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Angriff gegen das Dilemma

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In einer solchen interfakultativen und zwischenfachlichen Begegnung ist gewiß ein möglicher Weg zur konkreten Inangriffnahme des Dilemmas zu sehen. Die Tatsache, daß die Fachgebiete und Fakultäten der bestehenden ! Universitäten sich immer stärker ge- i trennt haben und in eine Isolierung geraten sind, so daß ihf universitäres Prinzip sich auflöst und selbst die Kooperation und Konvergenz der wissenschaftlichen Forschung in Gefahr gerät, ließ die Idee reifen, in Ab- ; weichung von der hergebrachten Fakultätsgliederung jene Wissenschaften in Abteilungen zu ordnen, die einen en- ] gen sachlichen Zusammenhang aufwei- i sen, zugleich aber auch zwischen die- : §en Abteilungen wieder Querverbin- : düngen herzustellen. Damit ist wohl i die äußete -Voraussetzung für das

Grundprinzip der Einheit der Wissenschaft gegeben.

Ob jedoch auch ein geistiges, einheitsstiftendes Moment wirksam werden wird, hängt wohl von der Gewinnung eines überfachlichen, philosophischen, ethischen und soziologischen Horizontes der wissenschaftlichen Erkenntnis ab — eine Frage, der ganz besonders die buddhistischen Universitäten ihr Augenmerk schenken. Sie ist wohl auch d i e Entscheidungsfrage der modernen abendländischen Universität. Oder — soll die wissenschaftliche Hochschule weiterhin nur als eine Stätte der Forschung und Lehre gelten, ohne „jede wissenschaftliche Vertretung von praktischer Stellungnahme“, wie dies Max Weber 1919 in seiner impulsiven, seinen eigenen früheren Reflexionen widersprechenden Rede „Wissenschaft als Beruf" programmierte?

Das Verhältnis zu Staat und Gesellschaft

Eine die ganze Welt umspannende Frage ist ferner die nach dem Verhältnis der Universität zu Staat und Gesellschaft. Die Wirkung „massenstaatlicher und sozialstaatlicher Tendenzen“ bedroht die eigenwertige Existenz der Hochschulen. Wenn man weithin nicht mehr nach ihrer Wahrheitsfunktion, sondern nur noch nach ihrer Gesellschaftsfunktion fragt, besteht die Gefahr, daß sie zu einer soziologischen Funktionsgröße degradiert werden. Dis Berisühei verschiedener Staaten, der Universität durch obligatorische Studiengesetze und -plane ihre staatspolitischen Aufgaben vor- zuschreiben, darf wohl in diesem Verständnis gewertet werden. Dadurch wird aber die verfassungsmäßig garantierte autonome Stellung der Wissenschaft und ihrer Lehre im staatlichgesellschaftlichen Raum fragwürdig. Die Spannungen zwischen dem Staat und der Universität, welche nach Eduard Spranger darin gründen, daß der Wille zur Macht und der Wille zur Wahrheit eben nicht immer in der gleichen Richtung laufen, kommen etwa zum Ausdruck in dem schwierigen Thema der Grenzen der Lehrfreiheit, wie auch im Status des Universitätslehrers, der zugleich immer auch Staatsbeamter ist, was hier nur angedeutet, aber nicht ausgeführt werden kann.

Die wissenschaftliche Forschung und Lehre der „freien Welt“ steht als eine „Grundfunktion der Menschheit“ nach wie vor unter der Intention der Wahrheitsfindung und Wahrheitsvergewisserung. Zweck der wissenschaftlichen Hochschulen ist es, die Leuchtkraft der Wahrheit zu stärken, damit sie in alle Lebensbereiche ausstrahle. Als wahrheitsgründende Macht sind sie aufgerufen, formend auf Staat und Gesellschaft zu wirken. Dies ist möglich und notwendig zugleich, da die Wissenschaft heute in Staat, Politik und Wirtschaft eine Rolle spielt wie nie zuvor. Diese Aufgabe wird sie erfüllen, sofern sie für den Neubau einer echten menschlichen Gesellschaft das nötige Wissen bereitstellt, zugleich aber prüft, ob das im öffentlich-gesellschaftlichen Raum wirkende Wissen auch echtes Wissen ist. Schließlich verpflichten die durch die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse der Menschheit eröffneten Möglichkeiten, wieviel von den Ergebnissen echter Forschung für staatliche und politische Ziele zur Anwendung kommen darf. Aus diesem Blickwinkel wird deutlich, daß die Hochschulen und Universitäten sich nicht damit bescheiden könnnen. den gewaltig gestiegenen Wissenschaftsbedarf von Staat und Gesellschaft durch Bereitstellung und Vermittlung von Leistungswissen schlechthin zu decken, ohne zugleich dafür auch das Verantwortungsbewußtsein zu wecken. Diesen ethischen Anruf de Gewissens müssen dje wissenschaftlichen Hochschulen als Statten ..di Wissens hören, wollen sie in unserer gefährdeten Gesamtlage für Volk, Staat und Gesellschaft als geistig formende Kraft wirksam sein.

In einer Zeit, da die Neugründung von Universitäten, Hochschulen, Akademien und die Errichtung von Lehrkanzeln in Österreich, der Bundesrepublik Deutschland und nicht zuletzt in den Entwicklungsländern geradezu ein internationales Problem geworden ist, bedeutet die tiefgründige Behandlung des großen Fragenkreises „U n i - versitätundmoderne Wel t“ eine ebenso fundierte wie allseitige Orientierung und Diskussionsgrundlage., Die Welt ist sich einig, daß das Schicksal der Völker von der Qualität ihrer wissenschaftlichen Hochschulen abhängt.

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