6859164-1977_28_12.jpg
Digital In Arbeit

„Berlinale“ - gesellschaftspolitisch

19451960198020002020

Das Gros der gezeigten 21 Filme aus 14 Ländern mit gesellschaftspolitischen, weltanschaulichen und sozialen Auseinandersetzungen und Konfrontationen in West und Ost. Wobei es auch - von wenigen Ausnahmen wie Truffaut, Bresson und Bernhard Wicki abgesehen - überwiegend junge und kaum bekannte Regisseure, Drehbuchautoren und Schauspieler waren, die bei diesen Filmfestspielen an der Spree ihre teilweise recht interessanten und beachtlichen künstlerischen Visitenkarten abgaben. Anliegen und Aussage waren dabei zuweilen stärker als das formale, filmhandwerkliche Können.

19451960198020002020

Das Gros der gezeigten 21 Filme aus 14 Ländern mit gesellschaftspolitischen, weltanschaulichen und sozialen Auseinandersetzungen und Konfrontationen in West und Ost. Wobei es auch - von wenigen Ausnahmen wie Truffaut, Bresson und Bernhard Wicki abgesehen - überwiegend junge und kaum bekannte Regisseure, Drehbuchautoren und Schauspieler waren, die bei diesen Filmfestspielen an der Spree ihre teilweise recht interessanten und beachtlichen künstlerischen Visitenkarten abgaben. Anliegen und Aussage waren dabei zuweilen stärker als das formale, filmhandwerkliche Können.

Werbung
Werbung
Werbung

Ob diese gedankliche Neuorientierung des Festivals, das damit doch den avantgardistischen und experimentellen Maximen des seit einigen Jahren parallel laufenden Internationalen Forums des jungen Films ziemlich nahegerückt ist, sich auf die Dauer mit den eher kommerziellen Intentionen der Filmindustrie in Einklang zu halten sein wird, bleibt abzuwarten.

Zu den Wettbewerbsfilmen gesellten sich dann noch die vom Internationalen Forum des jungen Films präsentierten 42 Beiträge, unter denen die österreichischen Filme „Unsichtbare Gegner“ von Valie Export sowie „Wien-Film 1896 bis 1976“ von Ernst Schmidt junior, auch wegen ihres experimentellen Charakters Widerhall fanden! Dem in einer deutsch-öster reichischen Koproduktion entstandenen Streifen „Also war es so..von Karin Thome war der Beifall nicht im gleichen Maße beschieden.

Neu und besonders reich beschickt mit über 80 Filmen präsentierte sich die Informationsschau, wo der von der Sascha-Film produzierte und von den beiden jungen österreichischen Regis seuren Götz Hagmüller und Dietmar Graf gestaltete Streifen „Kanga Mus- sa“ über die Wallfahrt dieses afrikanischen Kaisers von Mali nach Mekka gewisses Publikumsinteresse fand. Denn das messeähnliche Angebot kommerziellen Filmschaffens wird nicht mehr nur von Verleihern und Kinobesitzern, sondern vor einer film- interessierten Öffentlichkeit gezeigt, deren Reaktion für Produzenten zu einem aufschlußreichen Test werden könnte. Zusammen mit der seit 21 Jahren ohne Unterbrechung durchgeführten Kurzfilm-Matinėe, die diesmal mit Filmen über Egon Schiele und Arnold Schönberg den künstlerischen Beginn des XX. Jahrhunderts dokumentierte, vermittelte Österreich also heuer einen relativ stärkeren und lebendigeren Querschnitt seines zeitgenössischen Filmschaffens.

Eine Retrospektive, die Marlene Dietrich und dem phantastischen Film in Deutschland gewidmet war, rundete die vielfältige Palette dieses Festivals, an dem mit der Sowjetunion, der Deutschen Demokratischen Republik, Ungarn, Jugoslawien, Tschechoslowakei, Bulgarien die bedeutendsten Filmländer des Ostblocks ebenso vertreten waren wie die Volksrepublik China, Korea und Kuba und die Länder der Dritten Welt. Sie stell- tendabei zumeist, entsprechend der in ihnen herrschenden und sozialistisch oder kommunistisch ausgerichteten Weltanschauung soziale oder politische Probleme in den Mittelpunkt ihrer filmischen Agitation. So führte der von Jorge Fons leidenschaftlich inszenierte mexikanische Film „Die Maurer“ in eine von Korruption, Diebstahl und Betrug regierte Arbeitswelt, in der jeder des anderen Feind oder gar Mörder ist. Junge Menschen im Ringen mit der mehr oder minder kapitalistisch orientierten Phalanx der Unternehmer und Etablierten stehen im Mittelpunkt des amerikanischen Films „Zwischen den Fronten“, dessen frische, unbekümmerte Regie Joan Micklin Silver - sie würde durch „Hester Street“ bekannt - besorgte. Ein recht eigenwilliges und individualistisches Redaktionsteam hat sich mit einem kleinen, popig aufgemachten

Sensations- und Klatschblättchen allmählich zu einem von der Öffentlichkeit wegen seines Mutes beachteten Publikationsorgans emporgearbeitet, um dann schließlich von einem großen, kapitalkräftigeren Zeitungskonzern geschluckt zu werden. Hingegen wirkt der australische Film „Don’s Party“ von Bruce Beresford mit seinen Sex- und Sauforgien während einer Wahlnacht nur abstoßend und widerlich.

Soziale, speziell frauliche Probleme rund um sexuelle Lüsternheit und moralische Engstirnigkeit in einer dörflichen Gemeinschaft werden in dem jugoslawischen Film „Karolinas Himmelfahrt“ von Matjaz Klopčič tragisch offenbar. Rustikale Deftigkeit und männliche Brutalität gelangen bei der psychischen und physischen Zerstörung eines Frauenlebens zu gleich- nishafter Wirkung. Gefühlvoll und romantisch, aber doch auch realistisch geht es in dem tschechoslowakischen Film „Ein Tag für meine Liebe“ von Juraj Herz zu. Mit subtilen szenischen und photographischen Mitteln baut er unprätentiös das Dasein eines jungen glücklichen Ehepaares auf, dessen Beziehungen durch den plötzlichen Tod ihres einzigen Kindes einer schweren seelischen Belastung ausgesetzt werden. Slawische, schwermütige Sensibilität skizziert Regisseur Igor Mas- lennikow in dem während der geistigen und menschlichen Wirren des Bürgerkrieges spielenden sowjetischen Film „Sentimentaler Roman“. Einem literarischen Vorwurf, der Novelle „Grete Minde“ von Theodor Fontane, entstammt auch der gleichnamige deutsche Beitrag der 39jährigen Regisseurin Heidi Genėe.

Sozialistisches Ideengut und die Sehnsucht der Arbeiter nach Freiheit und Gerechtigkeit beherrschen das Geschehen in dem schwedischen Film „Stadt meiner Wünsche“,

Mit einer oft entfesselten Kamera und einer etwas verwirrenden Handlungsführung will Bernhard Wicki die gärende Kluft zwischen Arbeitern und einer versnobten Gesellschaft italienischer Provenienz transparent machen und bleibt schließlich wenig überzeugend in der Nachahmung Fellinischer Monstrositäten stecken („Die Eroberung der Zitadelle“). Amüsant-unterhaltender Lichtblick inmitten des unterschiedlichen Aufgebotes politolo- gischer Problematik, wozu auch die Dokumentationen über den Caudillo und Hitler zu rechnen sind, bietet der mit Charme und Esprit gemachte französische Film „Der Mann, der die Frauen liebte“ von Franęois Truffaut.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung