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Was ist los mit der politischen Bildung?

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Es ist bereits wieder einige Jahre her, daß im österreichischen Nationalrat ein Gesetz verabschiedet wurde, welches den im Parlament vertretenen Parteien die materielle Grundlage bieten sollte, in einer ungleich umfassenderen Weise als bisher ihrer politischen Bildungsaufgabe nachzukommen. Es kam darauf in den drei Parteien zur Gründung politischer Akademien. Der Bundeskanzler legte in einer Rede anläßlich der Konstituierung des wissenschaftlichen Beirates des Dr.-Karl-Renner-Institutes im Dezember 1972 die Zielvorstellungen dar, die zu diesem Gesetz geführt hatten. Das damals Gesagte scheint mir heute noch uneingeschränkt gültig: „Verdrossenheit, mangelndes Vertrauen in die Einrichtungen der Demokratie können nur beseitigt werden durch kritisches Wissen und die Einsicht in die Notwendigkeit gesellschaftspolitisch motivierter dynamischer Prozesse und den Willen, sie herbeizuführen.

Gelegentlich hört man klagen über den Tiefstand der politischen Auseinandersetzungen. Überwunden

werden kann dieser Tiefstand jedenfalls nicht durch arrogantes Distanzieren, auch nicht dadurch, daß man sich über das Banausen-tum in der Politik mokiert. Diesem Zustand der Dinge kann nur abgeholfen werden dadurch, daß diejenigen, die in der Politik wirken, hierfür besser vorbereitet werden.“

Die Akademien stehen bereits im fünften Arbeitsjahr. Nachdem immer wieder gejammert wurde, daß ihre finanzielle Ausstattung zu gering sei, werden heuer ihre Mittel sogar wesentlich erhöht. Jeder, der um die Unterdotierung dieses Sektors im öffentlichen Leben weiß, wird das nur begrüßen. Trotzdem erlaube ich mir einen kleinen Einwand: Wer glaubt wirklich, daß die politische Bildungsaufgabe allein mit der materiellen Besserstellung gelöst werden könnte? Bereitet sich nicht vielmehr nach der anfänglichen Euphorie langsam wieder Apathie, Alltagstrott, routinemäßige Gschaftlhuberei aus? Um Mißverständnisse zu vermeiden: Ich bekenne mich vorbehaltlos zur Notwendigkeit dieser Bildungszentren.

Niemand weiß besser als der in der Organisationspraxis Stehende, wieviel mehr an politischer Bildung wir in Österreich noch brauchten. Bei einigermaßen objektiver Beurteilung der Bildungssituation im Jahre 1976 wird man sogar gerne zugeben, daß das Angebot an politischer Bildung, zu dem ich auch die umfangreiche Schulungstätigkeit der Interessens-verbände, vor allem der Gewerkschaften und der landwirtschaftlichen Organisationen, aber auch die Arbeit der konfessionellen Bildungswerke, der Volkshochschulen, der Urania und anderer Institutionen rechne, heute quantitativ und qualitativ im Vergleich zur Bildungstätigkeit noch vor wenigen Jahren wesentlich besser ist. Das Schrifttum über politische Bildung füllt Bibliotheken. Sozialkunde und verwandte Lehrfächer sind in vielen Lehrplänen allgemein anerkannter Unterrichtsgegenstand. Die Massenmedien beginnen sich auch hierzulande allmählich in die politische Bildungsarbeit einzuschalten. An den Hochschulen mehren sich die Lehrstühle für politische Wissen-

schaft. Und trotzdem, je mehr auf dem Sektor der politischen Bildung getan wird, um so mehr erfüllt mich Skepsis, ob der Weg, den wir gehen, zielführend ist. Dieses Unbehagen auf dem Sektor der politischen Bildung erleben wir nicht nur in Österreich, sondern heute in vielen westeuropäischen Ländern. In einer Studie des Institutes für Sozialforschung an der Universität Frankfurt über die Wirkung des politischen Unterrichtes fand ich etwa folgende Feststellung: Die Analyse läßt keinen Zweifel daran, daß, insgesamt gesehen, der Ertrag der bisherigen Bemühungen gering war. Vergleicht man die Ergebnisse unserer Schülerbefragungen mit denen von Umfragen in der gesamten Bevölkerung, so wird deutlich, daß die Schule bisher nur wenig dazu beigetragen hat, Fachkenntnisse zu vermehren und am allgemeinen politischen Desinteresse etwas zu ändern. Über die verwendeten Lernbehelfe heißt es in dieser Studie: „Insgesamt läßt sich sagen, daß zwischen der Funktion, die der Sozialkunde-Unterricht für unser Zusam-

menleben haben sollte, und der Art, in der er durchgeführt wird, ein erheblicher Widerspruch besteht. Wir sind der Meinung, daß es bei politischer Bildung darum gehen muß, an der Bildung von Bürgern mitzuwirken, die politisch-soziale Zusammenhänge wahrnehmen, verstehen und kritisch beurteilen können und bereit und in der Lage sind, an der immer wieder erneuten Herstellung einer möglichst menschenwürdigen und vernünftigen Ordnung mitzuwirken. Unsere Bildungsarbeit scheint diese Aufgabe nur zum Teil zu erfüllen“.

Welches Demokratiemodell?

Ob diese Feststellungen nicht auch im Österreich zum Nachdenken anregen sollten? Die Frage ist auch bei uns berechtigt: Was ist los mit der politischen Bildung? Was ist die Ursache ihrer beschränkten Wirksamkeit?

Es wäre allzu billig, auf diese Fragen gleich mit einem Patentrezept zu antworten, ein neues Schema „F“ für politische Bildungsarbedt vorzulegen. Die Kritik an der mangelnden Qualifikation der Lehrer, an den Lehrbehelfen, an der zu geringen Unterrichtszeit, das allgemeine politische Desinteresse und die Schwierigkeit des Stoffes reichen nicht an die Wurzel des Problems. Die Kardinalfrage für die politische Bildung beginnt bereits beim Begriff der Demokratie. Das Demokratiemodell ist in unserer Zeit einem gewaltigen Wandel unterworfen. Wir müssen uns von den Demokratievorstellungen des 18. und 19. Jahrhunderts lösen. Der demokratische Utopismus, der in der Demokratie einen Weg zur konfliktlosen harmonischen Gesellschaft der Freien und Gleichen erblickte, gehört ebenso der Vergangenheit an wie die Vorstellung, Demokratie sei eine Art von Spielregel, die notwendig zur Verwirklichung des Guten sei. Die fortlaufende Spannung, der permanente Konflikt, die sich immer stärker ausprägende Pluralität der Gesellschaft, die wachsende Einsicht, daß es nicht möglich ist, den Menschen in ein geschlossenes System zu pressen, ohne ihn zu verkrüppeln, das heißt: unser zunehmendes Wissen über das Wesen des Menschen bringt auch neue Erkenntnisse über die Lösung gesellschaftlicher Probleme. „Demokratie ist Regierung durch Konflikt“, schreibt Ralph Dahrendorf, „denn Konflikt ist Freiheit, weil durch ihn allein die Vielfalt und Unvereinbarkeit menschlicher Interessen und Wünsche in einer Welt motorischer Ungewißheit angemessenen Ausdruck finden kann.“ Diese neue Sicht der Demokratie findet in unserem Bildungsbemühen aber nur sehr sporadisch seinen Niederschlag. Allzuoft ist die Anpassung des Menschen an eine selbstlose, dem Gemeinwohl dienende Bürgerschaft, die Uberwindung der die Harmonie störenden Gruppen und Parteiinteressen, die zum inneren Ausgleich geführte, formierte Gesellschaft weiterhin die Zielsetzung politischer Bildung. Dazu kommt noch das traditionelle Freund-Feind-Denken, wonach der kritisch Eingestellte nur der Störenfried der harmonischen Ordnung ist, unbotmäßig gegenüber der Obrigkeit.

Nicht auf dem Reißbrett...

Eine vom Autoritätsdenken und Traditionsgewicht kaum mehr belastete junge Generation spürt den Widerspruch zwischen der merkwürdigen politischen Harmonielehre, die als politische Bildung angeboten wird, und der Wirklichkeit des politischen Lebens. Heute gilt es darum, jene Ansätze zu fördern, die eine neue Sicht des Demokratischen in der politischen Bildung öffnen. Die Frage nach dem Menschen, seinen Möglichkeiten und Grenzen, seinen Bedürfnissen und Interessen, die Veränderung seiner Verhaltensweisen, seine Anpassung an diese ständig sich wandelnden Lebensund Umweltverhältnisse, der zunehmende Einfluß der Wissenschaften vom Menschen auf unsere Vorstellung von der menschlichen Natur fordern in erster Linie eine anthropologische Untermauerung unseres Bildungsbemühens. Die Weiterentwicklung der Demokratie verlangt

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