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Eine biblische Oper

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Am vergangenen Sonntagabend fand im Großen Konzerthaussaal eine einmalige (völlig ausverkaufte) Aufführung der Oper „Samson et Dalila” in französischer Sprache statt. Argeo Quadri dirigierte das Orchester des österreichischen Rundfunks und dessen Chor, der zusammen mit der Singakademie ein Riesenensemble von etwa 180 Sängern bildete. Christa Ludwig und Ludovic Spiess sangen die Titelpartien. — Da diese Oper seit 1936 nicht mehr in Wien gegeben wurde, nehmen wir die Gelegenheit wahr, an ihren Komponisten zu erinnern.

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Am vergangenen Sonntagabend fand im Großen Konzerthaussaal eine einmalige (völlig ausverkaufte) Aufführung der Oper „Samson et Dalila” in französischer Sprache statt. Argeo Quadri dirigierte das Orchester des österreichischen Rundfunks und dessen Chor, der zusammen mit der Singakademie ein Riesenensemble von etwa 180 Sängern bildete. Christa Ludwig und Ludovic Spiess sangen die Titelpartien. — Da diese Oper seit 1936 nicht mehr in Wien gegeben wurde, nehmen wir die Gelegenheit wahr, an ihren Komponisten zu erinnern.

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Camille Saint-Saens, der 1835 in Paris geboren wurde, war, wie viele große Musiker, ein Wunderkind. Bereits der Dreijährige zeigt Interesse für Musik, mit fünf komponiert er am Klavier, der Zehnjährige spielt öffentlich Klavierwerke von Händel, Bach und Beethoven. Aber den „Prix de Rome” schaffte er nicht. Dagegen erhielt er mit 17, als er bereits eine Symphonie komponiert hatte, den Preis des Pariser Konservatoriums für Orgelspiel.

Die Orgel wurde und blieb seine große Liebe. Saint-Saens wurde zunächst Organist in Saint-Merry, später in der Madeleine. In dieser Zeit ist seine Oper „Samson et Dalila” entstanden. Seit 1877 lebte Saint-Saens als Freischaffender, dirigierend und konzertierend, was ihm durch ein großzügiges Legat von 100.000 Francs ermöglicht wurde.

Sein Werkverzeichnis ist ungeheuer und kaum übersehbar. Neben einer Menge geistlicher Chor- und Orgelmusik schrieb er Kammermusik in jederlei Besetzung, vielgespielte Konzerte für Violine, Cello und Klavier, mehrere Symphonien und symphonische Dichtungen in der Nachfolge Listzs, der ihn sehr geschätzt hat. Wagner nannte ihn „den größten Musiker Frankreichs”, Hans von Bülow sagte von ihm, er sei der einzige Komponist, der aus den Theorien Wagners Nutzen gezogen habe, ohne dessen direktem Einfluß zu verfallen, und Gounod verlieh ihm, nach Anhören der Orgelsymphonie, den Titel eines „französischen Beethoven”.

Von diesem riesigen kompositorischen Werk ist bei uns kaum etwas bekannt, außer der bereits erwähnten Orgelsymphonie in d-Moll, den symphonischen Dichtungen „Le Rouet d'Omphale”, „Phaeton” und einigen Kammermusikwerken. Und natürlich die fröhlich-klappernde „Danse macabre”, ein Lieblingsstück der Salon- und Promenadenorchester in aller Welt...

Auch hat Saint-Saens insgesamt 15 Opern geschrieben. Er bevorzugte historische Stoffe, so in „Asca-nio”, „Etienne Marcel”, „Heinrich VIII.” und anderen. Eine ganze Reihe musikdramatischer Werke schrieb er für die Festspiele von Beziers, wo Tausende in der Arena saßen, während Massenchöre und Riesenorchester mit 210 Streichern, 18 Harfen und 25 Trompeten aus längst verschollenen Partituren musizierten.

Aber seine Oper „Samson et Dalila” mußte, trotz des hohen Ansehens, das Saint-Saens in seiner Heimat genoß, lange warten. Einzig und allein wegen des „biblischen Sujets”, das man in der .Academie Nationale de Musique es de Danse”, wie die Pariser Oper offiziell heißt, nicht akzeptieren zu können glaubte. — Franz Liszt war es, der — wie schon vorher mit Berlioz' „Benvenuto Cellini” — im Großherzoglichen Theater von Weimar die Uraufführung wagte. Das war am 2. Dezember 1877. 13 Jahre später folgte Rouen. Da mag Lokalpatriotismus mitgespielt haben, denn zwischen Dieppe und Rouen gibt es einen kleinen Ort mit dem Namen Saint-Saens. Erst 1892 folgte die Pariser Oper — und es wurde ein triumphaler Erfolg.

In seinen letzten Jahren war Saint-Saens so etwas wie ein nationales Idol geworden. 1871, nach der großen Niederlage, hatte er die „Societe Nationale de Musique” gegründet. Seine ausgedehnten Konzertreisen hatten ihm weltweiten Ruhm verschafft. Der vielfach interessierte Künstler, der schon mit sechs Jahren zum eigenen Gebrauch ein griechisches Wörterbuch angelegt hatte, beschäftigte sich intensiv mit Philo-phie, Archäologie und Astronomie. (Er besaß ein eigenes Observatorium.)

