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„Nie Blankes“, Apartheid bleibt

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Nachdem Dr. Hastings Banda, Präsident der „schwarzen“ Republik Malawi, das Eis gebrochen und die Südafrikanische Republik besucht hat, scheint es an der Zeit, daß Christen in allen Teilen der Welt ernsthaft und leidenschaftslos über dieses Land am südlichsten Zipfel des Schwarzen Kontinents nachdenken. Ich habe es innerhalb der letzten zwölf Jahre zweimal besucht und möchte gleich eingangs zugeben, daß mir seine Innenpolitik wenig zusagt, muß aber im selben Atem hinzufügen, daß ich keine einfachen Lösungen für das Rassenproblem dieses Landes habe. Und selbstverständlich ist es so gut wie unmöglich, sich darüber eine Meinung zu bilden, ohne die Sachlage gesehen und gründlich studiert zu haben. Das von den Massenmedien gezeichnete Bild ist ganz unzureichend, wenn nicht gar verzerrt, doch es gibt über Südafrika ein ausgezeichnetes und ausführliches Buch von Allan Drury, einem sehr bekannten amerikanischen Autor mit viel gesundem Menschenverstand. Der Titel des Buches, A Very Strange Society (Eine sehr ungewöhnliche Gesellschaft), gibt Aufschluß über seinen Inhalt: Nachdem er das Für und Wider in bezug auf die Apartheid sorgfältig abgewogen hat, bleibt der Autor unentschieden. Er ist wenig begeistert von dem was er sah, hat aber auch keine Patentlösung für das menschlich so erschütternde Problem.

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Nachdem Dr. Hastings Banda, Präsident der „schwarzen“ Republik Malawi, das Eis gebrochen und die Südafrikanische Republik besucht hat, scheint es an der Zeit, daß Christen in allen Teilen der Welt ernsthaft und leidenschaftslos über dieses Land am südlichsten Zipfel des Schwarzen Kontinents nachdenken. Ich habe es innerhalb der letzten zwölf Jahre zweimal besucht und möchte gleich eingangs zugeben, daß mir seine Innenpolitik wenig zusagt, muß aber im selben Atem hinzufügen, daß ich keine einfachen Lösungen für das Rassenproblem dieses Landes habe. Und selbstverständlich ist es so gut wie unmöglich, sich darüber eine Meinung zu bilden, ohne die Sachlage gesehen und gründlich studiert zu haben. Das von den Massenmedien gezeichnete Bild ist ganz unzureichend, wenn nicht gar verzerrt, doch es gibt über Südafrika ein ausgezeichnetes und ausführliches Buch von Allan Drury, einem sehr bekannten amerikanischen Autor mit viel gesundem Menschenverstand. Der Titel des Buches, A Very Strange Society (Eine sehr ungewöhnliche Gesellschaft), gibt Aufschluß über seinen Inhalt: Nachdem er das Für und Wider in bezug auf die Apartheid sorgfältig abgewogen hat, bleibt der Autor unentschieden. Er ist wenig begeistert von dem was er sah, hat aber auch keine Patentlösung für das menschlich so erschütternde Problem.

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Bevor wir daran gehen, uns ein Urteil zu bilden, müssen gewisse Tatsachen in Erinnerung gebracht werden:

1. Bald nachdem die Portugiesen das Kapland entdeckt hatten, begannen die Holländer es zu kolonisieren. Sie vermischten sich auch mit der eingeborenen Bevölkerung, den Hottentotten und Buschmännern, die beide nicht echte Neger sind, sondern einer eigenen, gelblichen Urrasse angehören. Auch aus Indonesien importierte Malayen mischten sich später mit dieser weiß-gelben Bevölkerung und so kam die Rasse der „Cape Coloured“, der „Kap-Farbigen“ (Kleurde) zustande, die mit der Zeit auch einen Zuschuß von Bantu- (Neger-)Blut erhielt.

