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Die Schule ist nicht der einzige Weg zur Bildung

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Die FURCHE berichtete in Nummer 6 über die Konzepte des Berufs-bildungsförderungsinstituts zur Umgestaltung des Polytechnischen Jahres zu einem Berufsschuljahr und die daraus sich ergebenden Folgerungen für die Lehrlingsausbildung. Hierzu nimmt hier nun der Leiter der Bildungspolitischen Abteilung der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft Stellung.

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Die FURCHE berichtete in Nummer 6 über die Konzepte des Berufs-bildungsförderungsinstituts zur Umgestaltung des Polytechnischen Jahres zu einem Berufsschuljahr und die daraus sich ergebenden Folgerungen für die Lehrlingsausbildung. Hierzu nimmt hier nun der Leiter der Bildungspolitischen Abteilung der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft Stellung.

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Bildungsprogramme leiden oftmals ebenso wie bildungspolitische Diskussionen daran, daß in ihnen Bildung mit Schulbildung gleichgesetzt wird und sich jede Reform im Bildungswesen daher rasch auf eine Schulreform reduziert. Die große Gruppe der Lehrer, die sich naturgemäß besonders intensiv unter diesem Aspekt mit Bildungsfragen beschäftigt, hat daran großes Interesse und stellt auch eine für die politischen Parteien nicht zu übersehende Wählergruppe dar. In Bildungsprogrammen und -programmentwürfen der verschiedenen politischen Gruppierungen läßt sich das etwa am (geringen) Stellenwert, der der Erwachsenenbildung oder der Lehrlingsbildung eingeräumt wird, recht deutlich nachweisen.

Daher sind die Stimmen, die darauf hinweisen, daß Bildung mehr als Schulbildung ist und daß es vor allem auch andere Wege zur Bildung als die Schule gibt, nur vereinzelt zu hören. Die Wirtschaft als Träger und Förderer der Lehrlingsausbildung hat die undankbare Aufgabe, immer wieder auf andere Formen von Bildung hinzuweisen und hier einer schweigenden Mehrheit von Jugendlichen Gehör zu verschaffen. Denn diese Jugendlichen - und das müsssen auch scharfe Kritiker unseres dualen Systems der Lehrlingsausbildung zugeben - sind mit der Lehrlingsausbildung zufrieden, jedenfalls zufriedener als viele Schüler mit der Schule!

Immer wieder gehen insbesondere Akademiker, die die bildungspolitische Diskussion klarerweise dominieren, von der Annahme aus, jeder andere habe die gleichen Interessen („Allgemeinbildung“) oder die gleichen Lerngewohnheiten („von der Theorie zur Praxis“) wie sie. Das stimmt aber nicht! Ein großer Teil unserer Mitbürger, und hier eben auch der Jugend, sind praxisorientierte Lerntypen. Ihnen kann man mit intel-lektualisierter Bildung kaum etwas beibringen, für sie ist „Lernen in der Praxis und durch die Praxis“ (Lear-ning by doing) ebenso wie das Erfassen theoretischer Zusammenhänge aus praktischer Erfahrung heraus viel adäquater als die in der Schule praktizierten gegenteiligen Methoden.

Für solche praxisorientierte Lerntypen gibt es die Lehrlingsausbildung. Bei ihr dominiert der Betrieb und seine Art praktischer Ausbildung;hier steht theoretische Unterweisung hinter praktischer Unterweisung zurück und ist nur Ergänzung dieser Ausbildung. Daher spielt auch die Schule nur eine nachgeordnete, wenn auch wichtige Rolle, was von der Mehrzahl der schulmüden Jugendlichen auch durchaus begrüßt wird! Die undifferenzierte Forderung nach einem zweiten Berufsschultag stammt ja auch nicht von den unmittelbar Betroffenen, sondern von jenen, die glauben, deren Interessen wahren zu müssen und letztlich auch vor einer „Zwangsbeglückung“ dieser Jugend nicht zurückzuschrecken. Wenn man sich aber vor Augen hält, daß ein großer Prozentsatz der Lehrlinge in der Schule das Schulziel nicht erreicht hat (rund 40 Prozent haben einmal repetiert und daher nicht den ganzen Lehrstoff der neun Pflichtschuljahre vermittelt erhalten!) und mit schulischen Methoden nicht auszubilden war, vom Betrieb aber zur tüchtigen Fachkraft herangebildet wird, sieht man bei objektiver Betrachtungsweise schon recht deutlich, daß bei diesem Adressatenkreis schulische Methoden versagen müssen.

Für einen großen Teil unserer Jugend - in Österreich immerhin etwa die Hälfte eines Jahrganges - hat der nichtschulische Bildungsweg seine Berechtigung und seine Meriten. Mehr Berufsschule kann daher nur dort von Nutzen sein, wo sich eine solche Forderung aus dem Beruf selbst heraus zwingend ergibt; übrigens sind das viel weniger Berufe, als man landläufig annimmt! Mehr Berufsschulzeit zu fordern, weil man etwa mehr Allgemeinbildung („Politische Bildung“, um nur ein gängiges Beispiel zu nennen) vermitteln möchte, entspricht zwar den Interessen mancher Schulpolitiker, nicht aber unbedingt jenen der Jugend, die in absehbarer Zeit eine hochqualifizierte Fachausbildung absolvieren will. Übrigens würde man bei Rationalisierung und Konzentration der Lernstoffe auf das Wichtigste sowie durch permanentes Ausscheiden veralteter Lernstoffe sehr rasch sehen, daß man für sinnvolle und ins Ausbildungssystem passende Lehrstoffergänzungen auch mit dem heutigen zeitlichen Rahmen von einem Berufsschultag pro Woche (oder 8 Wochen pro Jahr) durchaus das Auslangen findet.

Alles in allem soll hier dafür plädiert werden, nicht immer nur die Schule als „alleinseligmachend“ zu betrachten und sich von ihrer Dominanz im Bildungssystem von vornherein auch bessere Ausbildung zu erwarten. Ebenso wie beim Streit um die Gesamtschule sollte auch hier klar sein, daß organisatorische Änderungen allein bildungsmäßig kaum etwas bringen, sondern daß es auf inhaltliche und methodische Neuerungen ankommt. Nicht „Organisationsspielereien“, nicht Bildungskonzepte, die mit Berufsschultagen herumjonglieren, führen zu einer besseren Ausbildung unserer Jugend, sondern praxisnahe und -orientierte Weiterentwicklung, für die die derzeit in parlamentarischer Beratung stehende Novelle zum Berufsausbildungsgesetz ein gutes-.Bei-spiel bildet.

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