Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Die verzweckte Bildung
In der FURCHE 1/1990 wurde unter dem Titel „Durchlässig und zeitsparend" ein „Schulmodell 2000" zur Reform des österreichischen Schul- und Bildungswesens vorgestellt, dessen Ziele die Anpassung der Schul- und Bildungseinrichtungen an die Bedürfnisse der Wirtschaft, die Durchlässigkeit der Bildungswege und die Chancengleichheit genannt sind.
Das Modell ist rundum den Denkansätzen der Bildungsreformvorschläge des ausgelaufenen Jahrzehnts verpflichtet, die vornehmlich aus der Weltsicht der Ökonomie stammen. Entsprechend den Kriterien, die für erfolgreiches und effizientes Wirtschaften gelten, wird das gesamte Bildungssystem, die darin Tätigen sowie die Ziele, Inhalte und Methoden ihres pädagogischen Wirkens analysiert und bewertet. Abgesehen von dem Faktum, daß die pädagogische Aufgabe nicht allein darin bestehen kann, junge Menschen auf berufliche Anforderungen hin zu trainieren, sondern Menschen- und Bürgerbildung auf allen Stufen des Bildungswesens die zentrale pädagogische Aufgabe darstellen, ist die Position der Universität in diesem Modell sehr mechanistisch verankert. Dieser Aspekt des Reformvorschlages soll hier näher besprochen werden.
Sinn und Mitte des universitären Tuns ist der suchende und zweifelnde Mensch, der, eingebunden in die Kontinuität und in den Zusammenhang des internationalen Kommunikationsprozesses der Wissenschaft, Fragen formuliert und - unter Verwendung spezifischer Methoden - Antworten auf diese Fragen sucht. Der methodisch Suchende, den wir heute als Forscher bezeichnen, vollbringt eine geistige Leistung und schafft einen erheblichen Teil der Einsichten und des Wissens, auf dem unser Weltverständnis aufbaut.
Der offene Prozeß des Wissenschaffens ist nicht einfach als eine Arbeit wie jede andere zu qualifizieren. Er umschließt oft Jahre der ergebnislosen Mühen, der Irrwege und Fehler und stößt immer wieder an die Grenzen dessen, was der Mensch mittels der Rationalität an und in dieser Welt überhaupt er-, kennen kann. Die zentrale hochschulpädagogi-scrft? Aufgabe für den Forscher und Hochschullehrer besteht nun darin, den Studierenden an den Prozeß des Wissenschaffens heranzuführen, ihn zu lehren, sachlich, also ohne persönliche emotionale Beteiligung und mit intellektueller Redlichkeit, das heißt unter Berücksichtigung aller möglichen Gesichtspunkte und Fakten, ausgehend von bestehenden Wissensstand Fragen formulieren zu lernen und mittels dem j eder Wissenschaft eigenen methodischen Instrumentarium auf diese Fragen Antworten zu finden.
Das Teilhaben an der Wissenschaft, ja die Wissenschaft selbst ist ein Mittel zur Bildung des Menschen. Die Teilnahme am Prozeß des Wissenschaffens lehrt ihn diszipliniert zu denken, verantwortlich zu handeln; sie lehrt ihn intellektuelle Redlichkeit und kritische Distanziertheit zu üben, Argumente sachlich abzuwägen und durch methodisches Vorgehen zu begründeten Urteilen zu gelangen. Dies sind die Pfeiler der Qualität akademischer Bildung und sie sollen den Absolventen der Universität zu einem sinnvollen Vollzug seines Lebens befähigen, seines privaten ebenso wie seines staatsbürgerlichen und seines beruflichen.
Die Kongruenz akademischer Disziplinen mit bestimmten Berufsfeldern gewährleistet darüber hinaus, daß der Studierende in den bestehenden Erkenntnisstand seines künftigen Berufsfeldes, in seine Denk- und Handlungsmuster Einblick gewinnt, die Fähigkeit qualifizierten Fragens erwirbt und die zu ihrer Beantwortung notwendigen Methoden handhaben lernt. Er wird in einer allgemeinen Weise auf den Beruf vorbereitet, nicht aber für spezielle berufliche Erfordernisse ausgebildet. Dieses Leistungssegment der Universitäten trägt die Bezeichnung „wissenschaftliche Berufsvorbildung".
Die hochschulpädagogischen Leistungen der Universitäten sind ohne die Verwurzelung in der Forschung und ohne die Erhaltung der Einheit von Forschung und Lehre nicht denkbar. Nur wer in einem Fachgebiet selbst forscht kann auch die Studierenden an den neuesten Stand der Forschung heranführen. Diese Mitte des universitären Seins, nämlich die unaufhebbare Einheit von Forschung und Lehre, läßt jedoch das „Schulmodell 2000" außer acht und gelangt zu einer Struktur des Bildungssystems, das Teile und Abschnitte des Universitätsstudiums einem sehr zweckgerichteten Ausbildungsablauf zuordnet.
Es mag den Verfassern des Modells konzediert werden, daß der durch übergroße Hörerzahlen geprägte universitäre Alltag in vielen Fächern dazu führt, daß Studierende heute von der Wissenschaft nur mehr marginal gestreift werden. Um diesem substantiellen Defizit, das die akademische Kultur dieses Landes zentral betrifft und zu Mängeln bis weit hinein in die akademischen Berufe führt, abzuhelfen, gibt es, zusätzlich zur zweifelsfreien Klärung der Ziele und Aufgaben universitärer Bildung, zwei Wege. Der erste ist ein forcierter Ausbau der Universitäten, auch mit neuen Standorten, personell mit dem heute verfügbaren Stand an wissenschaftlich Qualifizierten weithin durchführbar, finanziell vermutlich ein größeres Problem. Der zweite Weg ist der, den die Autoren des Modells skizziert haben, nämlich die Ausgliederung berufsbezogener (Kurz-)Studiengänge aus den Universitäten, institutionell am einfachsten vermutlich lösbar durch die Schaffung eines Fachhochschulsystems, das organisatorisch zwischen die. höheren Schulen und die Universitäten eingefügt wird. Diesen Fachhochschulen wäre auch ein erheblicher Teil der rundum ur-gierten Weiterbildungsaufgaben zu übertragen.
Den Universitäten verbliebe die Erstellung weiterführender Bildungsangebote und wissenschaftlicher Weiterbildungsaufgaben nur in jenen Bereichen, in denen es zentral um wissenschaftliche Fragen geht. Die Fachhochschulen wären, wie alle anderen Schulen in diesem Lande, Stätten des Unterrichts, in denen Lehrer feststehende Inhalte vermitteln, die akademische Lehre, definiert als offener Prozeß des Wissen-Schaffens, bliebe Aufgabe der Universitäten.
Die Diskussion um die Entwicklung des österreichischen Bildungssystems, lange geprägt durch gesellschaftspolitische Zielsetzungen, durchläuft gegenwärtig eine ökonomistisch dominierte Phase. Beiden Reformansätzen ist ihre Berechtigung zwar nicht grundsätzlich abzusprechen, in Frage zu stellen ist aber ihre Dominanz gegenüber der humanistischen Mitte jedes pädagogischen Tuns. Ausgangspunkt jeder modernen Bildungsreformdiskussion kann nur die Menschenbildung sein, der Berufsbildung (auch unter ökonomischem Aspekt) und Bürgerbildung (mit ihren gesellschaftspolitischen Implikationen) in jedem Falle nachzuordnen sind.
Der Autor ist Universitätsdozent an der Universität für Bildungswissenschaften, Abteilung für Hochschulpädagogik, in Klagenfurt.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!