2. Nadi der Annexion der Kap- Kolonie durch die Engländer emigrierten viele holländische Settler (die sogenannten „Buren“, das heißt Bauern) in das nordöstlich gelegene Niemandsland. Im Laufe dieser Wanderung stießen sie mit Bantustämmen zusammen, die dann südwärts drangen. Wer die ersten Ankömmlinge in den neubesiedelten Gebieten waren, ist schwierig zu sagen. Im Jahre 1902 wurden die beiden jungen Burenrepubliken von Briten erobert und 1910 wurde das gesamte Gebiet zwischen dem Kap und dem Lauf des Limpopo ein Dominium mit Selbstverwaltung, in dem die Buren (die sich selbst „Afri- kaaner“ nennen) die Mehrheit der weißen Bevölkerung bildeten. Die Volksabstimmung von 1960 brachte dem Land völlige Unabhängigkeit.

3. Südafrika hat eine Minderheitsregierung. Nur jene 20 Prozent der Bevölkerung, die europäischer Abstammung sind, genießen volle politische Rechte. Die 10 Prozent „Coloured“ (Farbigen), die 3 Prozent Asiaten sowie die 67 Prozent Schwarzen (Bantus) stehen unter weißer Oberhoheit. Unter den Weißen wiederum haben die sogenannten Nationalisten, eine hauptsächlich aus Afrikaanern (Buren) bestehende Partei, die Mehrheit und bestimmen das politische Schicksal des Landes.

Die (größtenteils, wenn auch nicht rein) britische Unionspartei und die kleine Gruppe der (links-liberalen) „Progressisten“ sind in der Opposition, ebenso die „Echten Nationalisten“, eine Gruppe extremer Rassisten, die glücklicherweise in den letzten Wahlen kein einziges Mandat erhielten.

Aber auch die extremen Rassisten muß man psychologisch (und selbst „theologisch“) verstehen. Am 9. November 1952 wurde in East-London die Nonne Elsie Quinlan, eine Medizinerin, von schwarzen Jugendlichen des African National Congress in ihrem Auto überfallen, erstochen, verbrannt und zum Teil aufgefressen. Solche Traumate sind nicht leicht zu überwinden. ”

4. Die gegenwärtige Politik der Nationalistischen Partei fußt auf Apartheid, mit dem Ziel einer zukünftigen totalen Trennung der beiden großen Rassen — der Weißen und der Schwarzen. Es soll rein weiße und rein schwarze Gebiete geben und Angehörigen keiner Gruppe soll es gestattet sein, sich dauernd auf der „falschen Seite“ aufzuhalten. Es gibt bereits Grenzindustrien, um es den Bantus zu ermöglichen, tagsüber auf „weißem“ Gebiet zu arbeiten. Die nach Rassen getrennten Regionen sind sehr ausgedehnt; die viel größeren „weißen“ umfassen die ganzen Wüsten, die viel kleineren „schwarzen“ hingegen einige der fruchtbarsten Landstriche.

5. Diese geographische Trennung wird meist als Große Apartheid bezeichnet. Den rein schwarzen Gebieten ist nahezu vollkommene Selbstverwaltung versprochen (und zum Teil bereits gewährt). Dort ist kaum je ein Weißer zu sehen. (Ich erhielt die Erlaubnis, solche Gebiete in Begleitung eines Regierungsbeamten zu besuchen und begegnete keinem einzigen Weißen.) Die Kleine Apartheid, die ausgesprochen diskriminierender Natur ist, könnte vielleicht einmal abgeschafft werden, sobald die totale „geographische“ Trennung durchgeführt ist. Die Mehrzahl der Schwarzen empfindet die Kleine Apartheid (die sich auf Omnibusse, Taxis, Stadtviertel, Lifts, Postschalter, Bahnhöfe bezieht) nicht als beleidigend, weil der durchschnittliche Bantu lediglich eine amüsierte Verachtung für die Weißen und ihre Lebensweise hat. Der Weiße? Ein sexuell minderbemittelter, arbeitsneurotischer, ungemütlicher, armer Hund, der ohne seine Technik, die ihm als Krücke dient, erledigt wäre. (Hand aufs Herz: Wären wir beleidigt, wenn es eigene Aufzüge oder Schalterfenster für Blauäugige und Braunäugige gäbe? Wir fänden es höchstens lächerlich.)

