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Gelbe Narzissen...

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„Die Welt ist in Aufruhr und stürzt unaufhaltsam ins Chaos. Eine Wendung zum Bessern ist erst zu erwarten, wenn die Frauen die Führung der Welt übernehmen.“ Dies die Ansicht einer europäischen Professorin. Ein namhafter amerikanischer Journalist war anderer Meinung: „Die Erfahrung bestätigt durchaus nicht diese Auffassung! In Indien, Israel und Ceylon stehen Frauen an der Spitze der Regierung. Indira Gandhi, Golda Meir und Frau Bandaranaike konnten die Probleme ihrer Völker ebensowenig lösen wie die Männer. Zwei von ihnen mußten sogar Krieg führen und in Ceylon wimmelt es von Guerilleros.“ Die Professorin erwiderte: „Hinter diesen drei Frauen stehen von Männern geschaffene und geführte politische Kräfte. Die Kongresse, die Parlamente, die politischen Parteien waren in allen Ländern von Männern gelenkt. Wenn einmal die Frauen überall die ihrer Zahl entsprechende Ubermacht im nationalen und internationalen politischen Leben erhalten haben, wird sich das Schicksal der Welt zum Besseren wenden!“

Dieser Wortwechsel wurde Ende Februar 1974 im Espressso der Vereinten Nationen anläßlich des „Internationalen Frauenforums der UNO“ aufgezeichnet. Zum erstenmal war der Sitzungssaal der Weltorganisation von Frauendelegierten aus 112 Ländern bevölkert. Die finnische Rechtsanwältin Helvi Sipilo präsidierte.

Im Mittelpunkt der Beratungen stand die Rolle der Frauen in der Weltbevölkerungspolitik, die Wirtschaftsentwicklung und die Tätigkeit des Internationalen Frauenforums.

Das Internationale Frauenforum fand in einer ruhigen und sachliche Atmosphäre statt, niemand trommelte mit Schuhen auf den Tisch. Die Welt hat sich seit der Epoche der Suffragetten sehr verändert. In den amtlichen Mitteilungen der UNO figuriert Frau Sipila als „Präsidierende Person“, also nicht als „Miß“ oder „Präsidentin“, sondern als mehr.

„In der UNO arbeiten derzeit 2369 Delegierte, darunter aber nur 180 Frauen“, stellte Helvi Sipila auf einer Pressekonferenz fest. „In höheren Rängen sieht es noch schlechter aus: Neben 600 Männern üben nur 22 Frauen höhere Funktionen aus. In den Delegationen arbeiten die Frauen meist nur als Sekretärinnen und Übersetzerinnen, obgleich die Frauen ja in allen Ländern eine entscheidende Rolle bei der Bevölkerungspolitik und Volkserziehung spielen.“

Unter den 135 UNO-Delegations-leitem gibt es tatsächlich nur eine einzige Frau: Madame Jeanne Martin C i s s e aus dem westafrikanischen Guinea. Außerdem wirken noch drei Frauen im Rang eines Gesandten in UN-Delegationen, nämlich die Stellvertreterinnen der Botschafter der Dominikanischen Republik, Panamas und Nicaraguas. Stellvertreter des Botschafters von Costa Rica ist ebenfalls eine Frau im Rang eines Botschaftsrats. Die meisten Frauen sind jedoch in der brasilianischen Delegation zu finden, nämlich 9 Frauen von 23 Delegierten.

Ein Berichterstatter erinnerte daran, daß in der Weltorganisation ein ungeschriebenes Gesetz die Anstellung von Ehepaaren verbietet. Deswegen ist auch die Zahl der Frauen so niedrig. Es kam schon vor, daß Paare deswegen nicht geheiratet haben. Eine Sonderkommission hat im übrigen angeregt, daß in der UNO mehr Frauen angestellt werden sollten.

Während des Frauenforums hielt sich die Witwe des ehemaligen chilenischen Päsidenten, Hortensia Bus-si de Allende, in New York auf, sprach vor dem Komitee für Menschenrechte und schilderte die Proteste gewisser europäischer Organisationen gegen die chilenische Militärregierung. Sie sprach sehr erregt und brach dabei in Tränen aus, obwohl sie seit Jahren von Allende getrennt gelebt hatte. Sie gab ihrer Uberzeugung Ausdruck, daß ihr Gatte ermordet worden sei, gab aber zu, daß sie den Leichnam ihres Mannes nie gesehen habe.

Während der Kaffeepausen erwähnten zahlreiche Damen auch die Affäre Panow. Bekanntlich war Wa-lery Panow Solotänzer des Kyrow-Balletts, seine Gattin Galina Primaballerina. Vor zwei Jahren baten die beiden um ein Ausreisevisum nach Israel und sofort wurden beide entlassen. Es bestand damit Gefahr, daß sie, „ohne reguläre Beschäftigung“, zu „Parasiten“ erklärt und nach Sibirien deportiert werden könnten. Abgesehen davon muß ein Balletttänzer ständig trainieren. Panow, der oft mit Nurejew verglichen wurde, erhielt nun vor ein paar Wochen das Visum — aber nur er allein! Als die 22jährige Gattin ihr Visum bei den Behörden reklamierte bemerkte ein Polizeioffizier ihr gegenüber zynisch: „Was wollen Sie denn von diesem jüdischen Individuum? Sie sind ein hübsches Mädchen, wir werden schon für Sie einen passenderen Ehemann finden!“ Galina erzählte den Fall einigen westlichen Journalisten und fügte hinzu: „Scheinbar verstehen sie nicht, daß wir einander lieben.“

Die UNO kann natürlich in solchen Angelegenheiten nicht intervenieren. Während der vergangenen zehn Jahre wurde dort auch Solschenizyn nicht ein einziges Mal erwähnt.

Der UNO-Generalsekretär, Kurt Waidheim, brach endlich in Casa-blanca sein Schweigen, wo er in

Hortensia de Allende (in New York): Leichnam nicht gesehen der zweiten Februarhälfte das Schicksal des russischen Schriftstellers eine „menschliche Tragödie, die uns alle angeht“, nannte.

Im übrigen konnte man während der Woche des Internationalen Frauenforums mehr Blumen als sonst in den Büroräumen der UNO sehen. Eine Sekretärin aus Buropa füllte die Blumenvase auf ihrem Schreibtisch mit gelben Narzissen: „Ich habe sie deshalb gekauft, weil Solschenizyn einen kleinen Narzissenstrauß am ersten Tag nach seiner Ausweisung in Westdeutschland gekauft hat.“

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