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Am Beispiel Ernst Jungers

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Da wurde also der 80. Geburtstag eines großen deutschen Schriftstellers gefeiert, vielleicht des bedeutendsten, den der deutschsprachige Raum derzeit aufzuweisen hat. Aus diesem Anlaß legt sein tapferer Verleger, bei dem die zehnbändige Gesamtausgabe erschienen ist, einige kleine Gaben vor, doch darüber später. Wenn man so die Titel liest, die in den einzelnen Bänden, jeder zwischen 450 bis 650 Seiten stark, enthalten sind, so ersteht vor dem geistigen Auge ein Werk, das wir, seit den ersten Begegnungen mit ihm, immer sehr hoch schätzten, das aber auch für den Kenner überraschenden, imposanten Reichtum birgt. Hier ist für viele Leser, die das Abenteuer des Geistes nicht scheuen und die hohe, anspruchsvolle Form zu schätzen wissen, noch ein kostbarer Schatz zu bergen. (Hiervon berichtete der Ernst Jünger gewidmete Beitrag in der Osterbeilage der FURCHE sowie zahlreiche, im Lauf der letzten zwei Jahrzehnte erschienene Einzelrezensionen seiner Bücher in diesem Blatt.)

Statt einer Festschrift gab sein treuer Stuttgarter Verleger Ernst Klett ein nobles schmales Bändchen heraus mit zwei kurzen Würdigungen des Dichters: die Ansprache des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg Filbinger und einen Essay von Karl Korn mit dem bezeichnenden Untertitel „Durch die Feuerzohe der Technik zum kosmo-logischen Spiritualismus“. — Die kostbarste Gabe aber machte der Autor seinen Lesern mit den hier abgedruckten Notizen aus Lissabon unter dem Titel „Bolfcon zum Atlantik“ sowie mit seinen letzten beiden Essays „Zahlen und Götter“ — „Phllemon und Baucis“, dem Andenken an Rene und Blanka Marcic gewidmet. — Der Verlag seinerseits hat eine Luxusausgabe von „Der Tod in der mythischen und technischen Welt“ mit sieben Gouachen von HAP Grieshaber herausgegeben, und dieser hat dem Dichter einen zweifarbigen Holzschnitt in Schwarz und Gold gewidmet, in verschiedenen Editionen, zum Teil vom Künstler signiert.

Ein großer Schriftsteller also. Aber wie sieht es mit seinen Auflagenzahlen, seinern Ansehen im heutigen Deutschland aus? Gewiß, eines seiner ersten Bücher „In Stahlgewittern“ hat die Viertelmillionengrenze fast erreicht, mehrere andere Bücher 10.000 bis 20.000. Aber „Auf den Marmorklippen“, das jeder, den wir kennen — und auch die Freunde unserer Freunde — gelesen hat, nicht einmal 100.000 Stück? Was ist das gegen einen Bestseller von heute! Und damals war es eines der wichtigsten Bücher überhaupt. Schon als Denkmal sollte es sich entsprechender Wertschätzung und einer ausverkauften Neuauflage erfreuen dürfen ...

Gewiß: Jünger ist kein Autor für alle Welt (nur seine ersten militaristisch-nationalistischen Anfänge waren „populär“). Aber je höher er stieg, desto mehr wurde er zum „Solitär“. Das ist, laut Larousse: ein einzeln lebender wilder Eber, ein als Einzelstück gefaßter kostbarer Edelstein — oder einfach ein Einzelgänger. „Elitär“ will Jünger nicht gern genannt werden. Aber er ist es. Und zahlt den Preis dafür. Diesbezügliche betrübliche Nachrichten erfahren wir durch einen brillant geschriebenen Essay von Alfred Andersch (dem es nicht an seiner politischen Wiege gesungen war, einmal als Laudator Jüngers vor die Öffentlichkeit zu treten). Dieser Artikel mit dem Titel „Achtzig und Jünger“ steht im Märzheft der gleichfalls im Ernst-Klett-Verlag erscheinenden Zeitschrift „Merkur“, die in Niveau und Haltung gleichermaßen erfreulich ist (das betreffende Heft trägt die stolze Zahl 322. Auch hiefür ist einem mutigen Verlag zu danken).

Was also schreibt Alfred Andersch unter anderem?

„Für große Teile der einstweilen, in einer bereits wieder präfaschistischen Phase (vulgär Rechtsdrall, feingeistig Tendenzwelle genannt) noch den Ton angebenden Intelligenz ist Jünger eine Un-Person. In der laufenden Literaturdiskussion kommt sein Name niemals vor. Gelegentlich wendet ein Herr aus dem germanistischen Betrieb noch einige Mühe an eine neue Abwertung, die aber bereits als überflüssig empfunden wird. Jüngere Semester wissen schon gar nicht mehr, wovon da eigentlich die Rede geht. Die Akte ist geschlossen.

Wir können uns das also leisten. Wir können es uns leisten, einen Schriftsteller glatt abzuschreiben, der ,Das abenteuerliche Herz', glätter und Steine', ,Auf den Marmorklippen', .Gärten und Straßen', ,Strahlungen', die .Friedensschrift', ,Der Waldgang', .Über die Linie',.Subtile Jagden', .Annäherungen', .Die Zwille' geschrieben hat. Wir sind ja so reich. Das Land quillt über von Meisterwerken der Literatur. Da können wir es uns leisten, den letzten aus der großen Reihe Mann (1875), Kafka (1883), Benn (1886), Brecht (1898) ad acta zu legen. Ernst Jünger (1895). Und wir leisten es uns. Brecht: .Laßt mir den Jünger in Ruhe!' So hatte der Mann aus Augsburg das nicht gemeint...

Über die Risken zu reden, die er eingeht, kommt für ihn nicht in Frage. Kein Wort von seiner Teilnahme an den Plänen Niekischs, Rommels und Stülpnagels; die Gestapo-Verhöre, die Hetze des „Schwarzen Corps“ gegen ihn muß man erraten. Die Vorstellung, er könne in die Rolle eines Bramarbas am republikanischen Kaminfeuer geraten, läßt ihn zweifellos schaudern. Vielleicht hat er geglaubt, sich auf die Wahrheit historischer Forschung verlassen zu können, auf die leicht einsehbaren Beweise — er, der es niemals nötig gehabt hat, Spruchkammern günstig zu stimmen. Übrigens hätten ihm eigene Erzählungen so wenig genützt, wie ihm die Beweise genützt haben, die von seinen Anwälten vorgelegt worden sind. Es gibt einen Typ von Inquisitoren, der auf die schlüssigsten Indizien, auf die unwiderlegbarsten Zeugnisse mit den Zitaten aus den Schriften eines Fünfundzwanzigjährigen antwortet. Stereotyp, monoton, mit blechernen Stimmen unter den eisernen Stirnen des juste milleu. Es ist, als hätten sie nicht zugehört. Sie haben nicht zugehört. Sie wünschen nicht, zuzuhören. Sie hassen. Mit einem kleinlichen Haß, ohne Größe. Seit langem schon verkommt dieser Haß zur Marotte...

Noch aus einem anderen Grund macht er es sich schwer. Er gibt keine Interviews. Er weigert sich hartnäckig, in Rundfunk und Fernsehen aufzutreten. Er ist medienfeindlich. In einer Zeit, in welcher der Ruhm eines Schriftstellers von seiner Medienfreundlichkeit abhängt, sind die Folgen solchen Verhaltens desaströs. Er sei Autor, nicht Rhetor, sagt er, sich naiv stellend, als ob er nicht wüßte, daß die Öffentlichkeit sich angewöhnt hat, die Bedeutung eines Schriftstellers an dem Grad zu messen, in dem er Sprechsteiler ist. Sich den Medien verweigern, heißt da fast schon, ein Tabu brechen. Außer ihm leistet sich nur noch Arno Schmidt den gleichen Spleen. Aber ihm nimmt man den Bargfelder Stacheldraht nicht übel; er ist skurril, ein Sonderling, man ist geneigt, es mit Humor zu nehmen. Bei Jünger ist's elitär. Das Modewort ist gleich zur Hand, schneller, als wenn man ausprobierte: scheu. Ein freundlicher

Ja, mit solchen Eigenheiten, Eigenschaften und Phobien ist heutzutage kein Staat zu machen. Oder sieht Andersch doch ein wenig zu schwarz? Wir können das, weitab von der deutschen Kulturszene, nicht so genau beurteilen. — So sympathisch seine Abneigung gegen das Ferngesehenwerden ist, so erfreulich und schmeichelhaft ist die einzige Ausnahme, die er bisher, gemacht hat, nämlich Österreich gegenüber. Wir haben bereits zu Ostern darauf hingewiesen.

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