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Für Ökumene und Perestrojka

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Mit dem Fall der Mauer ist Europa noch nicht geeint, meint ein Kirchenhistoriker. Denn zugleich erweitere sich eine viel ältere und stabilere Spaltung Europas: Das 1000 Jahre alte Schisma.

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Mit dem Fall der Mauer ist Europa noch nicht geeint, meint ein Kirchenhistoriker. Denn zugleich erweitere sich eine viel ältere und stabilere Spaltung Europas: Das 1000 Jahre alte Schisma.

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FURCHE: Herr Professor Goltz, verschiedentlich wurde die Wahl des Metropoliten Aleksij von Le- ningrad und Nowgorod zum Pa- triarchen der Russisch-Orthodoxen Kirche als eine Kompromißlösung bezeichnet. Teilen Sie diese Ansicht?

PROFESSOR HERMANN GOLTZ: Als ich darüber in wichti- gen internationalen Zeitungen las, war ich von der Uninformiertheit dieser Artikel entsetzt. Zum Teil handelte es sich um eine vollständi- ge Verzerrung der Situation. Von den drei Kandidaten wurde Filaret von Kiew als der Rechtsaußen, Wladimir von Rastowals der Links- außen und Aleksij als Kompromiß der Mitte bezeichnet. Wenn man weiter so vereinfachend sprechen will, muß man aber sagen, daß Aleksij der Perestrojka-Mann ist.

Durch seine kirchliche und theo- logische Arbeit in der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), de- ren Präsident er auch weiterhin bleiben will, hat er von Jugend an Erfahrungen mit der ökumenischen Arbeit gemacht. Es ist ein Glücks- fall, daß ein solcher Mann in diesen spannungsreichen Zeiten, da in der Sowjetunion blutige Nationalkon- flikte ausbrechen, an der Spitze der Russischen Kirche steht.

FURCHE: Es scheint einen gro- ßen Zwist zwischen der Russisch- Orthodoxen Auslandskirche und der Kirche innerhalb der Sowjet- union zu geben.

GOLTZ: Unter den Tausenden russischen Emigranten der Okto- berrevolution befanden sich auch viele Kirchenleute, die sich in Ju- goslawien als Hierarchie konstitu- iert hatten. Sehr bald stellten sie sich - und das beruhte auf Gegen- seitigkeit - mit der in der Sowjet- union verbliebenen Kirche auf Kriegsfuß. So kam es zu einem Schisma. Die Leitung der Russi- schen Auslandskirche befindet sich heute in Jordan Ville, New York, in den USA. Diese Kirche ist zwar klein, aber dank finanzieller Un- terstützung von konservativen ame- rikanischen Politikern ziemlich ein- flußreich. Im Kalten Krieg wurde die Auslandskirche stark gegen die Kirche in der Sowjetunion aufge- bauten der man lediglich ein Werk- zeug des Bolschewismus sah.

Obwohl Metropolit Vitali, Ober- haupt der Russischen Kirche im Ausland, versprochen hatte, die Russische Auslandskirche würde sich nicht in das Gebiet der Sowjet- union hineinbegeben, ist dennoch in der russischen Stadt Susdal, eine starke Gemeinde dieser Kirche entstanden. Diese ist natürlich vergleichsweise winzig, aber auch der neue Patriarch sieht in dieser Neugründung eine akute Gefahr. Das relativ uninformierte Volk könnte meinen, die offensichtlich antikommunistische Kirche im Lande sei die eigentliche Perestroj- ka-Kirche. Dadurch könnte sich das Schisma erweitern.

FURCHE: Aus welchem Grund, macht die Emigrantenkirche die Kanonisierung der Zarenfamilie zu einer Vorbedingung für einen Dia- log mit dem Patriarchen Aleksij?

GOLTZ: Die Russische Auslands- kirche hat in ihrer monarchistischen Gesinnung die Zarenfamilie und eine ganze Reihe von sogenannten Neomärtyrern sehr schnell kanoni- siert. Wegen des staatlichen Druk- kes mußte die Russische Kirche in der Sowjetunion davon absehen. Ich weiß aber aus persönlichem Erleben, daß auch in Rußland des Zaren und der Zarenfamilie als Märtyrer gedacht wurde. Sobald die Unterlagen über die Erschie- ßungen orthodoxer Christen staat- licherseits vorliegen, soll eine grö- ßere Anzahl von Märtyrern aus der Verfolgungszeit heiliggesprochen werden. Das Patriarchat lehnt je- doch die Kanonisierung der Zaren- familie in einem Sonderverfahren ab. Dieses ganze Problem ist natür- lich auch mit seinen politischen Auswirkungen zu sehen. Es ging bei der Ermordung der Zarenfami- lie weniger um den christlichen Glauben als um die Frage der Macht.

