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Der Botschaft fehlt das Salz

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Europaweit werden Religionsunterricht und Tradierung des Glaubens zunehmend in Frage gestellt. Das Beispiel Englands zeigt besonders deutlich Probleme und Tendenzen.

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Europaweit werden Religionsunterricht und Tradierung des Glaubens zunehmend in Frage gestellt. Das Beispiel Englands zeigt besonders deutlich Probleme und Tendenzen.

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In unserer Kultur ist das Paradigma des Menschen der diesseitige Mensch, für den Religion zweitrangig geworden ist. Aber in der ganzen Geschichte der Menschheit war und ist der Mensch transzendenzorientiert. Das herrschende antitranszendente Denken breiter Gesellschaftsschichten unserer Zeit stellt aus der Perspektive der Weltgeschichte eine einmalige Verirrung dar.

Hat Religion den Anschein der Unwirklichkeit und Unglaubwür-digkeit erhalten? Ist sie auf rein ethische und soziale Studien reduziert worden? Gerade die jüngste Entwicklung in Italien mit der Freigabe des Religionsunterrichtes zum Wahlfach an allen öffentlichen Schulen führt zu der Frage, wie es europaweit mit der Glaubensunterweisung bestellt ist.

Manche Tendenzen der neueren Religionsdidaktik scheinen eher

zu einer Haltung des agnostischen Humanismus und zu religiöser Gleichgültigkeit zu führen als zu einer hoffnungsvolleren Neubesinnung auf das Zentrum des christlichen Glaubens.

Frank Lyons, Professor an einem Technical College in York-shire, England, befaßte sich in einer ausführlichen Studie über die aktuelle Lage des Religionsunterrichtes in seinem Land, auf der der vorliegende Beitrag basiert.

Er stellt eingangs fest, daß es im Gegensatz zu früher heute keine klar vorherrschende Auffassungen und allgemein anerkannte Uber sichten zu den Zielen des Religionsunterrichtes gibt. Das einzig Gemeinsame scheint das Ringen um neue Zielformulierungen in Wechselwirkung mit prakti- ' sehen Versuchen zu sein.

Die Säkularisation des Religionsunterrichtes hat nach Ansicht Lyons ihre Wurzeln in den sechziger Jahren, als an den Universitäten die theologischen Fakultäten in Fakultäten für Religionswissenschaft verwandelt wurden. Diese Disziplin untersucht die Religion nicht mehr nach ihrem Wahrheitsgehalt, sondern sieht sie nur noch als ein menschliches Phänomen ohne spezifische Verpflichtung.

Die Rede ist aber (noch) nicht von Österreich, sondern von England, das in den letzten 40 Jahren die traditionelle Gestalt seiner religiösen Unterweisung verloren hat. England dient hier nur als ein besonderes Beispiel einer europaweit bemerkbaren Entwicklung.

Die zentrale Frage des Religionsunterrichts besteht heute darin, ob die Kinder sich selbst auf die Suche nach ihrem Lebenssinn aufraffen müssen oder ob es Aufgabe des Religionsunterrichtes ist, den Kindern den Weg zu zeigen, ihnen Hilfe zukommen zu lassen, wie man zu diesem Ziel gelangen kann.

In den sechziger Jahren erschienen in England eine Reihe von theologischen Interpretationen und Darstellungen, wie John A. Robinsons „Honest to God" (Auf-

richtig zu Gott) oder die „Gott-ist-tot-Theologie" Paul van Burens oder Harvey Cox' „Stadt ohne Gott", die eine radikal veränderte Sicht des Glaubens darlegten.

Die Rede von Gott war offen-

sichtlich zu einem spezifischen Problem geworden. Kann Gott in der „Tiefe" der menschlichen Erfahrungen und mitmenschlichen Beziehungen erkannt werden? Gibt es in der Tiefe der weltlichen Erfahrungen „Zeichen der Transzendenz" Gottes?

Die traditionelle Sprache der Theologie und der Kirche schien nicht mehr auszureichen, um dadurch dem modernen Menschen die Botschaft Jesu Christi nahezubringen. Deshalb begann man unwillkürlich — besonders unter dem Einfluß des Existentialismus — das Neue Testament zu entmythologisieren, die christlichen Lehrinhalte wurden nur mehr als Symbole zur Interpretation der menschlichen Situation erörtert.

Die neuartigen Forderungen an den Religionsunterricht führten dazu, Ziele und Inhalte des Gegenstandes völlig zu reformieren und herkömmliche Methoden als fragwürdig hinzustellen. Dieses neue und revidierte Konzept des Religionsunterrichtes war auf die vermeintlichen Bedürfnisse des Kindes abgestimmt und völlig vom liberalen Gedankengut geprägt.

Das Ziel religiöser Erziehung bestand damals noch im konfes-sionell-glaubensorientierten Engagement der Kinder im christlichen Glauben. Es zeichnete sich aber schon immer deutlicher ab, daß es in einer Schulklasse nicht in erster Linie um die „Unterweisung von Kindern in einer bestimmten Glaubensrichtung" gehen durfte, sondern um „die Er-

ziehung der Kinder zum Verstehen von Glaubensrichtungen" gehen sollte.

