7037494-1990_03_04.jpg
Digital In Arbeit

Die verzweckte Bildung

Werbung
Werbung
Werbung

In der FURCHE 1/1990 wurde unter dem Titel „Durchlässig und zeitsparend" ein „Schulmodell 2000" zur Reform des österreichi­schen Schul- und Bildungswesens vorgestellt, dessen Ziele die Anpas­sung der Schul- und Bildungsein­richtungen an die Bedürfnisse der Wirtschaft, die Durchlässigkeit der Bildungswege und die Chancen­gleichheit genannt sind.

Das Modell ist rundum den Denk­ansätzen der Bildungsreformvor­schläge des ausgelaufenen Jahr­zehnts verpflichtet, die vornehm­lich aus der Weltsicht der Ökono­mie stammen. Entsprechend den Kriterien, die für erfolgreiches und effizientes Wirtschaften gelten, wird das gesamte Bildungssystem, die darin Tätigen sowie die Ziele, Inhalte und Methoden ihres päda­gogischen Wirkens analysiert und bewertet. Abgesehen von dem Fak­tum, daß die pädagogische Aufga­be nicht allein darin bestehen kann, junge Menschen auf berufliche Anforderungen hin zu trainieren, sondern Menschen- und Bürgerbil­dung auf allen Stufen des Bildungs­wesens die zentrale pädagogische Aufgabe darstellen, ist die Position der Universität in diesem Modell sehr mechanistisch verankert. Die­ser Aspekt des Reformvorschlages soll hier näher besprochen werden.

Sinn und Mitte des universitären Tuns ist der suchende und zwei­felnde Mensch, der, eingebunden in die Kontinuität und in den Zusam­menhang des internationalen Kommunikationsprozesses der Wissenschaft, Fragen formuliert und - unter Verwendung spezifi­scher Methoden - Antworten auf diese Fragen sucht. Der methodisch Suchende, den wir heute als For­scher bezeichnen, vollbringt eine geistige Leistung und schafft einen erheblichen Teil der Einsichten und des Wissens, auf dem unser Welt­verständnis aufbaut.

Der offene Prozeß des Wissen­schaffens ist nicht einfach als eine Arbeit wie jede andere zu qualifizieren. Er umschließt oft Jahre der ergebnislosen Mühen, der Irrwege und Fehler und stößt immer wieder an die Grenzen dessen, was der Mensch mittels der Rationalität an und in dieser Welt überhaupt er-, kennen kann. Die zentrale hochschulpädagogi-scrft? Aufgabe für den Forscher und Hochschullehrer besteht nun dar­in, den Studierenden an den Prozeß des Wissenschaffens heranzufüh­ren, ihn zu lehren, sachlich, also ohne persönliche emotionale Betei­ligung und mit intellektueller Red­lichkeit, das heißt unter Berück­sichtigung aller möglichen Ge­sichtspunkte und Fakten, ausge­hend von bestehenden Wissens­stand Fragen formulieren zu lernen und mittels dem j eder Wissenschaft eigenen methodischen Instrumen­tarium auf diese Fragen Antworten zu finden.

Das Teilhaben an der Wissen­schaft, ja die Wissenschaft selbst ist ein Mittel zur Bildung des Men­schen. Die Teilnahme am Prozeß des Wissenschaffens lehrt ihn dis­zipliniert zu denken, verantwort­lich zu handeln; sie lehrt ihn intel­lektuelle Redlichkeit und kritische Distanziertheit zu üben, Argumen­te sachlich abzuwägen und durch methodisches Vorgehen zu begrün­deten Urteilen zu gelangen. Dies sind die Pfeiler der Qualität akade­mischer Bildung und sie sollen den Absolventen der Universität zu einem sinnvollen Vollzug seines Lebens befähigen, seines privaten ebenso wie seines staatsbürgerli­chen und seines beruflichen.

