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Exerzitien - neu entdeckt

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Exerzitien sind wieder „in“. Geistliche Übungen, wie sie auf den heiligen Ignatius von Loyola zurückgehen, stehen diametral im Gegensatz zu den Praktiken moderner Sektenführer.

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Exerzitien sind wieder „in“. Geistliche Übungen, wie sie auf den heiligen Ignatius von Loyola zurückgehen, stehen diametral im Gegensatz zu den Praktiken moderner Sektenführer.

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Im nördlichen Osterreich, auf Schloß Raabs an der Thaya, ist gegenwärtig die Ausstellung „Heilige Experimente, Indianer und Jesuiten in Südamerika“ zu sehen. Sie dokumentiert, wenigstens in den ersten Sälen, den Versuch der Jesuiten, im 17. und 18. Jahrhundert, südamerikanische Indianer, besonders vom Stamm der Guarani, vor dem Zugriff portugiesischer Sklavenjäger zu schützen. Die Jesuiten verfolgten dabei das Ziel, den Indianern in ihrer tödlichen Bedrohung so zu helfen, daß sie früher oder späterfähig würden, sich selbst zu versorgen, zu organisieren und zu verteidigen. Doch alles scheiterte, als in einer vielfachen Verflechtung von Interessen und Intrigen europäischer Mächte die Jesuiten in diesen Gebieten 1768 der Aufhebungsbeschluß ereilte.

Was stand am Ursprung dieses „HeiligenExperimentes“, wie es der Dramatiker Fritz Hochwälder einmal nannte? Was gab jungen europäischen Christen die Idee und den Mut, sich in einem fremden Kontinent in so selbstloser Weise für andere einzusetzen?

Der erste Ausstellungsraum im Schloß Raabs zeigt unter anderem ein kleines, unscheinbares Buch. Es ist das Exerzitienbuch von Ignatius von Loyola (1491-1556). Es hätte so viele Heilige hervorgebracht, als es Buchstaben enthält, meinte der fromme Volksmund. Wohl eine Übertreibung I

Als „Grundriß, Prinzip und Fundament für die das Leben umgestaltende Begegnung der Seele mit Gott“ definiert es Hugo Rahner SJ, einer der besten Kenner dieses Buches und meint, „daß Ignatius mit seinem Buch der Geistlichen Übungen und seiner Ordensgründung den Gang der Kirchengeschichte in neue Bahnen gelenkt hat, wird von Freund und Feind zugegeben“.

Der Heilige selbst schreibt über sein Buch: „Unter dem Namen der Geistlichen Übungen versteht man jede Art, das Gewissen zu erforschen, sich zu besinnen, zu betrachten, mündlich und rein geistig zu beten und andere geistliche Tätigkeiten...“ Der alte Offizier fügt hinzu: „Denn so wie Spazierengehen, Marschieren und Laufen körperliche Übungen sind, gleicherweise nennt man Geistliche Übungen jede Art, die Seele vorzubereiten und dazu bereit zu machen, alle ungeordneten Neigungen von sich zu entfernen, und nachdem sie abgelegt sind, den göttlichen Willen zu suchen und zu finden in der Ordnung des eigenen Lebens zum Heil der Seele.“

Dabei verfolgt Ignatius eine Methode, die derjenigen von modernen Sektenführern diametral entgegengesetzt ist. Richtig gegebene Exerzitien kennen keinen Zwang, keinen psychischen Druck und keine Manipulation. Dem „Übenden“ wird empfohlen, sich in die Stille eines Exerzitienhauses oder eines Klosters zurückzuziehen. Dort erhält er vom Exerzitienbegleiter, in der Regel von einem Priester, in jüngster Zeit auch von Ordensfrauen und Laien, bestimmte, methodisch aufgebaute Themen vorgelegt, mit denen er sich im Gebet und Meditation ganz persönlich auseinandersetzen soll:

Was ist der Sinn meines Lebens? Welche Aufgaben hat Gott in mein Leben gestellt? Wie finde ich meinen Weg zu Gott? Wie entdecke ich Gottes Heilsplan in meinem Leben? Was sagt mir die Heilige Schrift? Was das Leben Jesu? Und dann die typische ignatianische Frage: mit welchen Methoden erreiche ich das Ziel?

