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Erzieht der Religionsunterricht die Kinder zu Christen?

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Was ist aus dem Religionsunterricht geworden? fragen Eltern bestürzt. Sie stellen fest, daß Religionslehrer nicht mehr das einst von ihnen Gelernte weitergeben; sie vertreten Positionen, die nach Überzeugung der Eltern mit der Lehre der Kirche unvereinbar sind. Im Religionsunterricht wird nicht mehr selbstverständlich gebetet, die Schüler werden nicht mehr zum „Gottesdienstbesuch“ ' angehalten. Aus der Sicht von Schülern ergibt sich teilweise ein anderes Bild: angefangen bei jenen, die ihrem Unbehagen am re- ligionsunterricht dadurch Ausdruck verleihen, daß sie sich vom Unterricht abmelden, bis zu den Jugendlichen, die behaupten, „dieses Fach gebe ihnen nichts für ihr persönliches Leben“.

Der Religionsunterricht ist in den Tagesstreit politischer Meinungen geraten. Vereinzelt wird bereits festgestellt: In der Schule der pluralen Gesellschaft habe ein „Pflichtgegenstand“ Religion nichts mehr zu suchen. In der Grundsatzentscheidung, wie der Religionsunterricht in einer „Schule für alle“ zu begründen sei, welche Funktionen er habe, herrscht unter den Verantwortlichen in Kirche und Politik nicht mehr jene Übereinkunft, die bei der Einführung des Schulfaches „Religion“ vor genau zweihundert Jahren gegeben war. In der Diskussion um die juristische Begründung des Religionsunterrichts wird der Vorwurf geäußert, mit diesem Schulfach nehme die Kirche ein „Privileg“ in Anspruch, das keiner anderen Gruppe der Gesellschaft eingeräumt werde.

Beitrag zur Selbstfindung

Religionspädagogen fordern deshalb, der Religionsunterricht solle zwar ein eigenständiges, aber kein isoliertes Fach innerhalb der Schule bilden. Kein Fach, das nur durch einen „Extraeingang“ zu betreten sei, sondern ein Fach mit „Fenstern nach draußen“ und „Türen nach drinnen“. Nimmt man diese Position von einem festen Ort des Religionsunterrichts in der Schule ernst, muß der Religionsunterricht am Bildungs- und Erziehungsauftrag in der Schule beteiligt sein. Sein Ziel ist nicht nur die Einführung in den Glauben und das Ver trautmachen mit dem Leben der Kirche, sondern auch ein eigenständiger Beitrag zur Selbstfindung und Orientierung des mündig werdenden Jugendlichen in der Gemeinschaft (Kirche, Staat und Gesellschaft). Gerade im Zusammenhang mit den übrigen Schulfächern, in denen die Vermittlung von Wissen teilweise im Vordergrund steht, kommen auf den Religionsunterricht als „Anwalt des Kindes und des Jugendlichen“ besondere Aufgaben zu.

Hilfe für das Leben aus dem Glauben

Diese Auffassung von Religionsunterricht entspricht jenem „Selbstverständnis“ der Kirche, die im Sinn der Überlegungen des II. Vatikanischen Konzils ihre Aufgabe als „Dienst am Menschen und an der Gesellschaft“ versteht. In diesem Zusammenhang wird in zunehmendem Maß vom „dia- konischen“, also „dienenden“, Auftrag des Religionsunterrichts gesprochen. Er verhilft den Schülern dazu, aus der Sicht des Glaubens Wege zu einer verantwortbaren Wertorientierung und Grundeinstellung zu finden und sich über ihre eigene Lebensentscheidung klar zu werden. Im Religionsunterricht kann der Heranwachsende lernen, sich den Herausforderungen der Welt und Gesellschaft wissend, wertend und problembewußt zu stellen, mit der Bereitschaft, selbst Verantwortung zu übernehmen.

Den Ergebnissen der modernen Erziehungswissenschaft entsprechend, bezieht der Religionsunterricht Situationen aus dem Leben der Schüler in den Unterricht mit ein. Moderne Unterrichtsgrundsätze wirken sich auch auf die Gestaltung der Lehrpläne und Bücher aus —bis hinein in" den Unter- riChtsverläuf.’Ein wesentliches Lehf- und Lemziel des Religionsunterrichts ist das Handeln, das konkrete Engagement, besonders in der Kirche und in der Gemeinde. Der Religionsunterricht ist ohne Rückbindung an die Kirche nicht denkbar. Andererseits ist er nicht das einzige Verkündigungsangebot an junge Menschen und damit nicht die einzige Grundlage für ihren Glauben.

Die Einbeziehung des Religionsunterrichts in den Gesamtrahmen der christlichen Verkündigung ist wichtig; zumal der Religionsunterricht an eindeutige Grenzen stößt: einmal durch das Alter der angesprochenen Adressaten. Spätestens mit der Schulpflicht endet für viele Jugendliche die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit religiösen Fragen. Eine zweite Grenze bildet die Situation des Schulfachs. So sehr sich der Religionsunterricht bemüht, Hüfen für das Leben aus dem Glauben anzubieten, vielfach kann er nicht jene Atmosphäre schaffen, in der gläubiges Leben möglich ist. Glauben braucht immer Gemeinschaft mit anderen. Darum ist der schulische Reügionsun- terricht auf das Interesse der Eltern und der Gemeinden angewiesen. Der schulische Religionsunterricht kann den Eltern die Verantwortung für die religiöse Erziehung nicht abnehmen. Umgekehrt darf nicht übersehen werden, daß eine immer größer werdende Zahl junger Menschen auch in unserem Land dem Glauben bewußt und systematisch fast ausschließlich im Religionsunterricht begegnet. Andererseits bejahen Schüler, die dem Religionsunterricht kritisch gegenüberstehen, dieses Fach gerade deshalb, weil es ihnen zu einer fruchtbaren Auseinandersetzung mit verschiedenen Angeboten zur Lebensdeutung verhilft.

Je klarer sich der Religionsunterricht in einer weltanschaulich pluralen Gesellschaft zu seiner Position bekennt, für die der Glaube die allein maßgebende Wirklichkeit ist, und gleichzeitig jungen Menschen zur echten Lebensorientierung verhilft, desto mehr sollen die Verantwortlichen in Kirche, Schule und Gesellschaft den Beitrag unterstützen, den der Religionsunterricht zur christlichen Erziehung der heranwachsenden Generation leistet.

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