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Ein Sarg auf Madeira

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8.30 Uhr: Afrikanische Frühlingssonne auf den Terrassen vor der Wallfahrtskirche Nossa Senhora do Monte — „Unserer Lieben Frau vom Berge“. Unter uns, weißgewürfelt, die Stadt Funchal, der Hafen, in die Weite hinaus: das Meer. Uns im Rücken die kahlen vulkanischen Hänge des Gebirges, das im Innern der Insel Madeira bis zu 2000 Meter ansteigt. Auf den Freitreppen und in den Gärten, in denen Kallas, Orchideen, Hortensien und nie gesehene grellrote Blumen wild wuchern, hat sich die Dorfbevölkerung des Monte gesammelt und hält freundlichen Abstand.

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8.30 Uhr: Afrikanische Frühlingssonne auf den Terrassen vor der Wallfahrtskirche Nossa Senhora do Monte — „Unserer Lieben Frau vom Berge“. Unter uns, weißgewürfelt, die Stadt Funchal, der Hafen, in die Weite hinaus: das Meer. Uns im Rücken die kahlen vulkanischen Hänge des Gebirges, das im Innern der Insel Madeira bis zu 2000 Meter ansteigt. Auf den Freitreppen und in den Gärten, in denen Kallas, Orchideen, Hortensien und nie gesehene grellrote Blumen wild wuchern, hat sich die Dorfbevölkerung des Monte gesammelt und hält freundlichen Abstand.

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Dreißig Österreicher, drei Südtiro-ler, drei Schweizer, einige Bundesdeutsche, ein Schwede, mehrere portugiesische Freunde warten vor den Toren der Kirche, und schließlich spricht uns Pater Sommer vom niederösterreichischen Stift Lilienfeld einige Gebete vor. Mitten unter uns ein Direktor aus Wien, Mohammedaner, dessen Vorfahren aus Bosnien eingewandert sind. Zur gleichen Zeit /betet auch, wie wir wissen, unser jüdischer Freurad in der Salzburger Synagoge mit uns.

9.00 Uhr: Die Kirche umkreisend, nähert sich die kirchliche Komimis-ision, die der Bischof von Funchal für die Identifizierung 'des Leichnams Kaiser Karls ausgewählt hat: Der Architekt und Archäologe Professor Romoli mit seinen Arbeitern, ein Notar, zwei Ärzte, der Bischof von .Funchal mit seinem Sekretär. Dann die Assistenten: Bischof Dr. Bruno Wechner von Feldkirch, Pater Heinrich Segur SJ als Vertreter der Gebetsliga für den Weltfrieden, die 1949 den Seligsprechungsprozeß des .„Dieners Gottes Karl aus dem Hause Österreich“ ins Rollen gebracht hart, schließlich zwei Söhne Kaiser Karls: Dr. Otto Habsburg und sein jüngster Bruder Rudolf. Die großen Tore der Kirche fallen zu, die Riegel schließen siich krachend.

Wenn ein Seligsprechungsprozeß jenes Stadium erreicht hart, das einen .„Verdacht auf Heiligkeit“ zuläßt, wird die Sicherung der sterblichen Überreste dessen notwendig, der vielleicht in absehbarer Zeit von der obersten kirchlichen Autorität zu einem Vonbild für gegenwärtige und {zukünftige Zeiten erklärt werden könnte. Die Identifizierung des Leichnams, seine Wiederbestattung nach aufgenommenem Protokoll und eeine Verwahrung — nunmehr unter bischöflichem Siegel — präjudizieren allerdings nichts. All das verhindert lediglich, daß — wie in legendären Zeiten — drei bis vier Schädel eines und desselben Heiligen oder sieben bis acht kleine Finger des gleichen Seligen auftauchen und nach etlichen peinlichen Zwischenfällen wieder aus Altarkapseln und sonstigen sakralen Verwahrungsstätten entfernt werden müssen. Auch beim „Diener Gottes Karl aus dem Hause Österreich“ besteht nunmehr, wie sicn aus den Vorgangen schließen läßt, zumindest der Verdacht auf Heiligkeit — nach einem Leben, das deshalb so tragisch enden mußte, weil Karl gegen eine ganz vom überschäumenden Nationalismus verblendete und von einem glorreichen „Siegfrieden“ träumende Welt, ohne jede Hilfe, für den Frieden nichit nur seines Landes, sondern aller Völker der Welt gerungen hat und dafür den ungeheuerlichen Anschuldigungen einer wahlorganisierten und bestens funktionierenden Propagandamaschine — vor allem jener des damaligen deutschen Generalstabes — ausgesetzt war. Die (Art, wie er alles, auch sein Leben, für die Herstellung einer neuen iFriedensordnung in die Waagschale warf, wie er seine Mißerfolge bestand und bei aHedem seiner Zeit um fünfzig Jahre voraus dachte, bildet den Inhalt jenes Prozeßverfahrens, dessen Ergebnisse auf 40.000 IManuskriptseiten niedergelegt sind, die des definitiven Urteils der obersten kirchlichen Instanzen harren.

9.30 Uhr: Die beflaggten Staats-limousinen. des Goüverpeurs von Madeira und des Bürgermeisters von Funchal sind verschwunden und haben Regina Habsbung mit ihren drei Töchtern Michaela, Gabriela und Walburga, seine Brüder Robert und Karl-Ludwig und die Gattin Rudolfs in die Stadt zurückgebracht. Der Aufnahmewagen der Radiotele-visäo Portuguesa harrt, hinter dem Turm der Kirche verborgen, noch aus. Auch wir harren aus, viele Zigaretten rauchend und horchend. Dann stürzen die Langhaarjünglinge des portugiesischen Fernsehens plötzlich mit ihren Mikrophonen zu den Kirchentoren. Drinnen hallen harte Schläge auf Metall. Offenbar sind die Nieten der mächtigen Bronzetruhe, in welcher der Sarg gebettet ist, eingerostet und müssen aufgehämmert werden. Wenige Minuten später das dröhnende Geräusch eines Metalldeckels, der auf dem Kirchenpflaster niedergelegt wird. Dann vollkommene Stille.

Die Familie Kaiser Karle war in jenen Apriltagen des Jahres 1922 viel zu benommen, um die Art und Weise beobachten zu können, in welcher der Gatte und Vater bestattet wurde. Einer der beiden Ärzte, tut: ivdiüei ivcli'i wdiiiüiuu aoiiicx ivailichen Lungenentzündung behandelt haben, lebt zwar noch. Aber er ist 90 Jahre alt und erinnert sich an gar nichts mehr. Was birgt das Innere des Sarkophags? Ein Zinnsarg, den iim Laufe eines halben Jahrhunderts die Zinnpest befallen hätte, wäre die schlimmste der Entdeckungen, die nun, zu dieser Stunde, gemacht werden könnten. In diesem Falle wären vom Körper des toten Kaisers nur noch wenige Überreste vorhanden. Ein Holzsarg hätte wahrscheinlich dem feuchtwarmen Klima nicht viel besser widerstanden. Vorgesorgt ist freilich für jede Variante. Ein neuer Metallsarg, ein neuer Holzsarg stehen bereit. Otto hat die einzige altösterreichische Uniform, die er besitzt, nach Funchal gebracht. Immer noch Stille. Was geht im Innern der Kirche vor?

11.00 Uhr: Mein potugiesischer Freund, Marcus aus Lissabon, steht plötzlich vor mir, klein, dunkel und aufgeregt. „Schau dorthin!“ ruft er auf französisch. „Schau!“ Die Sa-kri'steitür hat- sich halb geöffnet, Professor Romoli, der die Arbeiten leitet, ist herausgeschlüpft. Ich bitte ihn, mich im Auto nach Funchal mitzunehmen. „Sie wissen, daß ich nichts verraten werde?“ schmunzelt ;r. „Selbstverständlich.“ Marcus und ich sitzen hinter ihm in dem engen deinen Wagen, der die erschreckend steile Bergstraße, intensiv bremsend, aber auch nach Landessitte Kurven schneidend und angestrengt hupend, hinabeilt. „Übrigens“, meine ich, „warum unterhalten wir uns seit ragen auf französisch? Sie sind Italiener, sprechen wir Italienisch.“ (Der Himmel verleiht mir die notwendige Suada.) „Österreicher und Italiener haben einander doch immer ausgezeichnet verstanden, besonders dann, wenn sie aufeinander schießen mußten. Man kennt einander erst richtig, wenn man aufeinander gezielt hat.“ Romoli lacht schallend. Italienische Ritterlichkeit und lateinische Gesprächigkeit sind erwacht. Eine halbe Stunde später, mit Marcus vor der Kathedrale von Funchal auf der Avenida Ariaga aussteigend, weiß ich alles. Marcus winkt einem Taxi. Auf zum Hotel, zum Telephon!

' *

Aus der aufgemeißelten Metalltruhe hatten die Arbeiter unter der Leitung Romolis einen Holzsarg gehoben, dessen Deckel ohne Luftabschluß aufgelegt war. Der Holzsarg zeigte Feuchtigkeitsspuren. Aus ihm hoben die Arbeiter den innersten, den Zinnsarg. Er war unverletzt, bis auf das Fenster, das über dem Gesicht des Toten einst eingelassen worden war. Dieses Fenster war leider eingebrochen. Jahrzehntelang war die feuchtwarme Tropeniuft über das Gesicht des Toten hingestrichen, hatte es gebräunt, stellenweise geschwärzt und mumifiziert. Aber die Haare, dunkel, tadellos gescheitelt und in den Wellen, die auf allen Photos sichtbar sind, waren erhalten geblieben, auf der etwas zurückgezogenen Oberlippe war der dunkle Schnurrbart erkennbar. Die anderen Mitglieder der Kommission glaubten nun, auf einen schlechteren Zustand des Körpers schließen zu müssen, aber der erfahrene Experte Romoli winkte ab. Mit einer Schere schlitzte er die Hose der Kaiserjägeruniform bis zum Knie, und nun zeigte sich, daß der Körper des Kaisers ausgezeichnet erhalten war, daß er der hohen Luftfeuchtigkeit standgehalten hatte. Dann eilte Professor Romoli in die Stadt, um zwei Föhnapparate zu holen, und dies war eben der Augenblick, in dem er mir in die Arme lief. Zurückgekehrt, ließ er dann, wie wir später erfuhren, die unterste Platte des Metallsarges mit der Leiche des Kaisers vorsichtig abheben und in den mit Konservierungsmitteln bereits vorpräparierten neuen Metallsarg betten. Über die Kaiserjägeruniform, die bei der Trocknung unansehnlich geworden war, legte er vorsichtig Ottos österreichische Uniform, auf deren Brust das ein wenig zur Seite geglittene Goldene Vlies wieder befestigt wurde. Der Rosenkranz, der die wunderschönen, guterhaltenen