Die Antworten enthält nicht das Exerzitienbuch. Sie gibt auch nicht der Exerzitienbegleiter. Die einzige Hilfe ist die Beschäftigving mit den Hauptgedanken des Exerzitienbuches. Es bleibt also dem Übenden überlassen, die Antworten selbst zu finden. Dazu fordert ihn Ignatius immer wieder auf, innerlich ruhig zu werden, und in dieser Ruhe auf die Stimme seines Gewissens zu hören, die uns in der markanten Formulierung Martin Heideggers „ruft im unheimlichen Modus des Schweigens“.

In ähnlicher Weise kann der Übende auch die Stimme Gottes hören -und das ist das eigentliche Ziel von Exerzitien. Es geht also nicht so sehr um die bessere Erkenntnis des christlichen Glaubens, sondern um die richtige Entscheidung im eigenen Leben. Und das heißt für Ignatius: dem Heilsplan Gottes für das einmalige und unwiederholbare Leben jedes einzelnen Christen besser zu entsprechen.

Exerzitien finden in jüngster Zeit großes Interesse. Zahlreiche Exerzitienhäuser sind von Diözesen und Ordensgemeinschaften neu eröffnet worden. Auch evangelische Christen entdecken heute den Wert von Exerzitien.

Durch Jahrhunderte hatten sie diese wegen ihrer „zu katholischen Art“ abgelehnt. Karin Johne, eine evangelische Christin in der DDR, gelang es mit viel Geduld und Zähigkeit, ihre Kirchenleitung von der Wichtigkeit solcher Kurse zu überzeugen. Gegenwärtig werden in der DDR pro Jahr nicht weniger als 50 Kurse angeboten. Sie alle gehen auf ihre Initiative zurück, haben zwar eine eigene Prägung, doch ist die Nähe zum Exerzitienbuch unverkennbar.

Ignatius selbst gab Exerzitien nur an Einzelpersonen. Sie dauerten in der Regel 3 0 Tage. Diese Art war im Laufe der Jahrhunderte nahezu in Vergessenheit geraten. Heute neu entdeckt, werden 30tägige Exerzitien auch für Laien angeboten. Für gewöhnlich aber werden heute Exerzitien an Gruppen gegeben und dauern drei bis acht Tage. Eine neue Form sind „Exerzitien im Alltag“. Der Exerzitienleiter lädt die Gläubigen zu Abendvorträgen ein und steht ihnen für Gespräche zur Verfügung. Die Teilnehmer verarbeiten die Vorträge in einer täglichen Meditation von 30 bis 60 Minuten. Solche Kurse haben den Vorteil, Berufstätigen, die sich nur schwer für mehrere Tage in ein Exerzitienhaus zurückziehenkönnen, die Teilnahme zu ermöglichen.

Neben der traditionellen Auslegung der Gedanken des Exerzitienbuches werden heute auch biblische, liturgische und dogmatische Themen gewählt. Das ist zu begrüßen. Es stellt sich nur die Frage, inwieweit in solchen Kursen das spezifische Ziel der Exerzitien verfolgt wird, das vor allem die Glaubensentscheidung und weniger das Glaubenswissen vor Augen hat.

Ein österreichischer Bischof hat das Interesse für Exerzitien in seiner Diözese mit einem Thermostaten verglichen. Wo es unter einen kritischen Grenzwert absinkt, kühlt das Leben des Glaubens ab. Tragende Glaubenshaltungen laufen Gefahr, Schaden zu nehmen. Umdenken wird signalisiert.

Heute, wo der Glaube nicht mehr vom gesellschaftlichen Umfeld mitgetragen wird, gewinnen Exerzitien an Bedeutung. Durch sie wird der Glaube nicht nur bereichert und vertieft, sondern, um ein Wort des heiligen Ignatius zu verwenden, er wird in einem „wohl überlegten, freien Entschluß“ zur formenden Kraft des eigenen Lebens.

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