FURCHE: Wann wurde der Zar zum Oberhaupt der Kirche?

GOLTZ: Die Kirche wurde wäh- rend der aufgeklärt absolutisti- schen Herrschaft von Zar Peter I. in Rußland sozusagen geköpft. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts blieb der Patriarchehthron unbesetzt und die Kirche mußte, was sie als ihre babylonische Gefangenschaft an- sieht, über 200 Jahre ohne Patriar- chen existieren. Zufällig kam gleichzeitig mit der Oktoberrevo- lution 1917 das Landeskonzil zu- stande, auf dem erstmals wieder ein Patriarch eingesetzt wurde. Doch der neue Patriarch, Tichon, wurde von der neuen politischen Macht eingesperrt und ist unter ziemlich elenden Umständen ge- storben.

Die Russische Auslandkirche erkennt zwar diesen Patriarchen an, nicht aber dessen Nachfolger, den Patriarchatsverweser Sergej. Sergej hatte die Kirche aufgerufen, sich loyal zur sowjetischen Regie- rung zu verhalten. Der Widerruf dieser Loyalitätserklärung sowie der Abbruch jeglicher ökumeni- scher Beziehungen sind weitere Vorbedingungen der Auslandskir- che für eine Wiedervereinigung mit der Kirche innerhalb der Sowjet- union. Die letzte Forderung ist unmöglich zu erfüllen und kommt einem Erpressungsversuch gleich. Doch Patriarch Aleksij hat ganz klar und mutig geantwortet, daß es keine Abstriche von der ökumeni- schen Arbeit geben werde.

FURCHE: Wie steht es um die Ökumene zwischen den verschie- denen Glaubensgemeinschaften innerhalb der Sowjetunion?

GOLTZ: Da es im Zarenreich eine Vielfalt von Konfessionen und Re- ligionen gab, existierte an Rußland schon seit langer Zeit ein Kontakt zwischen den Weltreligionen. Es bestand aber auch ein großes Nie- mandsland zwischen den einzelnen Kirchen und Religionen, weil diese immer mit gewissen Nationalitä- ten identifiziert wurden. Auch der Staat hatte immer ein Interesse am friedlichen Zusammenleben der Re- ligionen und dies wirkt sich heute zum Teil negativ aus.

Denn viele betrachten die Öku- mene als ein Überbleibsel aus dem Stalinismus und verwechseln die wirkliche christliche Ökumene mit einer politischen Befriedungsaktion des Staates.

Auf der anderen Seite hat die gemeinsame Arbeit in der interna- tionalen Ökumene die Kirchen auch innerhalb der Sowjetunion einan- der näher gebracht. Daß Aleksij sich für die Ökumene ausspricht ist sowohl ein Signal nach innen als auch nach außen. Ich hoffe, daß er damit Erfolg haben wird, weil ins- gesamt die Zeichen in der Kirche nicht unbedingt auf Ökumene ste- hen. Dazu kommt noch die Schwie- rigkeit, daß sich Rom wieder auf einem ganz mittelalterlichen Vor- marsch im Osten befindet, bei dem es nicht mehr so stark auf den Dia- log als Weg zur Einheit und Ver- söhnung ankommt.

FURCHE: Sie sprechen damit das Problem der Ukrainisch-Ka- tholischen (Unierten) Kirche an.

GOLTZ: Millionen von Christen, die zum Teil auf fragwürdige Weise orthodox geworden sind, sollen wieder unter die Jurisdiktion von Rom gebracht werden. Mit brachia- ler Gewalt setzten sich daher jetzt Christen besonders in der West- ukraine und Rumänien auseinan- der. Auch in der Ostslowakei herr- schen ganz schlimme Zustände. Aus europäischer Perspektive meint man, mit dem Fall der Mauer und der Grenzen hätte sich Europa geeint. Gleichzeitig aber erweitert sich die viel ältere und stabilere Spaltung Europas zwischen Ost und West, das große 1.000 Jahre alte Schisma.

FURCHE: Metropolit Pitirim hat sich gegen eine Schaffung religiö- ser Parteien ausgesprochen, was könnte er damit gemeint haben?

GOLTZ: Die Kirche sieht die Beteiligung von Priestern an der rechtsradikalen Pamjatbewegung, die auch quasi orthodoxe nationale Traditionen pflegt, ungern. Daher sind Priester vom Patriarchat ge- beten worden, bei dieser Gruppie- rung nicht im Priestergewand, son- dern zivil aufzutreten. Dagegen wendeten extrem rechte Priester ein, dies sei eine Aufforderung wie aus der früheren Unterdrückungs- zeit, da sich Priester nicht in der Öffentlichkeit sichtbar machen durften.

Dabei handelt es sich aber um eine Verdrehung der Dinge, denn die Kirche ist vor allem daran in- teressiert, sich nicht wieder dem Vorwurf auszusetzen, an einer Dun- kelmännermannschaft beteiligt zu sein. Wenn man genau hinsieht, dann stimmt das nach außen hin gängige Bild der typisch russischen Verbindung von Thron und Altar nur bedingt. Es gab eine ganze Menge von Seelsorgern, die in der Zarenzeit nach Sibirien deportiert worden sind, weil sie es-gewagt hatten, gegen das herrschende Konzept zu reden.

FURCHE: Gibt es jetzt grundle- gende Veränderungen im Verhält- nis von Kirche und Staat?

GOLTZ: Der ganze Unterdrük- kungs- und Kontrollmechanismus, der ja bis ins Herz der Kirche hin- einging, ist insgesamt aufgehoben worden. Früher konnte der Vorsit- zende einer Gemeinde auch Atheist sein, der dann oft nach staatlichen Interessen handelte. Nach dem al- ten Religionsgesetz durfte kein Prie- ster diese Position einnehmen. Auf einem lokalen Konzil der Russisch- Orthodoxen Kirche sind die inne- ren Strukturen der Gemeinde be- reits so verändert worden, daß der Priester jetzt mit staatlicher Zu- stimmung von der Kirche in seine Rechte eingesetzt werden konnte. Auch war es bis in die Zeit der Ver- änderung hinein verboten, Kinder unter 18 Jahren im christlichen Glauben zu unterrichten. Jetzt gibt es in vielen Gegenden der Sowjet- union Sonntagsschulen, die auch von Erwachsenen stark besucht werden.

FURCHE: Wann wird das neue Religionsgesetz in Kraft treten?

GOLTZ: Hinter den Kulissen scheint ein riesiger Kampf stattzu- finden, der die Dinge verzögert. Aber das Entscheidende ist, man lebt bereits nach diesem Gesetzes- entwurf, zu dem ja auch die Kir- chen mit ihrer Beratung beigetra- gen haben.

FURCHE: Ist es richtig zu sagen, daß die Sowjetbürger den Kirchen jetzt mehr als allen anderen Insti- tutionen ihres Landes vertrauen, die Kirchen also vom letzten Platz des Vertrauens zum ersten aufge' stiegen sind?

GOLTZ: Die Kirche nahm bei weiten Teilen der Bevölkerung schon immer einen besonderen Platz ein. Den meisten fehlte jedoch der Mut, dies auch offen zu bekunden. Im Grunde ist die Kirche von den alten'Mütterchen, die nichts zu verlieren hatten, durchgetragen worden. Jetzt aber trauen sich sehr viele andere Menschen auch offen zu ihrem Glauben zu stehen.

Dazu kommen noch Leute aus dem kommunistischen Machtappa- rat und anderen säkularen Berei- chen, die die Kirche nun, wegen der großen, allgemeinen Verunsiche- rung, als einen Rettungsanker an- sehen. Es besteht die Gefahr^ daß die Kirche, ähnlich wie im 18. Jahr- hundert, hauptsächlich als morali- sche Anstalt des Staates betrachtet wird. In dieser Hinsicht kommen viele Hierarchen dem Staat entge- gen und reflektieren nicht genü- gend über die zukünftige Rolle der Kirche.

Professor Hermann Goltz, bekannt als Ostkir- chenforscher (Universität Halle, DDR) ist der- zeit Mitarbeiter der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) in Genf und kehrte unlängst von einer Rußlandreise zurück. Mit ihm sprach Feli- zitas von Schimborn.

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