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Flucht aus der Gegenwart
Wenn im Vorjahr von 50 Jahren „Mostra Internaziona- le d’Arte Cinematografica“ die Rede war, so stimmte dies wohl in Hinblick auf das Gründungsjahr 1932, aber nicht so präzise, was die Zahl der Veranstaltungen betrifft. Durch die während der Kriegszeit, der ersten Nachkriegsjahre und der durch die internen Konflikte der siebziger
Jahre bedingten Ausfälle gab es heuer mit der 40. „Mostra“ auch ein kleines Jubiläum.
Als Direktor des „Settore Cinema" der „Biennale“ war auf den Regisseur Carlo Lizzani der Journalist Gian-Luigi Rondi, angesehener Kritiker der römischen Tageszeitung „II Tempo“, gefolgt.
Rondi wollte sein Festival durch die Einladung einiger Großer der Filmkunst glanzvoll gestalten. Im Mittelpunkt stand für ihn der Autor, der seine Werke selbst inszeniert, nicht aber der Schauspieler oder gar der Star. So
hatte er von Woody Allen über Robert Altman, Ingmar Bergman, Costa-Gavras, Federico Fellini, Jean-Luc Godard, Kon Ichikawa, Alexander Kluge, Ermanno Olmi, Georges Rouquier bis zu Andrzej Wajda einen stolzen Prominentenreigen aufzubieten, wobei Fellini, Bergman und Allen nur außer Konkurrenz „starteten“.
Nicht sehr ergiebig war - mit zwei Ausnahmen — die neuen Autoren vorbehaltene Sektion „Venezia Giovani“.
Insgesamt gab es im Wettbewerb um den „Goldenen Löwen“ 30 Filme, wobei Italien (auch heuer wieder recht schwach), Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland mit je vier Beiträgen vertreten waren.
Die Franzosen hatten neben ihren Filmen noch zwei Co-Produk- tionen ins Rennen geschickt, von
denen sich jene mit Martinique („Rue cases negres“) als weitaus besser erwies als eine andere mit Vietnam.
Der „Goldene Löwe“ für den besten Film wurde von einer Jury, in der immerhin zwölf namhafte Regisseure und Autoren aus vier Kontinenten (für Österreich Peter Handke) saßen, unverständlicherweise sogar einstimmig, Jean-Luc Godard für sein neues Oeuvre „Prėnom Carmen“ zugesprochen, in der eine dünne, belanglose Story durch die oftmalige Wiederholung sinnloser Einstellungen einen Beschauer, für den Godards Stil keine Weltanschauung ist, auf eine harte Geduldprobe stellte. Daß der Go- dard-Film noch dazu einen Spezialpreis für Bild und Ton erhielt, unterstreicht wohl nur, was in Venedig ein offenes Geheimnis war:
Bernardo Bertolucci als Jury- Präsident dürfte die Fäden ganz gründlich für Godard gezogen haben.
Sehr erfreut kann man hingegen über den Großen Spezialpreis der Jury für „Biquefarre“ sein, in dem Georges Rouquier eine durch ihre Lebensnahe und Menschlichkeit bezwingende Variation seines Dokumentarklassikers „Far- rebique“ von 1946 schuf. Eindeutigen, verdienten Erfolg hatte der bereits zitierte Streifen „Rue cases negres“, die sehr stilvolle Geschichte der Entwicklung eines Buben auf der Karibikinsel Martinique während der französischen Kolonialzeit der dreißiger Jahre. Für ihn gab es einen Preis für das beste Erstlingswerk, eine Auszeichnung für eine Neger- schayspielerin sowie den Preis der „Internationalen Katholi
sehen Filmorganisation“ (OCIC).
Ein fast erschreckendes Charakteristikum des heurigen Festivals war, daß fast alle großen Filmschöpfer ihre Werke in der Vergangenheit ansiedelten. Dies gilt für Fellinis erst im Finale die geniale Phantasie des Italieners ausweisende Satire „E la nave va“, für Bergmans sechsstündiges, trotz erheblicher Längen dichtes Familienepos „Fanny und Alexander“, für Woody Aliens wieder blitzgescheite Komödie „Zelig“ und etliche andere Filme.
Positiv hervorgehoben aus diesem Bereich sei noch „Glut“ von Thomas Körfer, in dem der Schweizer mutige Kritik am Verhalten seines Landes während des Zweiten Weltkriegs geschickt mit aktuellen Konflikten verband. In diesem Film ebenso wie in dem weniger überzeugenden BRD- Beitrag „Eine Liebe in Deutschland“ von Andrzej Wajda zeigte Armin Müller-Stahl hervorragende Leistungen, die eines Preises für die beste männliche Darstellung eher würdig gewesen wären als das Ensemble von Robert Altmans „Streamers“.
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