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Gott in der Schule

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Religion sei nicht Pflichtfach, katholischer Unterricht sei parteiischer Unterricht, verkündete die Wiener Landesgruppe der Jungen Generation der SPÖ in ihren Aufrufen zur Abmeldung vom Religionsunterricht zu Beginn des vergangenen Schuljahres. Und rief damit einen Sturm der Entrüstung auf der einen und Beschwichtigungshofräte auf der anderen Seite auf den Plan. „Kindische Forderung“ (Bundeskanzler Bruno Kreisky), „Griff in die Mottenkiste klassenkämpferischer Forderungen“ (Univ.-Prof. Norbert Leser) waren nur einige böse Reaktionen aus der Vätergeneration der provokanten Jungsozialisten.

Der Blätterwald fing an zu rauschen, ein Dementi der Regierungsfraktion jagte das andere, das Erzbischöfliche Schulamt wurde überhäuft mit Solidaritätsadressen. Nur eines wollte trotz des vielen Lärms um die Sache nicht so richtig ins Rollen kommen: die Diskussion um die Notwendigkeit und die positiven Werte eines ethisch fundierenden Religionsunterrichtes.

Nun halten wir bei Jahresfrist, ein neuer Schulbeginn ist da. Darf man gewöhnlich gut informierten Kreisen und einem Hinweis in der August-Nummer der Zeitschrift „Die Wacht“ glauben, hatten die Wiener Jungsozialisten bereits vor Wochen 100.000 Flugblätter drucken lassen, mit denen sie auch heuer wieder ihr Glück bei den Wiener Schülern versuchen wollten. Zwar mit kaum größeren Aussichten als im Vorjahr, als sich nur wenige zur Abmeldung vom Religionsunterricht bewegen ließen, doch auf lange Sicht könnte von der Taktik, ständig gegen das Schulfach Religion Stimmung zu machen, es in Mißkredit zu bringen, doch etwas hängenbleiben.

Jetzt sieht die Situation freilich wieder anders aus. Sowohl die Junge Generation, wie auch die Sozialistische Jugend der Bundeshauptstadt schlössen in Telefongesprächen mit der FURCHE für heuer eine ähnliche Flugblattaktion wie im Vorjahr, zumindest unter ihrer Planung, aus. Was die Fragen aufwirft: Waren die diesbezüglichen Informationen falsch, vielleicht sogar bewußte Irreführungen? Oder hat die Parteiführung, der man in dieser Frage keineswegs wohlwollende Unterstützung unterstellen darf,

ein Machtwort gesprochen? Oder wird es vielleicht doch Flugblätter geben? Ob die schriftliche Aufforderung zur Abmeldung vom Religionsunterricht wirklich verteilt wird oder nicht, steht spätestens zehn Tage nach Schulbeginn fest, da sich die Schüler bis dahin abgemeldet haben müssen.

Ganz allein steht die Junge Generation in der SPÖ jedenfalls nicht, denn ein auf ein positives Bekenntnis zum Religionsunterricht zielender Antrag des Mittelschüler-Kartell-Verbandes (MKV) in der Vollversammlung des Bundesjugendringes vom Juni dieses Jahres scheiterte sowohl an der Haltung der Sozialistischen Jugend als auch an den sozialistischen Natur- und Kinderfreunden.

Auf jeden Fall stehen die Befürworter des Religionsunterrichtes heuer „Gewehr bei Fuß“, um gegebenenfalls die Schüler auf die positive Bedeutung

dieses Unterrichtsgegenstandes aufmerksam zu machen. Wenn doch sozialistische Flugblätter verteilt werden sollen, werden sofort unter Federführung des Erzbischöflichen Schulamtes Angehörige der Katholischen Studierenden Jugend, der Marianischen Kongregation und des MKV 50.000 Gegenflugblätter unter das Schülervolk von Wien (es geht ja bei all dem immer nur um die Bundeshauptstadt) bringen.