Das „Arbeitspapier 36" des Rates der Schulen (School's Council) von 1971 setzte die in Gang gekommene Entwicklung sinngemäß fort. Das Ziel religiöser Erziehung in (Staats-)Schulen besteht demnach darin, Verstehen und Einsicht zu vertiefen und nicht zu missionieren (proselyti-se). Damit waren die Voraussetzungen gegeben, zwei wesentliche Erscheinungsformen in der Geschichte des Religionsunterrichtes in England vorzubereiten. Der implizit-religiöse (kindbezogene-existentiale) Ansatz und der ex-plizit-phänomenologische Ansatz.

Harold Loukes, der Hauptvertreter des implizit-religiösen Ansatzes, war in „New Ground in Christian Education" (1965) zu dem Ergebnis gekommen, daß

Kinder zwar an religiösen Fragen interessiert sind, aber den bibelorientierten Unterricht langweilig fanden. Seiner Ansicht nach müßte deshalb der Religionsunterricht aktuellere Bedeutung besitzen, von der Erfahrung des Schülers ausgehen und so die Brücke zum Lehrinhalt wieder herstellen.

Seit Loukes Buch „Teenage Religion" (1961) wird dieser Ansatz allgemein als „problemorientierte religiöse Erziehung" bezeichnet. Loukes war überzeugt, daß die Kinder bei entsprechender Einführung eine religiöse Dimension entdecken könnten. In der Praxis war jedoch diese Art von Unterricht nicht mehr vom Sozialkunde-Unterricht zu unterscheiden. Der Religionsunterricht wurde schrittweise durch einen Ethik-Unterricht ersetzt.

Ninian Smart gilt als Vorkämpfer des explizit-religonsbezoge-nen oder phänomenologischen Ansatzes, der in den siebziger Jahren die Weltreligionen zum vorherrschenden Thema des schulischen Religionsunterrichtes machte.

Religion wird als ein „mächtiges menschliches Phänomen verstanden, welches die menschliche Gesellschaft und Kultur gestaltet und die immerwährenden letzten Fragen zu beantworten sucht". Das Ziel des Unterrichts lautet demnach, „Fähigkeiten zu schaffen, mit denen Religion zu verstehen ist und über Religion nachgedacht werden kann". Vom Religionslehrer hingegen erwartet man sich, daß er Werturteile vermei-

det und eine Haltung sympathischer Neutralität allen Religionen gegenüber einnimmt. Die Frage, ob er selber ein gläubiger Mensch ist oder nicht, ist eher zweitrangig-

Der Zweck des Religionsunterrichtes ist jetzt nicht mehr, Kinder zu Christen zu machen und dadurch ein religiöses Erbe weiterzugeben, sondern sie mit Einfühlungsvermögen auszustatten, was es heißt, religiös engagiert zu sein. So lernen die Kinder gleichermaßen die „fünf Pfeiler des Islam" kennen, die „vier edlen Wahrheiten des Buddhismus" sowie die Lehre und Wirksamkeit der christlichen Sakramente.

Die jüngsten britischen Lehrpläne für den Religionsunterricht, die nach dem phänomenologischen Ansatz strukturiert sind, können aufgrund ihrer völlig neutralen Haltung gegenüber den Religionen eigentlich nicht mehr als Lehrpläne für den Religionsunterricht bezeichnet werden. In ihnen geht es vorrangig um die allgemeine Verantworung zum Bürgersein, inklusive Sozial- und Umweltschutzprobleme.

Diese neuen Lehrpläne, mit ihrer Betonung der wissenschaftlichen Methoden, sind bereits grundlegend säkularistisch orien-

tiert. Religiöse Uberzeugung und Ansichten über Religion sind der Privatsphäre zugeordnet. Von hier aus ist der Weg zu einer nihilistischen Philosophie nicht mehr weit, wenn religiöse Wahrheiten als sinnlos eingestuft werden, weil sie nicht mehr verifiziert werden können. Neutralität heißt hier „Bindungslosigkeit", die im wesentlichen eine Hinführung in den Agnostizismus bedeutet, Agnostizismus ist aber die Vorstufe zum Atheismus.

Letztlich bleibt die Frage zu klären, wie es zu dieser verhängnisvollen Entwicklung kommen konnte. Ist die christliche Botschaft und mit ihr die Kirche nicht mehr überzeugend genug? Leben wir als Christen, Laien und Priester, nicht mehr glaubwürdig in dieser Welt?

Zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung auch in Österreich ab? Manches spricht dafür, etwa die steigende Anzahl von Religionslehrern, die frustriert von ihrem Beruf Abschied nehmen, stellt kein gutes Zeugnis aus. Sie befinden sich oft in einem Dilemma zwischen (Amts-)Kirche, Schulleitung, Schülern und Eltern. Ihr Klagen über fehlende „lebendige" Pfarrgemeinden, in die ihre Schüler hineinwachsen sollten, sind nicht mehr zu überhören.

Es fehlt wahrscheinlich nicht am Idealismus der Religionslehrer, aber ohne das Rückgrat echter christlicher Familien, einer lebendigen Pfarrgemeinde, bleibt vieles von dem, was die Schüler im Unterricht hören, nur graue Theorie, ein erstarrtes Glaubensgebilde ohne Uberzeugungskraft. Es hegt an uns, die Botschaft Jesu Christi überzeugender und lebendiger zu leben als bisher, denn „wenn das Salz schal wird, taugt es zu nichts mehr. Es wird hinausgeworfen und von den Leuten zertreten".

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