Noch mit 80 Jahren unternahm er eine Konzertreise nach Amerika, und während eines Aufenthaltes in Algerien ist Saint-Saens, nachdem er im Jahr vorher seine letzte Oper nach

Mussets „On ne badine pas avec l'amour” geschrieben hatte, im Alter von 86 Jahren gestorben. Man hat Ihn auf dem Friedhof Montparnasse neben Emmanuel Chabrier und Cesar Franck begraben...

Die Geschichte von Simson (auch Schimschon), der im 12. Jahrhundert vor Christus volle 20 Jahre lang über Israel herrschte, ist im 13. bis 16. Kapitel des Buches der Richter aufgezeichnet. Seinen Untergang verursachte ein Weib namens Delila, die er am Bach Sorek im Land Gaza getroffen hatte, in die er sich verliebte und die ihn an ihre Landsleute, seine Feinde, verriet. Goethe bezeichnet diese „alte Mythe” als „eine der ungeheuersten” und spricht von der „übermäßigen Prästanz dieses riesenhaften Weibes”, das man auf keine zivilisierte Bühne stellen könne. — Ein Verwandter des Komponisten, der Creole Ferdinand Lemaire, hat trotzdem ein recht manierliches Textbuch daraus zu machen verstanden, das dem Komponisten freilich auch in dieser gemilderten Form Schwierigkeiten genug verursachte.

Jauner wollte die Oper in Wien bald nach der Pariser Premiere herausbringen, aber diese wurde durch die Zensur bis zum Jahr 1907 verhindert, als Mahler „Samson und Dalila” in deutscher Sprache als eine seiner letzten Inszenierungen aufführte.

Soll man sie heute wieder ins Repertoire aufnehmen? Die Frage bleibt nach der konzertanten Aufführung offen. Denn Saint-Saens ist ein ausgesprochener Eklektiker, dessen Stil zwischen der „Grande Opera” und dem „drame lyrique” (Typus „Carmen”) angesiedelt ist. Aber er hat weder den rhythmischen Elan noch die dramatische Durchschlagskraft etwa eines Meyerbeer — und von Bizets nervöser Sinnlichkeit schon gar nichts. Was seine Musik auszeichnet, ist Klarheit, Ebenmaß, eine gewisse Noblesse und ein klangschönes, kunstvoll gewobenes Orchestergewand. Saint-Saens beherrscht nicht nur sein Metier mit leichter Hand, sondern er hat die konventionellen Nummern der alten Oper, wie Air, Priere, Serment, Recitativ und Ensemble, veredelt und erneuert.

Die im Konzerthaus gebotene Fassung bestand aus drei Akten zu jeweils 35, 40 Minuten, die von Doktor Marcel Prawy fachkundig und interessant eingeleitet wurden. Der 1. Akt verlief — musikalisch — ziemlich ereignislos, mit eitel Wohlklang und Schöngesang. Klanglich apart war eine erste Arie Abimelechs (Tugomir Franc), begleitet von Baßposaunen, Becken und grellen Holzbläsern. Im zweiten gab es dann die große Arie, in der Christa Ludwig in einer ihr vorzüglich liegenden Partie den edlen Bratschenton ihres schönen Mezzos verströmen konnte und im Duett auch Ludovic Spiess mit seiner wirklich glanzvollen Tenorstimme zu kaptivieren verstand. Das an das Duett anschließende Gewitter beginnt diskret und bricht dann mit fast wagnerischer Vehemenz aus. Der letzte Akt, der mit dem großen Bacchanal anfängt, ist orchestral wesentlich interessanter und differenzierter, bringt neben den beiden Hauptakteuren auch Kostas Paskalis als Oberpriester des Dagon noch einmal ausführlich ins Spiel und endet mit wirkungsvollem Theaterdonner: dem Einsturz des Tempels und Aufschrei des Chors. (Die wichtigsten „Nebenrollen” sangen die Herren Aichberger, Bömches, Witte und Stajnc.)

Dem tüchtigen Argeo Quadri scheinen einige Proben gefehlt zu haben, denn es dauerte mehrere Minuten, bis sich die großen Ensembles zusammengefunden hatten. Die beiden Chöre schienen bestens studiert (Gottfried Preinfalk und Friedrich. Lesfci), sie intonierten rein, sangen differenziert und rhythmisch genau. Das Orchester spielte nicht gerade feurig. Aber man muß bedenken, daß es sich hier um eine riesige, den meisten unbekannten Partitur handelt. Möglich, daß das Werk auf der Bühne einen stärkeren Eindruck macht. Aber wird, um dies nachzuprüfen, jemand eine szenische Aufführung wagen? Das Publikum ergötzte sich an den schönen Stimmen und den schönen Weisen und schien sehr zufrieden.

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