Nur eine kleine, sehr gebildete schwarze Minderheit, die voll widerstrebender Bewunderung für die europäische Kultur und Zivilisation ist und sich nach menschlicher Anerkennung sehnt, leidet darunter und lehnt sich dagegen auf.

Als ich Südafrika im Winter 1959/60 besuchte, hielt ich die Große Apartheid für reine Augenauswischerei und außerdem für gänzlich unrealistisch. Heute weiß ich, daß sie allen Ernstes durchgeführt wird. Wird sie aber auch „funktionieren“? Das bleibt abzuwarten, aber ich bin heute geneigt, ihr gewisse Erfolgschancen zu geben. Nur fürchte ich, daß die Africaaner — merkwürdigerweise — die Fähigkeit der Bantus, sich selbst zu regieren, überschätzen. Die kleineren, meist rein agrarischen, aber in der Nähe der Grenzindustrien gelegenen „Bantu Homelands“ scheinen recht erfolgreich, die größeren, ein wenig industrialisierten jedoch haben es wesentlich schwerer. Wie zu erwarten war, sind die noch seltenen schwarzen Ärzte, Juristen und Ingenieure nicht sehr geneigt, in die autonomen Regionen zu übersiedeln und nehmen oft lieber die Benachteiligungen der Kleinen Apartheid in Kauf — mit anderen Worten, sie ziehen es vor, wenn schon nicht unter den Weißen (was heute bereits unmöglich ist), so doch in einer „weißen Atmosphäre“ zu leben. Auch macht die Ausbildung qualifizierter schwarzer Arbeiter in den Bantu Homelands nicht genügend Fortschritte, obwohl die Regierung sich endlich herbeigelassen hat, eine systematische Ausbildung für sie zu ermöglichen. Das hat interessanterweise eine starke Reaktion in den (weißen) Gewerkschaften hervorgerufen (nicht aber beim Großkapital, das überall „farbenblind“ ist), die stets die bittersten Feinde der Bantus waren. Obwohl die Regierung versichert, daß das Ausbildungsprogramm lediglich den „Bantu Homelands“ zugute kommen soll, hegen die organisierten weißen Arbeiter den Verdacht, daß im Notfall schwarze Facharbeiter aus den „Bantustans" importiert werden könnten. Bis jetzt sind immer noch alle gehobenen Posten und leitenden Stellen unter der Arbeiterschaft der weißen und gemischten Gebiete den Weißen reserviert, eine zutiefst ungerechte Situation, die allerdings mit der Kleinen Apartheid untrennbar verbunden ist.

Eine große Schwäche des ganzen Programms der geographischen Trennung liegt aber darin, daß weder für die „Farbigen“ noch für die Asiaten (meist Inder) ein konstruktiver Plan existiert. Sie sollen „in Reichweite“ der Weißen leben, aber keine „Homelands“ zugeteilt bekommen.

Wie verhalten sich nun die verschiedenen „Rassen“ diesen Programmen und Plänen gegenüber? Die Coloured und die Asiaten sind aus leicht ersichtlichen Gründen völlig dagegen. Die Inder wollen natürlich nicht nach Indien zurück (wo der Lebensstandard ungleich niedriger ist) und fürchten das Ende der weißen Herrschaft, weil sie dann als erste alles, vielleicht auch das Leben verlieren würden. Sie werden von den Bantus ehrlich gehaßt.

