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Hypothese Gott für das Weltverständnis nicht mehr nötig:?

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Vor gut hundert Jahren hat der französische Philosoph und Soziologe Auguste Comte die Dią- gnose gestellt, die Entwicklung des menschlichen Bewußtseins sei in der Geschichte in drei Stadien verlaufen: Vom theologisch-fiktiven über das metaphysisch-abstrakte zum positiven Denken,’ das nach und nach alle Bereiche der Wirklichkeit ergreifen werde. Zuletzt werde es auch gelingen, das komplizierteste, am wenigsten überschaubare Gebiet, die letzte und am längsten verteidigte Festung der Theologie positiv wissenschaftlich zu durchschauen und zu bearbeiten. Es scheint unleugbar, daß das von Comte formulierte Bewußtsein heute von weitesten Kreisen geteilt wird. „Die Gottesfrage flndėt keinen Ansatz im Denken mehr, der Zusammenhang der Welt ist in sich geschlossen und die Hypothese Gott für ihr Verständnis nicht mehr nötig,“ so äußerte sich vor einiger Zeit der international renommierte Theologe Josef Ratzinger, der inzwischen zum Erzbischof von Mün- chen/Freising und Kardinal ernannt Würde.

Hinter solchen Überlegungen steht das Bewußtsein eines tiefen Auseinanderklaffens der Welten des Glaubens und des Wissens, das unschließbar scheint, und so Glauben weithin unvollziehbar macht. Trotzdem: Es gibt, so paradox es klingt, gerade heute eine neue Sehnsucht nach Glauben. Die Welt der Planung und der Forschung, der exakten Berechnung und des Experiments allein genügt offensichtlich nicht. Man will von ihr im Grunde ebenso befreit werden, wie von deijn alten Glauben, dessen Widerspruch zu modernem Wissen ihn zur bedrückenden Last werden läßt. Der Positivismus, der sich zunächst als Erfordernis methodischer Art der exakten Naturwissenschaften einstellte, ist heute vor allem im Gefolge der Anstöße Wittgensteins, weitgehend auch in der Philosophie zum Siege gekommen.

Das aber bedeutet, daß wie die Naturwissenschaft so auch die Philosophie heute nicht mehr nach Wahrheit, sondern nur nach der Richtigkeit der angewandten Methoden fragt, und logisches Denken, vor allem Sprachanalyse* experimentiert; uiwbhäagig von der Frage, ob den Ausgangspunkten des Denkens auch Wirklichkeit entspricht. Der Verzicht auf die Wahrheit, selbst der Rückzug auf das Feststellbare und auf die Richtigkeit der Methoden, gehört, um noch einmal Ratzinger zu zitieren, zu den typischen Kennzeichen moderner Wissenschaftlichkeit

Mit dem großen Gespräch über „Glaube und Rationalität zur Glaubenskrise der Gegenwart“ am 27. August setzten die Veranstalter des Europäischen Forum Alpbach erneut einen jener Akzente, die diese Institution berühmt gemacht haben. Zwei christlichen Theologen, Prof. Wolfhart Pannenberg, München, und Dr. Kuno Füssel, Münster, standen der liberale Wissenschaftstheoretiker und Popperschüler Prof. Joseph Agassi, Tel Aviv, und der marxistische Philosoph Prof. Branko Bosnjak gegenüber. Das Niveau der Referate war hervorragend. Im Falle von Agassi und Füssel dürfte freilich durch das wissenschaftstheoretische und sprachphilo- sophische Vokabular die Aufnahmsfähigkeit der meisten Zuhörer etwas überfordert worden sein. Nichtsdestoweniger reagierte das Publikum angeregt und lebhaft - ein Zeichen dafür, wie sehr heute Gespräche über grundlegende philosophische theologische und weltanschauliche Fragen erwünscht sind.

Prof. Pannenberg betonte im Eröffnungsvortrag „Die Rationalität des Glaubens“, daß der für große Teile der evangelischen Theologie des Jahrhunderts kennzeichnende dezisioni- stische Irrationalismus als Besonderheit einer bestimmten Epoche betrachtet und kritisiert werden müsse. Es wäre unstatthaft, ihn der christlichen Theologie überhaupt zur Last zu legen. Vielmehr sei für die christliche Theolpgie in ihrer Geschichte dię enge mnov rraLiißnoX v Krjj EHÄ;*.

Beziehung zur Philosophie bezeichnend, wenn auch in der Form argumentativer Transformation philosophischer Thesen und Begriffe.

Religiöse Aussagen seien direkt oder indirekt Aussagen über göttliche Wirklichkeiten und implizieren folglich das Ganze der Weltwirklichkeit, daher läßt sich in keiner endlichen Situation abschließend über ihre Verifikation oder Falsifikation entscheiden, sagte Prof. Pannenberg. Allerdings, betonte er abschließend, gewähren die für den Glauben geltend zu machenden guten Gründe .keine abschließende theoretische Gewißheit, ermöglichen dennoch aber den Glaubenden eine existentielle Gewißheit.

Die grundlagen-theoretischen Überlegungen in der Wissenschaftstheorie wie in der Theologie der letzten Jahre hätten das Verhältnis von religiösem

Glauben und wissenschaftlicher Rationalität durch die Eröffnung neuer Perspektiven weitgehend entspannt, betonte der katholische Theologe und Assistent bei Johann Baptist Metz, Kuno Füssel. Der Glaube an das Heilhandeln Gottes sei prinzipiell auf die Gemeinschaft aller Menschen ausgerichtet und sollte sich daher auch faktisch gemeinschaftsstiftend auswirken. Füssel versuchte, die Basis für Intersubjektivität entscheidend zu erweitern in Richtung auf eine Welt hin, in der besonders die, „welche mühselig und beladen sind“, Platz haben. Dadurch unterscheidet sich die Allgemeingültigkeit der Wissenschaft als Intersubjektivität der Sachverständigen.

Hier anknüpfend wiederholte Prof. Branko Bosnjak die These Ernst Blochs: Man müßte die Bibel mit den

Augen des „Kommunistischen Mani- fests“ lesen, was nicht eine Entmytho- logiesierung im Sinne Rudolf Bultmanns, eine De-Theokratisierung zur Folge hätte. Damit würden der biblische Text von seiner Transzendenz befreit, und die soziale Thematik der Bibel käme mehr zum Vorschein. Nur so käme man zu einem „revolutionären Christentum“, das mit dem Marxismus Zusammenarbeiten könnte. In einer solchen Umdenkmethode wäre es möglich, aus Christus einer) Vor-Marx zu machen, meine Bosnjak.

Den Ausführungen Joseph Agassis zum Thema „Glaube hat nichts mit der Rationalität zu tun“, wäre als Gesprächspartner der Altmeister der Theologie, Karl Rahner, zu wünschen gewesen. Nach seinem Verständnis muß das Verhältnis des Glaubens zur Rationalität durchaus positiv sein. Der Glaubensbegriff seiner Theologie verbietet, den Glauben als absolute irrationale Befindlichkeit außerhalb von Rationalität anzusehen. Daß es die Glaubenskrise in unseren Breiten gibt, kam bei diesem „Glaubensgespräch“ deutlich zum Ausdruck. Ob es allerdings Impulse zur Überwindung dieser Glaubenskrise geliefert hat, ist mehr als fraglich.

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