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Kirche im Schatten der Vergangenheit

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Es ging nicht anders. Damit „verantworten" sich heute Repräsentanten, Mitarbeiter und Kollaborateure des kommunistischen Unterdrückungsapparates in Rußland. Die russisch-orthodoxe Kirche hat auch enormen Anteil an Schuld einzugestehen. Doch eine Analyse, gar Reue über Kooperationsbereitschaft, die anderen geschadet hat, beziehungsweise über Willfährigkeit steht noch aus.

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Es ging nicht anders. Damit „verantworten" sich heute Repräsentanten, Mitarbeiter und Kollaborateure des kommunistischen Unterdrückungsapparates in Rußland. Die russisch-orthodoxe Kirche hat auch enormen Anteil an Schuld einzugestehen. Doch eine Analyse, gar Reue über Kooperationsbereitschaft, die anderen geschadet hat, beziehungsweise über Willfährigkeit steht noch aus.

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Die Vergangenheitsbewältigung geht schlecht voran in Rußland - wenn überhaupt. Jurij Smirnov, 15 Jahre lang für Öffentlichkeitsarbeit im zur Kontrolle von Kirchen und Religionsgemeinschaften eingerichteten, jetzt aufgelösten Rat für religiöse Angelegenheiten der alten Sowjetunion tätig, seit zwei Jahren für die PR-Arbeit des Verlags des Moskauer Patriarchats (!) verantwortlich, hat die Front gewechselt. Vor sieben Jahren wollte er uns - einer kleinen Journalistengruppe aus Österreich - in seinem Amt in Moskau noch die „Segnungen" des jetzt als „Unterdrückungsapparat" ausgewiesenen Rates für die Kirchen schmackhaft machen; alle Einwände unsererseits, daß die Religionsgemeinschaften unter dem Würgegriff des Staates litten, fertigte er - pflichtgemäß, wie er heute sagt -mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer Kontrolle der Einhaltung der Gesetze durch Priester, Bischöfe und Gläubige ab.

Smirnov, Teilnehmer eines Symposions des Ökumenischen Arbeitskreises für Information in Europa am vergangenen Freitag auf der Burg Schlaining im südlichen Burgenland, zur FURCHE: „Ich stamme aus einer christlichen Familie eines kleinen Nestes in Mittelrußland. Deswegen war es für mich leichter, im Rat für religiöse Angelegenheiten mitzuarbeiten. Ich habe mitgemacht, wie Millionen andere auch. Sicher war ich innerlich nicht immer mit allem

einverstanden, aber die Mehrheit der Bevölkerung handelte so wie ich."

Zum schwierigen Umgang mit der noch nicht allzu fernen Vergangenheit bemerkt der jetzige Kirchenmanager: Die Partei wolle sich mit der Vergangenheit gar nicht auseinandersetzen. „Die Leader von gestern sind über Nacht Demokraten geworden." Und die russisch-orthodoxe Kirche selbst befinde sich unter dem Druck der russischen Auslandskirche (wie zu Zeiten Leonid Breschnews), die darauf poche, daß das Moskauer Patriarchat zunächst einmal Reue über die willfährige Haltung gegenüber dem alten Regime zeige, Bußbereitschaft signalisiere - und erst dann öffentlich wieder in Erscheinung trete. „So nebenbei: Man bewältigt die Vergangenheit, indem man auf sie schimpft", bemerkt Smimov.

Aus den Reihen der seinerzeitigen,

im Westen vielgerühmten Dissidenten wie Gleb Jakunin, Alexander Ogorodnikow oder Vladimir Dudko (der im Sowjetfernsehen allerdings eine vom Geheimdienst KGB geforderte Selbstanklage verlas und sich von seinem Dissidententum - antisowjetische Propaganda hieß das in der damaligen Sprachregelung - lossagte) kommen heute keine Vorwürfe an die eigene Kirche mehr.

Harte Lage für die Kirche

Um die früheren Helden kümmert sich heute auch niemand mehr. „Und so wichtig" - gibt Smirnov jetzt unbekümmert zu - „waren die Dissidenten damals nun wirklich nicht. Sie waren für die Öffentlichkeit im Westen wichtiger als für die eigene Kirche. Diese wollte gute Verhältnisse mit dem Staat, Dissidenten galten als Friedensstörer." Persönlich geschadet -

sprich: Widerständler eingesperrt -habe man den Dissidenten aber nur in Fällen, wo einer an der Kircheninstitution rütteln wollte, „denn das war nicht genehm". Jeder in der alten Sowjetunion habe gewußt, „daß es nicht anders ging"; niemand konnte sich Widerstand leisten, „außer er wollte Märtyrer werden" (Smimov).

Heute - das sei mit der Perestrojka Michail Gorbatschows begonnen und dann mit der Tausendj ahrfeier der russischen Orthodoxie 1988 fortgesetzt worden - habe die Kirche viel mehr materielle und pastorale Hilfe bekommen als sie verkraften könne, meint Smimov. Er weist daraufhin, daß der Staat sich nun abputze und meine, die Kirchen könnten sich nun nicht mehr beschweren, sie hätten nun ja alles. Trotzdem stehe die russisch-orthodoxe Kirche heute schlechter da als vor der Perestrojka. Der Staat habe die

Kirche zwar früher nie unterstützt, im Rahmen der Gesetze waren die Priester auf Spenden angewiesen, vorhandene finanzielle Mittel durften nur für den staatlich organisierten Friedenskampf ausgegeben werden; heute finde sich die Kirche aber in der beginnenden Marktwirtschaft nicht zurecht. Denn der Verlag des Moskauer Patriarchats, dem nach wie vor Metropolit Pitirim vorsteht, mußte plötzlich bei den Produktions- und Personalkosten kalkulieren.

Keine Staatsreligion

Dieser Einrichtung wurde seinerzeit von den Kommunisten in einem engen Rahmen freie Hand zur Bibelproduktion, zur Herstellung von kulturellen Videos und von Tonträgem liturgischen Inhalts gegeben; Bibeln durften pro Jahr etwa 35.000 gedruckt werden, Millionen hätte man gebraucht. Papier und Druck, die Selbstkosten, waren niedrig. Der Verlag hatte im Sinne der staatlichen Kontrolle das Monopol über alle religiösen Produkte, war konkurrenzlos, stand finanziell nicht schlecht da. Heute beginnen die Probleme schon bei der Papierbeschaffung. .Jetzt muß die Kirche ein unrentables Unternehmen führen und versuchen, sich mit Produkten auf dem Markt zu behaupten, die zu Zigtausenden aus dem Ausland hereinströmen."

Ein weiteres Problem: den Kirchen war im Kommunismus jede karitative Tätigkeit untersagt, auch auf Gemeindeebene. So hat das Moskauer Patriarchat weder eine Tradition noch das Personal, sich um Kinder, Kranke und Bedürftige zu kümmern. Die Fachausbildung liegt darnieder. Hinsichtlich des Religionsunterrichts glaubte man- unter ausländischem Einfluß - eine Zeitlang nach Dezember 1991, diesen an Schulen einführen zu müssen. Heute ist man davon abgekommen. Niemand - so Smimov - wolle heute eine Art Staatsreligion wieder einführen. Religiöse Unterweisung sei in Sonntagsschulen am Platz, aber auch dafür fehlten Fachkräfte.

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