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Gefahr „Hochflug“

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Bei Diskussionen mit Angehörigen der jungen Generation werden die Überlebenden von Widerstand und Verfolgung der Jahre 1938 bis 1945 immer wieder gefragt, was denn eigentlich unter illegaler Konspiration (der Bereich des bewaffneten Widerstandes sei hier ausgeklammert) zu verstehen sei. Vor allem aus

österreichischer Sicht sind dabei folgende Bereiche zu nennen: • Die Aufklärung der Öffentlichkeit über die Verbrechen des NS-Regimes und den Raubkrieg Hitlers, der nicht nur Unglück und Verderben über die „Feindstaaten“ brachte, sondern unweigerlich auch die „zum Reich gehörenden Gebiete“ ins Unglück stürzen mußte: Für die „Donau- und AIpengaue“, also das „ehemalige Österreich“, galt es, insbesondere die nationale Unterdrückung durch die „altreichsdeutsche“ NS-Herrenschichte zu dokumentieren.

Mittel dazu waren Flugblätter, sogenannte „Kettenbriefe“ (die Empfänger wurden ersucht, den Text mehrfach abzuschreiben und an Gleichgesinnte weiterzuleiten), die Verbreitung von Flüsterwitzen und Spottgedichten.

• Die Solidarität mit Verfolgten beziehungsweise Gefährdeten und deren Angehörigen: Dies reichte von Geldsammlungen bis zur Verbergung von „U-Booten“, also Menschen, die sich der Verhaftung oder Deportation durch Flucht in den Untergrund entziehen hatten können. Ihre Unterkunftgeber riskierten nicht nur Freiheit und Existenz, sondern sie mußten auch die kargen Lebensmittelrationen mit ihnen teüen.

Zahlreiche Fälle mit tragischem Ausgang ereigneten sich sowohl im linken als auch im rechten Widerstandslager. Es sei hier auch die kirchliche Hilfsstelle für nichtarische Christen in der Erzdiözese Wien erwähnt...

• Die Sabotage: Damit sollte Sand in das Getriebe der Kriegsmaschine gestreut werden: Ausschußproduktion in Rüstungsbetrieben, Störung von Transporten, die Unbrauchbarmachung von Maschinen etwa. Es handelte sich dabei um einen besonders gefährlichen Bereich. Wer erwischt wurde, mußte mit dem Todesurteil rechnen.

• Direkte Aktionen gegen das Regime und seine Exponenten: Dazu gehört etwa der österreichische militärische Widerstand in der Hitler-Wehrmacht. Es sei daran erinnert, daß die Verschwörung des 20. Juli 1944 gerade in Wien plangemäß durchgeführt wurde, die getroffenen Maßnahmen wegen des Zusammenbruches in Berlin aber dann zurückgenommen werden mußten. Auch die Aktion von Ferdinand Käs und Karl Szokoll im April 1945 geht auf dieses Konto.

Bei der Aufnahme in eine illegale Organisation mußten die in Betracht kommenden eventuellen Mitarbeiter nach verschiedenen Gesichtspunkten ausgewählt beziehungsweise getestet werden.

Voraussetzung war

• eine echte und fundierte Gegnerschaft zum NS-Regime, die nicht etwa bloß einer vorübergehenden Stimmung (Ärger über bestimmte Maßnahmen) entsprach;

• die Fähigkeit und Bereitschaft, die Mittel, Methoden und Instrumente der illegalen Tätigkeit auch entsprechend wirksam, schnell und rationell anzuwenden;

• die physische und psychische Härte im Falle einer Verhaftung, genannt ,3ochflug“, den brutalen Verhörmethoden der Geheimen Staatspolizei (Schläge, Essensentzug, Drohung mit Repressalien gegenüber Angehörigen) zu widerstehen und vor allem Mitverschworene nicht preiszugeben. Um dem letzteren Risiko entgegenzuwirken, waren Decknamen gebräuchlich, doch war dies na-türlich kein voller Schutz.

Tatsächlich wurden denn auch Kameraden schwach, von denen man dies nicht angenommen hätte. Mancher entzog sich dieser Gefahr vor der eigenen Schwäche durch Selbstmord.

Aus den dargelegten Gründen ergab sich, daß tatsächlich nur ein Bruchteil der Menschen, die dem Regime ablehnend gegenüberstanden, in die illegale Arbeit einbezogen werden konnten.

Das Potential war wesentlich größer als der eigentliche Kader. Und es ging sicher vielen wie dem Verfasser, der längere Zeit brauchte, bis er Anschluß an eine neue Gruppe fand, nachdem die bisherigen Verbindungen verlorengegangen waren.

Es liegt auf der Hand, daß sich die Angehörigen der illegalen Linken, die ja bereits von 1934 bis 1938 illegal tätig waren, dabei leichter taten als die bürgerlichen NS-Gegner. Auch Widerstand mußte gewissermaßen erlernt werden...

Auch wenn man hoffte, nicht erwischt zu werden, mußte man doch damit rechnen. Es folgten langjährige (wir nannten es „regierungslänglich“) Haft beziehungsweise Konzentrationslager oder spätestens ab Kriegsbeginn die Todesstrafe. Dafür, daß dieser hohe Preis für eine gerechte Sache bezahlt werden mußte — und man sich dessen bewußt war —, legen viele Abschiedsbriefe aus den Todeszellen Zeugnis ab.

Es ist daher verfehlt, aus dem mangelnden Massenwiderstand auf eine Kollaboration zu schließen, wie dies in letzter Zeit in den verschiedensten Zusammenhängen geschieht.

Der Autor, geschfiftsführender Vorsitzender der österreichischen Lagergemeinschaft Auschwitz, ist auch Verfasser/Herausgeber diverser zeitgeschichtlicher Bücher, beispielsweise: „Mit der Waffe des Humors - Flüsterwitze und Spottgedichte unterm Hakenkreuz“.

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