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Im Reisetrend: Kultur

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Meinungsforscher prognostizieren, daß die neunziger Jahre ganz im Zeichen des Kulturtourismus stehen werden. So schreibt beispielsweise der Tourismusexperte des Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO), Egon Smeral, in seinem Buch „DieFreizeitmilliarden”: „Die Nachfrage verlagert sich von ausreichender Befriedigung des Erholungsbedürfnisses und des sportlichen Aktivitäts- und Leistungsdrangs zu höherwertigen Freizeiterlebnissen mit Kultur- und Bildungsinhalten.” Damit liegt Österreich mit seinem reichen Angebot an Kunst- und Kulturschätzen als Ziel von Bildungsreisen voll im Trend. Eine Tatsache, die Tag für Tag in vielen Städten Österreichs zu beobachten ist.

In der Halle eines Wiener Fünf-Sterne-Hotels finden sich mit Fotoapparaten und Stadtplänen bewaffnete Gäste ein. Sie formieren sich zu erwartungsvollen Grüpp-chen, der Reiseleiter erklärt im vorhinein die Sehenswürdigkeiten, die bald live auf sie zukommen. Es sind Städtetouristen, die ein verlängertes Wochenende in Wien verbringen: Städtetourismus boomt. Wien und Salzburg bestätigen diese für den Fremdenverkehr positive Entwicklung mit zweistelligen Zuwachsraten.

Nur von Rom übertroffen

Der Städtetourismus ist nur eine Facette jener weltweiten Bewegung, von der auch John Naisbitt in seinem Bestseller „Megatrends 2000” schreibt: „Während der neunziger Jahre wird die Kultur allmählich den Sport als wichtigste Freizeitbeschäftigung der Gesellschaft ablösen... Von den Vereinigten Staaten und Europa bis zum pazifischen Raum hat die Wohlstandsund Informationsgesellschaft das Bedürfnis geweckt, dem Sinn des Lebens durch die Erfahrung der Kunst nachzuspüren... Durch die Kunst wird eine geistige Suche in Gang gesetzt... die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Suche sind phänomenal.” Und weltweit drängen Menschen in Ausstellungen und Museen, Galerieumsätze explodieren und Auktionen bringen astronomische Erlöse.

Autor Egon Smeral nennt die Gründe für diese Entwicklung: Mehr Freizeit; mehr Geld, das für Bildung und Kultur ausgegeben werden kann; immer mehr ältere

Menschen reisen; das Bildungsniveausteigt. (Während 1979/80 rund 1.800 Studenten an den österreichischen Universitäten ihre Studien abschlössen, waren es 1988/90 etwa 9.700.)

Auch der österreichische Fremdenverkehr hat sich auf diese Zeichen der Zeit eingestellt, kulturorientierte Reisen sind ein expandierender Sektor geworden.

Was sind nun die Motive etwa jener Reiseteilnehmer, die erwartungsvoll zur Stadtrundfahrt aufbrechen?

Nach einer WIFO-Umfrage 1987 bei 6.000 Gästen aus verschiedenen Ländern gaben 63 Prozent der Befragten historisches und 43 Prozent kulturelles Interesse als Grund für ihre Wien-Tour an. Die historische Bedeutung der Kaiserstadt (32 Prozent) wird nur von Rom mit 41 Prozent übertroffen. Die an Bildung und Kultur Interessierten kommen zu 29 Prozent aus Deutschland, zu 27 Prozent aus Österreich, zu 24 Prozent aus der Schweiz, zu 22 Prozent aus Italien, zu 20 Prozent ,aus den USA, zu 18 Prozent aus Fernost, zu 16 Prozent aus Spanien und zu 14 Prozent aus Frankreich. Auf restliche Nationen entfallen Anteile unter zehn Prozent.

Besonders hoch bewertet wird das Angebot an klassischer Kultur bis 1918. Hier findet sich Wien mit 49

Prozent an der ersten Stelle, gefolgt von Rom mit 28 und Paris mit elf Prozent. Bei der Gegenwartskultur von 1918 bis heute schneidet Wien weniger gut ab. Hier liegt Paris mit 30 Prozent in Führung, gefolgt von Berlin 24 und auf Rang drei Wien mit 17 Prozent.

Die ausländischen Gäste üben auch Kritik. Ein Zehntel findet, daß Wien eine teure Stadt ist und sechs Prozent beklagen die ungünstigen Öffnungszeiten, vorwiegend der Museen.

Kultur als Hauptgrund für eine Reise nach Österreich (nicht nur nach Wien) gab in der Sommersaison 1988 knapp ein Zehntel aller Gäste an, wobei ein weiteres Viertel sich als „kulturinteressiert” bezeichnete. In der Wintersaison sind kulturmotivierte und -interessierte Gäste von geringerer Bedeutung (siehe Graphik „Verteilung der Gästetypen in Österreich”).

Seiner Herkunft nach ist der Kulturgast überwiegend Großstädter: 49 Prozent der im Sommer reisenden kulturmotivierten Gäste wohnen in Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern. Das Gros der Kulturfreaks stellen Angestellte und Beamte mit 39 Prozent, dahinter folgen mit 26 leitende Angestellte vor den Selbständigen mit 23 und Studenten 22 Prozent. Der Arbeiteranteil liegt bei lediglich sieben Prozent.

Wirtschaftlich ist der Kulturtourismus nicht zu übersehen, Reisende in Sachen Kultur bevorzugen in erster Linie Hotels der oberen Kategorie. Die Reisetermine liegen vorwiegend in der Vor- und Nachsaison, was zu einer besseren Auslastung der Hotelbetriebe führt. Der

Kulturgast ist im allgemeinen anspruchsvoll und greift - neben den Geschäftsreisenden - am tiefsten in die Tasche. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, hat die Tourismus-Branche in den letzten fünf Jahren 22 Milliarden Schilling jährlich investiert. Noch 1985 waren 51 Prozent aller Betten in Zwei- und Ein-Stern-Häusern zu finden, 1990 waren es nur noch knapp 46 Prozent.

Das gesteigerte Interesse an Kunst und Kultur bringt aber auch gravierende Nachteile mit sich. Die Kommerzialisierung von Volkskunst und Brauchtum ist nur einer davon. Nicht zu unterschätzen ist die Gefährdung von Kultur- und Kunstschätzen durch die Besuchermassen. Die Festung Hohensalz-burg muß beispielsweise jährlich rund zwei Millionen Besucher verkraften. Auch Schloß Schönbrunn ist mit 1,6 Millionen Menschen nicht viel besser dran.

Neben den erwähnten Spitzenreitern haben etwa das Wiener Kunst- beziehungsweise Naturhistorische Museum je 700.000 Besucher, die Schatzkammer 530.000, die Österreichische Galerie im Oberen Belvedere 400.000 Gäste. 300.000 Besucher im Jahr muß der Gurker Dom über sich ergehen lassen und 220.000 die Hofkirche in Innsbruck.

Wenn unsere Reisegruppe müde und begeistert ins Hotel zurückkommt, wird einhellig die Meinung vertreten, Wien sei eine schöne, lebenswerte Stadt. Meinungsumfragen bestätigen dies. 39 Prozent der Interviewten räumten Wien den ersten Rang ein vor München mit 18 und Paris mit 15 Prozent.

Die Gruppe löst sich auf, um sich am Abend beim obligaten Heurigenbesuch wiederzufinden.

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