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Heimweh und Flucht
Unter den Flüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina ist große Unruhe ausgebrochen. Dayton entfacht Hoffnung, Heimweh und gleichzeitig Furcht vor der Zukunft. „Wird man uns nach Hause schicken?" „Kann ich mein Haus wieder aufbauen?" „Wer wird mein Nachbar sein?" sind Fragen, die sie sich und uns stellen.
Viele möchten daran glauben, daß die Unterzeichnung in Dayton und Paris tatsächlich Friede und Zukunft bedeutet. Es ist schwer, den Flüchtlingen, vor allem den mit Gewalt Vertriebenen, die von ihren Erlebnissen schwer gezeichnet sind und fassungslos hier strandeten, in diesem Moment zu helfen. Es ist nicht weniger schwer bei den wenigen, die als Flüchtlinge gerade auf Österreich Hoffnung setzten und viel Energie und Mut investierten, um sich und ihren Kindern hier eine neue Zukunft zu schaffen. Auch zu ihnen brachte das Zauberwort „Friedensabkommen" tiefe Unruhe.
Eine Unruhe, die Familien spaltet, die alles verunsichert, was schon erreichbar aussah. Soll der Student, der Stipendien erhielt, der deutsch lernen mußte, um hier studieren zu können, unterbrechen und „nach Hause" gehen?
Ihn erwartet zwar die Bereitschaft der Behörden in Bosnien-Herzegowina, die Befreiung von Militärdienst und von Strafe, weil er sich der Teilnahme am Kampf gegen den übermächtigen Aggressor entzogen hatte, zu garantieren. Auch kann er sicher sein, Arbeit und Aufgabe zu bekommen, denn das Land braucht Intellektuelle, auch solche, die das Studium nicht abgeschlossen haben.
Der Aufbau einer Gesellschaft, die durch Vernichtung ihrer Infrastruktur, ihrer Wirtschaft, den Verlust an Menschen, die als Zivilisten ermordet oder als Soldaten getötet, verjagt wurden oder in großer Zahl vor den Schrecken des Krieges das Land verließen - ist ohne die Bückkehr .und die Wiedereingliederung von Experten auf allen Gebieten, vor allem aber im akademischen Bereich, einfach unmöglich. Daher werben die offiziellen Vertreter Bosnien-Herzegowinas massiv unter den Flüchtlingen um ihre Bückkehr.
Die Bückkehrer - nicht nur die Fachleute - werden allerdings konfrontiert sein mit denjenigen, die blieben, die an Körper und Seele vom Krieg gekennzeichnet wurden, und deren Zukunft dennoch zerstört ist. Diese Konfrontation wird schwer und dramatisch sein für beide Seiten. Nicht jeder wird ihr gewachsen sein.
Wir aber können den Bosniern aller „Ethnien", die in Österreich Flüchtlinge sind, nur damit helfen, daß wir ihnen garantieren, niemand werde gegen seinen Willen zurückgeschickt. Jenen, die ungeduldig nach Hause drängen, sollten wir raten, noch zu warten bis sich die Folgen von Dayton in der Bea-lität abzeichnen. Und denen, die hier bleiben wollen oder müssen, sollten wir ein Leben in Würde und Gleichberechtigung bieten.
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