während seiner Wahlkampagne angekündigt hat. Nur, daß Carter mit dieser Maßnahme vor allem jene Wähler belohnen will, die aus niedrigsten Einkommensschichten kommen. Viele von ihnen zahlen überhaupt keine Steuer, da sie weniger als das Minimum verdienen. Ihnen allen soll nun auch ein Nachlaß der Sozialversicherungsbeiträge gewährt werden.

Wie sich Carter gegen die Inflation wehren will? Der greise Gewerkschaftsführer Meany, der viel zum Sieg Carters beigetragen hat, lehnte kürzlich in einem Interview Lohn- und Preiskontrollen ab. Gegen Richtlinien hätte er allerdings nichts einzuwenden. Nun kennt man in den USA Richtlinien, die vor allem führende Industrieunternehmen einem öffentlichen Preisdruck aussetzen, wie es Kennedy beispielsweise gegenüber der Stahlindustrie versucht hat. Eine Wiederholung solcher Bestrebungen würde im heutigen Klima zu einem Börsenkrach größten Ausmaßes und zu einer unkontrollierbaren Rezession führen. Carter, so meint man, wird daher überaus vorsichtig operieren müssen. Vielleicht nimmt er sich Schmidt in der Bundesrepublik zum Vorbild, der auch darauf verzichtet hat, die wieder leicht stagnierende deutsche Wirtschaft mit arbeitsbeschaffenden Injektionen zu stimulieren und den unpopulären, aber organischen Weg Fords gehen will, den Gesundungsprozeß also sich organisch entwickeln läßt. Für Carter ist es freilich schwer, das zu praktizieren, was er an Ford in der Wahlkampagne täglich kritisiert hat. Auch in der Außenpolitik kann Carter nicht leicht neue Wege gehen. Schon hat einer der einflußreichsten Demokraten, Senator Ribicoff aus Connecticut, gefordert, man möge Kissinger als eine Art von Superbot-schafter für den Mittleren Osten beibehalten, da nur er das Vertrauen sowohl der Araber wie der Israelis besitze. Aber weder dürfte Kissinger Lust haben, ein Kommando zu übernehmen, dessen Ausrüstung und Planung über seinem Kopf hinweg durchgeführt wird, noch kann Carter seine Wahlkritik so schnell vergessen machen.

In der Außenpolitik zeichnet sich recht deutlich die rührende Naivität des Carterteams ab. Zunächst einmal möchte man ja das Volk an den Entscheidungen teilnehmen lassen. Wie das vor sich gehen soll? Sehr einfach: durch Enqueten. Dutzende von Persönlichkeiten aller politischen Richtungen sollen ihre Ansicht mitteilen, dann werde man daraus eine Politik bauen. Jeder, der das hörte, traute zunächst seinen Ohren nicht. Man soll aber den frommen Eifer des Carter-Teams nicht unterschätzen. Außenpolitik in Form von Enqueten ist daher, zumindest im Anfang der Carteradministration, nicht so irreal, als es zunächst den Anschein hat.

Die Realitäten werden aber eben nicht nur in Washington, sondern auch in Moskau, Peking, Kairo und Pretoria diktiert, und dort wird man sich recht wenig um das Ergebnis von Enqueten kümmern.

Was den Mittleren Osten betrifft, so gibt die Wahl Carters etwas Spielraum. Man will Carter Zeit zur Formulierung seiner Politik geben. Hätte Ford gesiegt, so würden die Araber längst schon einen Termin für die Genfer Konferenz gefordert haben.

Das Verhältnis zur Sowjetunion wird davon abhängen, was man in den USA für den Wehretat auszugeben bereit ist. Plant man Kürzungen, wie in der Wahlkampagne angekündigt, wird es wohl eher mehr als weniger Detente geben.

Ebenso neu im Amt wie die Regierung Carter ist das Pekinger Regime des Vorsitzenden Hua. Ouvertüren einer Annäherung zwischen Peking und Moskau sind nicht zu überhören. Inwieweit das einen leisen Tendenzumschwung einleitet oder nur einen Versuch Pekings darstellt, Druck auf Washington in Richtung auf eine Preisgabe Formosas auszuüben, wird die Zukunft weisen.

Was Rhodesien und Südafrika betrifft, so lassen sich beunruhigende Stimmen vernehmen, die auf eine Unterstützung der schwarzen Guerilleros in Südafrika drängen., Es ist noch viel zu früh, hier eine neue Regierungspolitik zu wittern, ein Tendenzwandel dieser Art würde nämlich auch schwere innenpolitische Auseinandersetzungen hervorrufen.

Die Aufzählung dieser an außenpolitischen Brennpunkten sich massierenden Probleme zeigt aber, daß es einer auf die eigenen materiellen und idealen Kräfte abgestimmten, wohldurchdachten Außenpolitik bedarf, die vermutlich von jener Kissingers nicht wesentlich abweichen wird, kaum aber einer Außenpolitik in Form von Enqueten ...

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