Um eine wenig erfreuliche Wiederholung des vorjährigen Pressereigens rund um den Religionsunterricht zu vermeiden, plant der österreichische Cartellverband (CV) für voraussichtlich Dezember einen substantiellen Beitrag zu dieser Thematik. Eine Enquete über „Religionsunterricht und Neue Ethik“ soll durch psychologische, pädagogische, soziologische und technische Perspektiven hindurch die Unverzichtbarkeit religiös-ethischer

Erziehung in der heutigen Zeit ins allgemeine Bewußtsein heben.

Die Grenzen des Wachstums, die erfahrbare Endlichkeit menschlichen Könnens führen zu einer zunehmenden Verunsicherung der diversen Establishments an den Schalthebeln unserer Gesellschaft, aber in gleichem Maße auch der von diesen Establishments Verwalteten. Die Fragwürdigkeit westlicher Lebensphilosophie ruft einerseits den Wunsch nach Besinnung auf die Bestimmung des Menschen hervor, anderseits aber auch eine „existentielle Frustration“ (Viktor Frankl), verstanden als ein „Unerfüllt-gebliebensein des menschlichen Anspruches auf ein möglichst sinnerfülltes Dasein.“

Diese zweite Reaktionsvariante betrifft insbesondere die Jugend, denken wir doch an Schülerselbstmorde, Rauschgift- und Alkoholmißbrauch, Jugendkriminalität und Zunahme der Jugendpsychosen (Johann Millendor-fer). Sie erklärt sich unter anderem aus der fehlenden religiösen Fundierung des heutigen Menschen, dem daher die Erfahrung feines seine Existenz tragenden und umsorgenden Sinn- und Zielgrundes versagt bleibt.

„Im Gegensatz zum Menschen in früheren Zeiten sagen ihm heute keine Traditionen mehr, was er soll“, sagt Frankl. Wenn dieser Satz gilt, so erlangt gerade heute ein Religionsunterricht enorme Bedeutung, der der allgemeinen Relativierung der Werte entgegentritt und dem Jugendlichen eine geistige, seelische und religiöse Heimat zu geben vermag. Die Hoffnung auf eine Vermenschlichung der Zukunft ohne brutale Verteilungskämpfe in der Nord-Süd-Ebene wie innerhalb der wirtschaftsgebremsten Industrieländer selber hat nur dann ihre Berechtigung, wenn die Jugend eine durch Gott und Jenseits befestigte Ethik der Liebe besitzt.

Damit aber die Jugend zum Träger einer fast allseits als unumgänglich erkannten Neuen Ethik werden kann, braucht man den Unterricht nach „sittlichen, religiösen und sozialen Werten, sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen“, wie es das Schul-organisationsgesetz formuliert.

Die Definition dessen, was gut, wahr und schön ist.'was als unaufgebbarer Grundwert zu bejahen ist, kann nur unter Aufbietung aller geistigen Kräfte einer Gesellschaft und durch Anerkennung einer die bloße Nützlichkeit des Hier und Jetzt übersteigenden Ethik erfolgen. Auf welche Weise sollte denn die Schule als staatliche Institution diese Erziehungsarbeit leisten, wenn nicht mit Hilfe eines Religionsunterrichtes, der problemorientiert und aufgeschlossen junge Menschen zum Sinn allen gesellschaftlichen Engagements und des menschlichen Lebens hinführt?

Wodurch sollte die Schule die Kluft zwischen der Welt des Seins und der des Sollens als schmerzliche Diskrepanz erklären, wenn nicht mit Hilfe eines religiös begründeten Weltbildes vom sittlichen Auftrag aller Menschen?

. Die Schule braucht daher dringend die Institution des Religionsunterrichtes, will sie mündige Staatsbürger mit Sinn- und Verantwortungsbewußtsein hervorbringen.

Es bleibt zu hoffen, daß die genannten Aufgaben vom Elternhaus an jenen Schülern geleistet werden, die sich dank unüberlegter politischer Propagandaaktionen vom Religionsunterricht abgemeldet haben.

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