Hände des Kaisers umschlang, wurde wieder in die richtige Lage gebracht.

11.30 Uhr: Marcus, der potugiesi-sche Freund, hat am Vormittag der Gouverneur veranlaßt, von den blo£ fünf bestehenden Telephonverbindungen Funchals mit dem Festlande eine für mein Gespräch nach Wier reservieren zu lassen. Jetzt beschwört er mit vielen potugiesischer Nasal- und Zischlauten die Zentrale das Gespräch raschest zu vermitteln Nach 20 Minuten (normale Wartezeit: drei Stunden) meldet siel Wien, ORF, Fernsehen, Außenpolitische Redaktion. Ich kann die erste Meldung aus erster Hand an Radio und Fernsehen durchgeben 12.00 Uhr, das ist zu Hause 13.01 Uhr. Was nun? Weiter warten Aperitif mit dem kleinen ungarischen Photographen, der sich ir Madrid niedergelassen hat und die westeuropäische Presse seit einiger Jahrzehnten mit Standardphotoi versorgt. Gyenes strahlt über unse] ungarisches Radebrechen und verab schiedet sich. Auf der Hoteltreppf des „Savoy“ Regina Habsburg. Nur kann ich auch ihr berichten. Mittagessen im gigantischen Speisesaal de; Hotels mit dem Blick auf die weiße Bergkirche auf dem Monte. 16.01 Uhr: Anruf aus dem Pfarrhof vor Nossa Senhora: „Wir verlöten!“ Icl alarmiere die Österreicher, di Bundesdeutschen und die Schwei zer, unseren Mohammedaner, der Schweden. Autobusse und Leihwagen stürmen die steile Straße zun Monte hinan. Droben ist das ganze Dorf auf den Beinen. Die Staats-limousinen zwängen sich in Parkplätze. Die Sakristeitüre entläßt Otte und Rudolf. Beide Brüder sind sehi blaß, aber ruhig. Ein Zug formier sich, die Portugiesen bilden Spalier

Sie feiern mit uns die Wiaderbestat-tung „ihres“ Imperador. Dann öffnen sich die Tore. Wir ziehen in die Wallfahrtskirche mit ihrer schönen Holzdecke, ihrem Bauernbarock ein, vorbei an der Grabkapelle Karls, in der nun wieder die Blumenkörbe, die Kränze, die Buketts sich häufen. Auf den drei hohen Marmorstufen steht die wiederverschlossene Metalltruhe, links und rechts neigen sich metallene Lanzen im Salut; von ihnen hängen die Schleifen zahlloser Kränze, die hier seit 1922 niedergelegt wurden. Die Schlußandacht gestaltet sich zu einer nahezu triumphalen Feier. Der Bischof von Funchal mahnt in langsamem und daher verständlichem Protugiesisck seine Diözesanen, dem religiösen Beispiel des Carlos da Austria zu folgen, Bischof Wechner verliest in deutscher Sprache die kirchlich approbierten Fürbitten: „Schenke allen Völkern einen gerechten und dauerhaften Frieden. Gib allen Friedensstiftern Ausdauer und Erfolg.“ — „Wir bitten dich, erhöre uns!“

Professor Romoli flüstert mir zu: „Jetzt ist alles in bester Ordnung. Für die nächsten Jahrhunderte.“

„Gib allen Friedensstiftern Ausdauer und Erfolg. Bewahre uns vor Treulosigkeit und Feigheit gegenüber allen Versuchen, Macht vor Recht gehen zu lassen.“

In wenigen Minuten werden wir in der Villa au Gast sein, die damals ein reicher Portugiese dem völlig mittellosen Kaiser zur Verfügung gestellt hat und in der Karl von Österreich der spanischen Grippe erlag. Wir werden auf dem Fußboden noch die Spuren sehen können, die das Bett hinterließ. Wir werden dort, wo sein Kopf zuletzt ruhte, sein Bild finden.

„Stärke uns in der Tugend, einander verzeihen zu können.“

Wir werden durch den Park der Villa wandern, Blumen als Andenken mitnehmen, mit den Söhnen Kaiser Karls sprechen. Wir werden Abschied nehmen.

„Gib deinem Diener Karl aus dem Hause Österreich allen Staatsmännern zum leuchtenden Vorbild durch die baldige Seligsprechung!“

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