Die Kongruenz akademischer Disziplinen mit bestimmten Berufs­feldern gewährleistet darüber hin­aus, daß der Studierende in den bestehenden Erkenntnisstand sei­nes künftigen Berufsfeldes, in seine Denk- und Handlungsmuster Ein­blick gewinnt, die Fähigkeit quali­fizierten Fragens erwirbt und die zu ihrer Beantwortung notwendigen Methoden handhaben lernt. Er wird in einer allgemeinen Weise auf den Beruf vorbereitet, nicht aber für spezielle berufliche Erforder­nisse ausgebildet. Dieses Leistungs­segment der Universitäten trägt die Bezeichnung „wissenschaftliche Berufsvorbildung".

Die hochschulpädagogischen Leistungen der Universitäten sind ohne die Verwurzelung in der For­schung und ohne die Erhaltung der Einheit von Forschung und Lehre nicht denkbar. Nur wer in einem Fachgebiet selbst forscht kann auch die Studierenden an den neuesten Stand der Forschung heranführen. Diese Mitte des universitären Seins, nämlich die unaufhebbare Einheit von Forschung und Lehre, läßt jedoch das „Schulmodell 2000" außer acht und gelangt zu einer Struktur des Bildungssystems, das Teile und Abschnitte des Universi­tätsstudiums einem sehr zweckge­richteten Ausbildungsablauf zuord­net.

Es mag den Verfassern des Mo­dells konzediert werden, daß der durch übergroße Hörerzahlen ge­prägte universitäre Alltag in vielen Fächern dazu führt, daß Studie­rende heute von der Wissenschaft nur mehr marginal gestreift wer­den. Um diesem substantiellen Defizit, das die akademische Kul­tur dieses Landes zentral betrifft und zu Mängeln bis weit hinein in die akademischen Berufe führt, abzuhelfen, gibt es, zusätzlich zur zweifelsfreien Klärung der Ziele und Aufgaben universitärer Bil­dung, zwei Wege. Der erste ist ein forcierter Ausbau der Universitä­ten, auch mit neuen Standorten, personell mit dem heute verfügba­ren Stand an wissenschaftlich Qualifizierten weithin durchführbar, finanziell vermutlich ein grö­ßeres Problem. Der zweite Weg ist der, den die Autoren des Modells skizziert haben, nämlich die Aus­gliederung berufsbezogener (Kurz-)Studiengänge aus den Uni­versitäten, institutionell am ein­fachsten vermutlich lösbar durch die Schaffung eines Fachhochschul­systems, das organisatorisch zwi­schen die. höheren Schulen und die Universitäten eingefügt wird. Die­sen Fachhochschulen wäre auch ein erheblicher Teil der rundum ur-gierten Weiterbildungsaufgaben zu übertragen.

Den Universitäten verbliebe die Erstellung weiterführender Bil­dungsangebote und wissenschaft­licher Weiterbildungsaufgaben nur in jenen Bereichen, in denen es zentral um wissenschaftliche Fra­gen geht. Die Fachhochschulen wären, wie alle anderen Schulen in diesem Lande, Stätten des Unter­richts, in denen Lehrer feststehen­de Inhalte vermitteln, die akademi­sche Lehre, definiert als offener Prozeß des Wissen-Schaffens, blie­be Aufgabe der Universitäten.

Die Diskussion um die Entwick­lung des österreichischen Bildungs­systems, lange geprägt durch ge­sellschaftspolitische Zielsetzungen, durchläuft gegenwärtig eine öko­nomistisch dominierte Phase. Bei­den Reformansätzen ist ihre Be­rechtigung zwar nicht grundsätz­lich abzusprechen, in Frage zu stel­len ist aber ihre Dominanz gegen­über der humanistischen Mitte jedes pädagogischen Tuns. Ausgangs­punkt jeder modernen Bildungsre­formdiskussion kann nur die Men­schenbildung sein, der Berufsbil­dung (auch unter ökonomischem Aspekt) und Bürgerbildung (mit ihren gesellschaftspolitischen Im­plikationen) in jedem Falle nach­zuordnen sind.

Der Autor ist Universitätsdozent an der Uni­versität für Bildungswissenschaften, Abteilung für Hochschulpädagogik, in Klagenfurt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung