6677231-1961_28_08.jpg
Digital In Arbeit

Können wir recht denken?

Werbung
Werbung
Werbung

Wir bitten Dich, o Herr: schenke uns in Deiner Güte eine solche Gesinnung, daß wir denken und tun, was recht ist; und gib uns, die wir ohne Dich nicht sein können, die Kraft, nach Deinem Willen zu leben.

(Kirchengebet vom S Sonntag nach Pfingsten)

Das Evangelium des Sonntags, an dem die Kirche dieses Gebet spricht, erzählt das Gleichnis vom ungerechten Verwalter. Dort steht der harte und so vielen zum Rätsel, ja tast zum Ärgernis gewordene Satz von den „Kindern dieser Welt, die in ihrer Art (oder auch anders übersetzt: unter ihresgleichen) klüger sind als die Kinder des Lichtes”. In der tast kindlichvertrauensvollen Bitte dieses Gebetes ist aber nicht einmal nur von der Klugheit die Rede, die die „Kinder des Lichtes” auf ihrem Heils- und Lebensweg brauchen, um ihn zumindest ebenso gut zu bestehen wie der Verwalter des Evangeliums seine rein irdische Geschäfts- und Karrierelaufbahn. Das Gebet geht noch viel tiefer, weil es noch um einige Grade voraussetzungsloser ansetzt. Der Christ bedarf der Gabe der Klugheit nicht nur in der Form des aktuellen Rates, der auaenblicksnotwendigen Erleuchtung. Er bedarf von allem Anfang an des freien Gnadengeschenkes einer Gesinnung, vor allem einzelnen Tun über haupt denken zu können, was rechf ist. Dem großen europäischen Rationalismus seit Descartes schien dies doch zumindest außer Zweifel zu stehen: daß Gott den Menschen im Geschenk der Vernunft nicht getäuscht habe und daß solcherart mit Sicherheit das Rechte erkannt werden könne. Der Zweifel dieses ganz kleinen Gebets ist radikaler. Er greift sogar die Selbstsicherheit des Rationalisten an. Auch das Denken-Können, das ja mehr ist als logischer Mechanismus, ist schon ein zu erflehendes Geschenk. Von keiner unserer frommer» Überlegungen,, ujiserer gutgemeinten Folgerungen können wir mit Sicherheit sagen, daß sie recht ist. Nicht einmal „recht” in jenem zielführenden Sinn wie die primitive Überlegung des Verwalters. Sie kann uns in die Irre führen, kann einen falschen Denk- und Talweg einleiten, der zur Katastrophe werden kann.

Und dennoch sind wir gehalten, das Gottesgeschenk der Vernunft zu gebrauchen, mit ihm in der Art des Pfundes zu wuchern. Die Hoffnung, als die geheimnisvollste der Göttlichen Tugenden sieht hinter dieser stammelnden Bitte, le ehrlicher die Demut, desto sicherer die Hoffnung. Je totaler die mit dem Eingeständnis des Unvermögens verbundene Bitte, desto totaler die Erfüllung.

Das neue Konzept

Dem Gesetz kommt exemplarische Bedeutung zu, denn es ist das erste österreichische Gesetz über eine neuartige Regelung des Verhältnisses von Kirche und Staat. Hier werden die großen geistigen und politischen Strömungen, welche, die Kultusgesetzgebung und die staatliche Kirchenpolitik der letzten zwei Jahrhunderte abwechselnd oder gleichzeitig bestimmt hatten, nämlich Josefinismus, Konkordatspolitik und Liberalismus — gemäß der Sprache der -Hegelschen Geschichtsphilosophie — im doppelten Sinne „aufgehoben”. Sie scheinen überwunden, während zugleich Wertvolles bewahrt wird.

An die Stelle des staatlichen Dirigismus der Josefiner tritt die echte Autonomie der Kirche. An die Stelle des Diktates tritt das paktierte Gesetz. Alle staatlichen Aufsichts-, Be- stätigungs- und Eingriffsrechte entfallen. Aber der Staat entläßt die Kirche nicht aus seiner Obhut, sondern gewährt eine privilegierte und subventionierte Autonomie.

Während die Konkordatspolitik des vorigen Jahrhunderts eine bevorrechtete, dominante Kirche anerkannte, wird nun zum erstenmal die Gleichberechtigung der Kirchen festgelegt. Zugleich aber wird die Kirche als eine dem Staat vorgegebene und von ihm unabhängige Größe anerkannt.

Im Gegensatz zp der liberalistiachen Trennung von Staat und Kirche gilt die Partnerschaft zwischen Staat und Kirche als maßgebender Grundsatz. Aber gleichzeitig wird bestätigt, daß die Kirche nur in voller Freiheit gedeihen kann.

Minister Drimmel hat selbst seine anfänglich mißverstandene Parole „freie Kirche im freien Staat” auf das glücklichste durch die altkirchliche Formel „unvermischt und ungetrennt” ergänzt und interpretiert. Diesem Konzept entsprach es, daß das Protestantengesetz in sechsjährigen, überaus gewissenhaften und eingehenden Verhandlungen mit allen in Betracht kommenden Ministerien einerseits und dem Verhandlungsausschuß der Kirche anderseits „paktiert” wurde. Ein Vertrag zwischen Staat und Kirche, wie es dem Wunsche des Ministers und der Kirche entsprochen hätte, ist einstweilen aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich.

Wir müssen es uns versagen, an dieser Stelle auf Einzelheiten einzugehen, wollen aber auf drei wichtige Neuerungen hinweisen. Nicht wenig Befremden erregte der erste Satz, der sogar Verfassungsbestimmung ist, wonach es nunmehr drei evangelische Kirchen gibt. Aber das ist ein historischer, theologischer und kirchenrechtlicher Irrtum. Seit 1781 gab es in Österreich lutherische und reformierte Christen und Gemeinden. Sie wurden nach ihren grundlegenden Bekenntnissen Evangelische Ausgburgi- schen Bekenntnisses, beziehungsweise Helvetischen Bekenntnisses (A, B. und H. B.) genannt. Sie hatten Pfarrer, Oberhirten, Diözesen und Synoden ihres Bekenntnisses. Aber Kaiser Franz Josef dekretierte im Protestantenpatent, daß sie zusammen die „Evangelische Kirche A. u. H. B.” zu bilden hätten. Erst die Synode 1949 schuf innerkirchlich Klarheit. Über

Antrag der Kirche erklärt nun das Protestantengesetz die Kirche A. B. und die Kirche H. B. zu gesetzlich anerkannten Kirchen. Es wäre eine Groteske, wenn in Österreich zwar die Mormonen oder die Methodisten gesetzlich anerkannte Kirchen wären, nicht aber die Lutheraner, beziehungsweise die Reformierten. Dennoch besteht aus Gründen der historischen Kontinuität und der Entwicklungsmöglichkeit die Kirche A. u. H. B. weiter. Aber sie ist theologisch und kirchenrechtlich in einem anderen Sinne „Kirche”, nämlich der Zusammenschluß der beiden „Bekenntniskirchen” zu einem „Kirchenbund” oder einer „Bundeskirche” zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben und zur gemeinsamen Vertretung nach außen.

Die Ökumene im Gesetz

Völlig neu und vermutlich einzigartig in der europäischen staatskirchlichen Gesetzgebung ist die Erwähnung der Ökumene und der großen ökumenischen Verbände. Für eine Minderheitenkirche ist es von großer Bedeutung, daß ihre Mitgliedschaft im Ökumenischen Rat der Kirchen, der heute noch der Zusammenschluß nahezu aller nichtrömisch-katholischen Kirchen der Welt ist, gesetzlich anerkannt wird. Anderseits kann man hier geradezu den Ansatzpunkt für ein ökumenisches Kirchenrecht sehen, und damit gewinnt dieses Gesetz eine Bedeutung, die weit über den Rahmen der österreichischen Kirche hinausweist.

Begutachtungsrecht

Bestehende Gesetze, interkonfessionelle oder parteipolitische Rücksichten verwehrten die volle Erfüllung der kirchlichen Wünsche und Forderungen, von denen manche auch für die katholische Kirche von Interesse gewesen wären, zum Beispiel eine erweiterte Rechtshilfe in Disziplinar- angelegenheiten, der gesetzliche Schutz der Bezeichnung „evangelisch” vor Mißbrauch, die Wiederaufnahme der Konfessipnsangabe in die polizeilichen Meldezettel, die Möglichkeit der staatlichen Einhebung der Kirchenbeiträge, die ein unverhältnismäßig höheres Aufkommen verbürgt hätte, die politische’ Exekution rückständiger Kirchenbeiträge, die uns im Protestantenpatent zustand, von der NS-Regierung genommen wurde, der israelitischen Kultusgemeinde aber noch immer zusteht. Die interessanteste Frage aber war Paragraph 14 des Gesetzentwurfes, wonach Gesetzentwürfe und Verordnungen des Bundes und der Länder der Kirchenleitung zur Stellungnahme übermittelt werden sollten.

Was den Kammern recht sei, müsse für die Kirche billig sein — mit diesen Worten hat ein evangelisches Regierungsmitglied vor Jahren diese Regelung angeregt. Der schöne Gedanke der Partnerschaft von Staat und Kirche hätte darin einen besonderen Ausdruck gefunden. Der evangelischen Kirche wäre es dabei nicht so sehr um ihre Öffentlichkeitsgeltung, als vielmehr um ihre öffentliche Verantwortung gegangen. Aber es gehört nicht zu den zentralen, unabdingbaren Forderungen der Kirche. Das war ihr speziell durch die lutherische Grundanschauung über das Verhältnis von Kirche und Politik verwehrt. Sie will den Christen als Staatsmann, aber nicht die Kirche als politische Macht. Das Begutachtungsrecht hätte natürlich nicht auf die evangelische Kirche allein beschränkt bleiben können, sondern wäre sogleich für die anderen Kirchen aktuell geworden. Diese Frage wurde im letzten Verhandlungsstadium plötzlich zu einem Politikum zwischen den Parteien. Das Gesetz drohte daran zu scheitern. Es ging nicht mehr um die evangelische Kirche. Erfahrungen und Gefahren der Vergangenheit wurden beschworen. Erst qls das Begutachtungsrecht auf die äußeren Rechtsverhältnisse der Kirche eingeschränkt wurde, konnte das Gesetz einstimmig angenommen werden.

Diese einmütige Zustimmung dokumentierte, daß die evangelische Kirche heute in Österreich nicht mehr wie manchesmal in der Vergangenheit Gegenstand politischen Streites ist und lohnte damit die Haltung der Kirche seit 1945, die sich nicht an Parteien gebunden, wohl aber dem Staat in einem positiven Bekenntnis verpflichtet und verantwortlich weiß.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung