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Literatur hinter Riegeln

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Edice Petlice heißt auf deutsch „Edition Riegel“. Dies ist der beziehungsreiche Name der Edition der verbotenen CSSR-Autoren. Jedes Buch „erscheint“ in wenigen Manuskriptabschriften, die vom Autor signiert sind. Seit 1971 erschienen bisher 145 Bände. In dieser „Rie-gel“-Edition erschienen auch die Ceske rozhovory; es handelt sich um eine Sammlung von Interviews, die Jiri Lederer in den Jahren 1975 und 1976 mit verbotenen tschechoslowakischen Autoren gemacht hat und die nun in deutscher Ubersetzung als „Tschechische Gespräche“ bei Rowohlt ersQhiBnentsirid;;Für denn Versuch, dieses Buch im Ausland zu publizieren“, kam LedererinsGefängnis.

Daß das Buch über die Situation der offiziell geächteten CSSR-Schriftsteller im Samisdat erscheinen mußte und daß schon der Versuch, es im Ausland zu publizieren, Sanktionen nach sich zog, gehört selber zur Situation. Dennoch wäre es zu wenig, in diesem Buch nur das Dokument einer Literatur im Zustand der Verschließung und Verriegelung zu erblicken; daß die sechzehn Gespräche (mit Ludvik Vaculik, Vaclav Havel, Pavel Kohout, dem Reporterduo Jifi Kolär, Jiri GruSa, Petr Chu-dozilov, Eva Kantürkovä, Frantisek Pavlicek, Josef Topol, Mojmir Klänsky, Karol Sidon, Alexander Kliment und schließlich Jiri Lederer selbst), ergänzt von Lederers denkwürdiger Rede vor dem Prager Stadtgericht und zwei informativen Artikeln sowie sehr sorgfältig von Werner Paul besorgten und gerade für Nicht-Bohemisten überaus nützlichen Anmerkungen, auch einen Dokumentationscharakter haben, versteht sich sowieso. Darum soll hier das Augenmerk auf die viel bedeutendere Tatsache gerichtet werden, daß dieses Buch - trotz seines fragmentarischen, aber gerade wegen seines exemplarischen Charakters - nichts Geringeres ist als ein einzigartiges Kompendium der tschechischen Gegenwartsliteratur.

Schriftsteller im Zustand politischer Verfolgung haben sozusagen in erster Linie mit dem Uberleben und Existieren zu kämpfen, das Schreiben kommt erst an zweiter Stelle; und tun sie es trotzdem, können sie hierzulande immer noch von jenem Dissidentenbonus profitieren, den ihnen die literarische Kritik aus Gründen der Solidarität einräumt und um dessentwillen sie ästhetischen Schwächen gegenüber zu so manchem zugedrückten Auge bereit sind. - Nichts von alledem im Falle der Tschechen! Das vielleicht Überraschendste an diesen „Tschechischen Gesprächen“ ist, wie sehr es in ihnen tatsächlich um Literatur geht.

Die ins Ghetto gedrängte und in aufgezwungener Isolation lebende Gruppe von tschechischen Schrift stellern befindet sich literarisch keineswegs im Ghetto. Auch im Angesicht verschiedener Damokles-Verhängungen haben sie so Wichtiges zu tun, wie z. B. über Formprobleme nachzudenken, die Bedingungen der Möglichkeit literarischen Schaffens zu reflektieren oder dem Wesen des Theaters nachzusinnen wie Vaclav Havel oder Jifi Grusa.

Selten kann man von einem 360 Seiten dicken Buch sagen, daß es keine überflüssigen und lauter lesenswerte Zeilen enthält; von Lederers „Tschechischen Gesprächen“ muß man es sagen. Nicht zuletzt ist es das Verdienst des erfahrenen Interviewers Lederer und seiner diskreten und nuancenreichen Kunst, Gespräche zu führen, daß statt einer Statementanthologie plastische und lebendige Porträts von Individualitäten entstehen, die auch von jenen Schriftstellern einen plastischen und lebendigen Eindruck vermitteln, die man hier zum ersten Mal kennenlernt, weil sie nicht den Bekanntheitsgrad eines Havel oder eines Kohout haben.

Starke Persönlichkeiten, das müssen sie alle schon deswegen sein, um überleben zu können: „Bei uns kann man das Gefühl der Genugtuung sehr stark allein daraus erleben, daß man sich zumindest teilweise seine Authentizität bewahrt hat, daß man nicht dem versklavenden, entpersönlichenden Einfluß der Umgebung und des äußeren Drucks erlag“, sagt Ivan Klima. Und Pavel Landovsky definiert: „Der Mensch ist das, was er aushalten kann. Hält er etwas nicht aus, hörter auf zu existieren. Deshalb ist det'Mfensch am Ende das, was er ausgehalten hat.“

Der vom Film herkommende,K“arol Sidon antwortet auf Lederers Frage, ob er weiterschreiben würde, wenn er gewiß sein könnte, in der CSSR überhaupt nie mehr publizieren zu können: „Früher hätte ich stolz gesagt: Selbstverständlich! Es war eine Frage der Ehre und des Aushaltens. Aber man wird älter, und es ist nicht möglich, Energien auf eine Trotzhaltung zu verschwenden. Ich weiß nicht, ob ich immer schreiben werde“, und gibt dann, nachdem er die Fragen, ob er Sozialist oder ob er Christ sei, verneint hat, auf die Frage, was er dann überhaupt sei, zur Antwort: „Mein eigenes Experiment.“

Die Gespräche wurden vor der Charta geführt; daraus erklärt sich, daß die Schriftsteller sich dazu nicht äußern. Jifi Lederer, der übrigens je- ' den seiner Gesprächspartner nach seinem Schlaf und nach seinen Träumen fragt, erkundigte sich bei seinen Kollegen, was sie zur öffentlichen Selbstkritik eines Hrabal und eines Sotola sagten; und es fällt auf, wie verschieden zwar, aber doch einhellig verständnisvoll alle antworten. Keiner, der den ersten Stein wirft. Im Gegenteil; Pavel Kohout formuliert: „Ich werde nie über jemanden zu Gericht sitzen. Sollte ich mein Wahlprogramm formulieren, würde ich sagen: Schluß mit der Blutrache in Böhmen!“ Oder Alexander Kliment: „Eigentlich möchtest du auch dem Regime helfen, und zwar dadurch, daß du es davon überzeugst, daß es uns nicht einzusperren braucht, daß es vor uns keine Angst zu haben braucht.“

Kann das vorliegende Buch eine Hilfe dazu sein? Vielleicht ist es wirklich nicht ausgeschlossen. Von unab-schätzbarer Bedeutung ist es immerhin schon, daß es auf Resonanz stößt. „Der Mensch kann nicht dauernd einen Dialog mit sich selbst führen. Ein Gedanke muß ausgesprochen werden, um sich zu bewegen“, formuliert der gleiche Alexander Kliment.

TSCHECHISCHE GESPRÄCHE -Schriftsteller geben Antwort. Von Jiri Lederer. Verlag Roirohlt. Reinbek bei Hamburg 1979 3(>0 Seiten. öS 205.40.

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