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Nachfolge ohne Vasallentreue

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Nur gehorsam schweigen und vernunftwidrig glau: ben können liberale Katholiken nicht. Aber viele haben die Sehnsucht, sich in der Kirche wieder heimisch zu fühlen.

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Nur gehorsam schweigen und vernunftwidrig glau: ben können liberale Katholiken nicht. Aber viele haben die Sehnsucht, sich in der Kirche wieder heimisch zu fühlen.

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Bevor der Liberalismus aufgetreten ist, waren die Menschen ihrer Kirche mit Ehrfurcht, Gläubigkeit, Gehorsam und Treue begegnet und zwar so, daß auch Auswüchse und Ungereimtheiten verkraftet werden konnten.

Die Haltung des liberal geformten Menschen zur katholischen Glaubensverkündigung ist eine andere:

Sie ist nicht von vornherein ehrfurchtsvoll, sondern vom Bewußtsein des eigenen Urteilsvermögens getragen. Sie ist nicht von vornherein gläubig, sondern kritisch prüfend. Sie ist nicht gehorsam, sondern höchstens „nachfolgebereit". Sie ist keine „Vasallentreue", sondern höchstens eine Verbundenheit, die immer wieder neu, aus echter Anerkennung herausreifen muß.

Die Grundeinstellung zur katholischen Kirche ist aber keineswegs einheitlich im liberalen Lager. Es gibt da viele Nuancen. Sie reichen von absoluter Ablehnung über tolerante Gleichgültigkeit bis zur Sehnsucht, sich in einer endlich liberalisierten Kirche wieder heimisch fühlen zu können.

Was ist aber allen Liberalen gemeinsam? Welche Grundsätze bestimmen den echten Liberalen, wenn er zu Fragen von Religion und Weltanschauung Stellung nehmen soll? Es sind Grundsätze wie

• die freie Urteilsbildung ohne Glaubenszwang und ohne gedankenlose Übernahme traditioneller Auslegungen oder überlebter „Zutaten" zu den Grundelementen des Glaubens;

• der Einbau von Menschlichkeit, Realitätssinn und Gerechtigkeit in die Sittenlehre der Glaubensgemeinschaft;

• die Erfüllung der Erneuerungsaufgabe, die jeder neuen Epoche gestellt ist;

• die Möglichkeit, auch in Glaubens- und Sittenfragen mitzudis-kutieren und in angemessener demokratischer Form mitzuentscheiden.

In der Kirche gibt es aber nicht jene breite und allgemeine Diskussion, die dem Liberalen vorschwebt. Ja, vielleicht in der Theorie und in den schwachen und inzwischen versandeten Ansätzen, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil stammen, aber nicht in der heutigen Praxis der Kirche.

Man hat dem Liberalismus vorgeworfen, er hätte Gott von seinem Thron stoßen und an seine Stelle den Götzen der menschlichen Vernunft setzen wollen.

Für den heutigen Liberalismus stimmt das sicher nicht mehr. Gerade er ist sich der Unzulänglichkeit alles Menschlichen, also auch der menschlichen Vernunft, mehr als bewußt.

Die Erneuerungsabsicht geht heute nicht so weit, daß man anstelle der christlichen Religion eine eigene, andere Religion oder Philosophie hinstellen möchte. Dazu hatte es wohl im vorigen Jahrhundert ab und zu Ansätze gegeben.

Heute hat sich der Liberalismus klar dazu bekannt, keine Weltanschauung, keine Philosophie sein zu wollen. Er erklärt sich als eine „Haltung", die durch wenige Grundsätze charakterisiert wird...

Reformen und Revisionen hat es in der katholischen Kirche Gott sei Dank — immer wieder gegeben. Man hat die Inquisition, die Hexenjagd und die Belehrung der Naturwissenschaftler aufgegeben. Schneller als zu Galilei's Zeiten hat man in letzter Zeit die Schöpfungsgeschichte den neuen Erkenntnissen angepaßt.

Diese Aussicht auf Reform hält die liberalen Katholiken bei der Stange. Liberale Toleranz — d. h. das Verständnis für menschliche Unzulänglichkeiten der Kirche — setzt sie instand, bescheiden zu warten, bis kirchliche Einsicht auch in die „kritischen Zonen" eindringt.

Die Zwischenzeit überbrücken sie mit ihrem eigenen Urteil, das sie in dem Glauben fällen, die offizielle Kirche werde sich zu eben dem selben Urteil in absehbarer Zeit genauso durchringen, wie sie sich im 19. Jahrhundert zur Aufhebung der Inquisition durchgerungen hat.

Ein Nahverhältnis zu Gott hat man ja nicht nur durch die Kirche, sondern auch durch sein persönliches Gewissen.

Das ist die Nachfolgebereitschaft, welche die liberalen Katholiken ihrer Kirche entgegenbringen. Nur gehorsam schweigen und vernunftwidrig glauben können sie nicht.

Es geht ja nicht bloß darum, daß sich einige wieder mit ihrem verblaßten Jugendideal zurechtfinden, sondern auch darum, daß die Kirche ganz allgemein im geistigen und politischen Leben unseres Jahrhunderts wieder einen guten Platz einnimmt, weder bevorzugt noch beargwöhnt, sondern als zeitgemäße, ideologische Kraftquelle, die mithilft, Menschlichkeit zu verbreiten.

Wenn die Kirche aufhört, mit ihren Rückständigkeiten zu „irritieren", wird auch wieder der Blick frei werden auf den hervorragenden Beitrag, den sie zu unserer Kultur, zu unserer inneren Ausgeglichenheit und auch zu unserer Zivilisation geleistet hat.

Das Wichtigste scheint mir, daß die heutigen Formen der „kirchlichen Autorität" überdacht, diskutiert und behutsam geändert werden. Sie sind von den untergegangenen Monarchien und deren konservativer Vorstellungswelt übernommen worden. Die Kirche braucht eine Verfassungsreform, um ihre laufend erforderlichen .. Reformen überhaupt in Bewegung zu bringen.

Die Welt ist so kompliziert, so vielgestaltig geworden, daß sie nicht mehr von einem einzigen Menschen überschaut und gemeistert werden kann.

Die Bischöfe Österreichs und mancher anderer Länder haben sich gegen die Meinung des Papstes über Pille und Familienplanung ausgesprochen. Bei der heutigen Verfassung der Kirche führt das jedoch zu nichts.

Es bedarf einer echten Demokratisierung, mit nationalen Beratungsorganen. Es bedarf einer ständigen Einrichtung, in der die anstehenden Reformen zu behandeln wären. Man kann nicht ein Konzil nach dem anderen einberufen.

Die Aufgabe eines solchen Gremiums wäre auch die Revision der Glaubensverkündigung. An den Grundelementen ist nichts zu ändern, aber zu vielen Geheimnissen müßte man wieder den Mut haben zu sagen: „Ignoramus et ignorabimus" („Wir wissen es nicht und wir werden es nicht wissen").

Die bisherige Glaubensverkündigung war viel zu sehr von der Theorie getragen, daß die Kirche alles wisse und alles erklären könne. Erst wenn sich eine solche „Bescheidenheit des Wissens" durchgesetzt hat, wird der moderne Gläubige das Gefühl bekommen, daß sein Glaube mit der menschlichen Realität im Gleichklang steht.

Der Autor, Gründer des „Verbands der Unabhängigen" (VdU), ist heute Präsident des „Liberalen Klubs" und Herausgeber der Zeitschrift „Berichte und Informationen". Der Beitrag ist ein Auszug eines Vortrags vor der „Arbeitsgemeinschaft Freiheitliche Katholiken" in Graz.

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