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An den Rand Geschlieben

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UNHEILIGE PFINGSTEN. Wir wissen nicht, ob es ein makabres Zusammenspiel der Terminkalender oder eine tiefere Absicht war: die Delegationen Österreichs und Italiens begegnen einander ausgerechnet an jenem 24. Mai, der anno 1915 der Pfingstsonntag war. An diesem Festtag zerbrach Rom den Dreibund und zog mit dem erklärten Ziel der Eroberung Südfirols in den Krieg gegen Österreich-Ungarn. „Es lebe unser Krieg’, rief d’Annunzio auf dem Kapitol seinem Volk zu Mit Bestürzung und Schmerz haben die europäisch gesinnten Österreicher jenen nationalistischen Unterfon des „sacro egoismo" aus einer Rede vernommen, die der italienische UNO- Delegierfe und ehemalige Außerv- minister Martino ausgerechnet vor „Liberalen” hielt und in der er das Scheitern der Klagenfurter Verhandlungen fast schon als sichere Tatsache hinsfellte. Schwer, sehr schwer wird es einem gewissen österreichischen Routineoptimismus fallen, auch jetzt noch „positive Ansatzpunkte’ zu finden. Und schwer wird es unsere Delegation, aus deren Mitte man ein Mitglied herausverhaftete, nicht zuletzt beim Suchen nach jenem „friedlichen Mittel’ haben, das wir wohl oder übel in Klagenfurt mit den Italienern vereinbaren müssen. Denn selbst die Feststellung der grundsätzlichen Nichteinigkeit wird den Männern unserer Delegation ein hohes Mab von Diplomatie und Zähigkeit abverlangen. Der „Pfingstgeisf von 1915 wird ihnen da nicht beisfehen! Aber auch Italien, das zur Stunde am längeren Hebelarm sitzt und wieder einmal eine internationale Konjunktur wohrzunehmen weifj, wird von einer solchen Politik ebenso wenig Segen ernten wie einst,..

UBER ZWEITAUSEND KATHOLISCHE

OBERMITTELSCHULER aus KMJ und

MK fanden sich zu Pfingsten in Salzburg zu ihrem ersten Bundestreifen ein. Der strömende Regen vermochte der Stimmung keinen Abbruch zu leisten, eine Folge der hervorragenden Organisation und des noblen Entgegenkommens des Bundesheeres, das in außerordentlich großzügiger Weise Quartiere zur Verfügung gestellt hatte. Zwei festliche Großveranstaltungen gabän1’ den Mittelschülern Gelegenheit zur Repräsentanz, an der die beiden Festredner, der Unterrichtsminister und Generalsekretär Dr. Krainer, ihren Anteil hatten. Bei der zweiten Großveranstaltung ging die Polizei in einer rigorosen (man kann sagen: schikanösen) Weise vor und ließ hunderte Teilnehmer der Tagung „wegen Oberfüllung" nicht in da Festspielhaus. Beim Festabend am Pfingstsonntag wurde „Panopiicum XX’, eine Persiflage der geistigen Situation in der Wirschaftswunderwelt, mit großem Erfolg aufgeführt. Der Autor des Stückes, P. Debray, durfte nicht in den Saal, um keine „Obertüllung" hervorzurufen. Am Pfingstmontag wurden in fünf großen Sälen der Stadt Forumgespräche zu aktuellen Fragen (etwa: „Politisch Lied — ein garstig Lied”; hier hatte Bundesminister Klaus den Vorsitz) abgehalten und ergänzten den festlichen Rahmen der Tagung, indem sie ihr auch einen sachlich-pädagogischen Charakter gaben. Die erste Bundestagung der katholischen Mittelschuljugend (in Innsbruck tagte zugleich der MKV) war ein Hinweis darauf, daß. man auf der Ebene der Mittelschule an die große Tradifion des CDSB anzuknüpfen beginnt: an die Organisationsweise, indem wieder Hochschüler und Jungakademiker die wesentlichen Führungsaufgaben übernehmen. Und vor allem durch die glückliche Kooperation von freistudentischer Jugend und Kongregationen, die je für sich besondere Aufgaben haben, aber in den großen Dingen sich als eine Einheit fühlen.

FRANZÖSISCH-DEUTSCHE EUROPAPOLITIK. Am Pfingstsamstag kam de Gaulle zum erstenmal nach Bonn. Nach den vielen Besuchen, die ihm der Bonner Kanzler in Frankreich ab- sfaffefe, war dies der erste offizielle Besuch eines französischen Staatschefs in einer deutschen Hauptstadt. Da trafen sich nun zwei sehr gute Freunde, die sich in manchem sehr schwer sprechen. De Gaulle möchte in Dr. Adenauer einen Rückhalt für seine Europapolitik gegenüber Amerika gewinnen. Der rheinische Kanzler weiß iedoch, daß er mehr denn je auf Amerikas Verständnis angewiesen ist: nicht nur wegen Berlins und der „Zone". De Gaulle hat seinerseits längst die Oder-Neiße- Grersze und Polen anerkannt. Bonn kann sich für de Gaulles Dreiertüh- rung in der NATO und seine Forcierung des politischen Ausbaues der EWG nicht begeistern. Verlautbart wurde: Vierteljährlich sollen regelmäßige Konferenzen der Regierungschefs der EWG-Staaten stattfinden. Großbritannien soll eingeladen werden, an diesen teilzunehmen, auch wenn es nicht EWG-Mitglied wird. Im schönen, rosersumschlungenen Rhöndorf werden sich die beiden bedeutenden Alten nicht zuletzt über ihre Sorgen ob eines Alleinganges des „jungen Mannes’ unterhalten haben: Tags darauf erwartete de Gaulle den Besuch Kennedys in Paris

EINE STIMME AUS DEM ANDEREN DEUTSCHLAND. Der Eichmann-Prozeß in Jerusalem öffnet, nun schon seit Wochen, Tag für Tag den Blick auf immer neue Ausblicke in einem Panorama des Schreckens. Als erster und vielleicht einziger nichtjüdischer Zeuge der Anklage wurde dieser Tage der Propst der Evangelischen Kirche in Deutschland, Dr. Heinrich Grüber, vernommen. Er hat sein hohes kirchliches Amt in den schwersten Jahren der Judenverfolgung immer wieder dazu benützt, Rettungsversuche zu unternehmen, und war in engem Kontakt mit dem Berliner Oberrabbiner Dr. Bäck, „dessen Freund zu sein ich als eine hohe Ehre befrachte’, sagte Dr. Gröber. Immer mehr wurde, besonders nach 1938, der evangelische Kirchenmann zum Vermittler zwischen den Verfolgten und den deutschen Behörden. Seine Stellung war so allgemein bekannt — und anerkannt —, daß einmal der kommandierende General von Stettin seinen Adjutanten zu Dr. Gröber schickte, damit dieser, seitens der Kirche, gegen die Juden- deporfafionen protestieren möge. „Ich ließ ihm antworten’, sagte Dr. Gröber, „daß, wenn ich kommandierender General von Steffin wäre, es keine Transporte mehr geben würde.’ Nach diesen Worten brach’ das Publikum im Gerichtssaal von Jerusalem in laufen Beifall aus. In seinem Abwehrkampf stand Dr. Gröber nicht allein. Fast in jedem deutschen Ministerium fand sich mindestens ein Mann, der mit ihm zusammenarbeitete. Protestantische und katholische Stellen arbeiteten damals, zum Schutz der verfolgten Mitmenschen, sfändiq zusammen, und auch Papst Pius XII. versuchte immer wieder, zu helfen. Aber zu Eichmann, so führte Dr. Gröber aus, war kein Kontakt möglich. Er hat oft mit ihm zu verhandeln versucht, aber an seinem Fanatismus prallte jede Bitte ab. Auch solche Stimmen sind im Eichmann-Prozeß zu hören, und sie werden dazu beifragen, daß sein Ergebnis nicht nur ein negatives ist.

DIE SPIELREGELN. Die neue US-Re- gierung hat eine Reihe Hypotheken übernehmen müssen, deren Tilgung Zeit braucht und nicht ohne Rückschläge möglich ist: so die Spekulation auf die kubanischen Emigranten, die interne Bindung an bestimmte laotische Gruppen und ähnliches. Aber man hoffte, daß jetzt wenigstens Klarheit einziehen wird: daß es

Amerika ablehnen wird, die Sache der Freiheit und der Demokratie mit den Mitteln der Diktatur zu verteidigen oder sich auf Männer zu stützen, die eben erst ein Gewalfregime etablieren. (Es genügen die übriggebliebenen Diktatoren da und dort.) Unter dem Banner des Anfikommunismus hat eine Generalsclique in Korea die Macht übernommen und die Verfassung praktisch beseitigt. Das kommt vor. Nicht Vorkommen sollte es allerdings, daß man in Washington solche Methoden halb und halb duldet und den eigenen Botschafter desavouiert, der im Glauben an Franklin und Washington den Putschisten ein Halt zurufen wollte. Wollte

UM DIE BEUTE. Die Welt nimmt nur mehr am Rande zur Kenntnis, daß praktisch seit mehreren Wochen in Coquilhatville eine Gipfelkonferenz der kongolesischen Führer tagt, die das ehemalige belgische Reißbrett- Territorium in ein Sfaatswesen umwandeln will. Und noch weniger merklich haben sich die Fronten verschoben. Längst ist die Spannung zwischen der Zentralregierung und den Lumumba-Erben in der Ostprovinz einem neuen, wesentlich realeren Gegensatz gewichen. Die Armen haben sich gegen jene beiden „Reichen’ zusammengeschlossen, die sich mH ihren Separatstaaten aus dem Bund stehlen wollen: gegen Tschombe und Kalondjl, der sich seit neuestem König Albert I. nennt. Die Tage Katangas wie auch die der Minenprovinz dürften gezählt sein, die Idylle eines zweiten „Monaco’ am Kongo wird bald ausgeträumt sein. Und schneller, als es noch vor Wochen schien, werden sich die verfeindeten armen Verwandten gegen die reichen Vettern einigen.

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