Anfangs in totaler Opposition gegen die Große Aparheid, hat sich die schwarze Führerschicht in letzter Zeit umgestellt. Sie sieht ein, daß der Plan ernst gemeint ist und eine Chance für sie selbst und für die verschiedenen Bantustämme (Xhosa, Zulu, Sotho) im ganzen darstellt. Natürlich lehnt sie die Kleine Apartheid ab. Ich bin selbst der Ansicht, daß diese nicht nur überflüssig, sondern ein zweischneidiges Schwert ist. Man stelle sich einen Bantu (oder Coloured, oder Inder) vor, der im strömenden Regen auf einen Bus wartet. Endlich kommt einer — aber er trägt die Markierung Blankes (Weiße). Sein Zorn wird begreiflich sein, aber haargenau dasselbe kann einem Weißen passieren, dem es auch strikt verboten ist, einen Bus oder ein Taxi markiert Nie Blankes zu benützen.

Unter den Weißen kann man verschiedene Ansichten hören, aber selbst die Überzeugtesten Anhänger der Apartheid sind meist weniger vehement als man hierzulande glaubt. „Manchmal wache ich in der Nacht auf und grüble und grüble, versuche einen Weg zu finden — und muß es jedesmal wieder aufgeben“, gestand mir einmal ein hochgebildeter Africaaner. 99 Prozent aller Weißen sind gegen die Einführung der Demokratie zum gegenwärtigen Zeitpunkt und selbst die ziemlich links stehenden Progressisten haben nur ein dem rhodesischen ähnliches System im Sinn: qualifiziertes Wahlrecht. Sofortige Demokratisierung würde den Zusammenbruch Südafrikas bedeuten. Auch ist das Argument der Apartheidsbefürworter nicht von der Hand zu weisen, daß eine „integrierte Gesellschaft“ denselben unlösbaren Problemen gegenüberstehen würde wie heute die amerikanische. Es ist nun einmal so, daß die moderne Zivilisation eine europäische ist, daß der Weiße in ihr mehr zu Hause ist, daß sein Fleiß und zum Teil auch seine Intelligenz weitaus größer sind als die dės Bantu.

Vom rein christlichen Standpunkt aus ist die Kleine Apartheid zu verurteilen, weil sie gerade für jene Nicht-Weißen verletzend ist, die unsere Werte, unser Gedankengut assimiliert haben. Die Große Apartheid ist etwas ganz anderes. Weder die Mehrzahl der Weißen noch der Bantus wollen sich gegenseitig mischen. Wer glaubt, daß eine Bantufrau stolz darauf wäre, ein milchkaffeefarbenes Kind auf die Welt zu bringen, täuscht sich sehr. (Die USA, die eigentlich nur Mischlinge aller Schattierungen haben, liegen eben nicht auf derselben Wellenlänge.) Eine Trennung in verschiedene Wohngebiete wäre nicht unmoralisch, aber ob das ohne radikale Reformen und Liberalisierungen auf die Dauer wirtschaftlich möglich wäre, ist allerdings eine ganz andere Frage.

Eines ist sicher: Österreicher und Deutsche müssen sich hüten, über die Afrikaaner und südafrikanischen Briten voreilig und lautstark gestrenge Urteile abzugeben. Vernichtungslager hat es dort unten für Andersrassige nie gegeben, und ob man es glaubt oder nicht, der Lebensstandard der Bantus in Südafrika ist viel höher als der irgendeines Negerstaates, was zur Folge hat, daß jährlich Tausende von Bantus heimlich einwandem. Für den Neger ist Südafrika kein Paradies, aber die Einwanderungsziffem beweisen, daß es auch keine Hölle ist. Vielleicht löst sogar die Große Apartheid mit der Zeit die brennende Rassenfrage im Sinne einer konstruktiven Koexistenz. Sicher ist nur, daß echte Demokratie, echte Mehrheitsherrschaft, Südafrika nie und nimmer seinen doch sehr allgemeinen Wohlstand gebracht hätte, wobei noch zu bedenken ist, daß die Südafrikanischen Bantus zu den primitivsten Einwohnern Afrikas zählen und, um nur ein Beispiel zu nennen, mit der Bevölkerung Guineas nicht zu vergleichen sind. Neger ist eben nicht gleich Neger (ebensowenig wie man Indogermanen aller Art, also etwa Holländer und Zigeuner, gleichsetzen kann). Das Industrieprodukt Südafrikas hat sich seit 1956 um 70 Prozent vermehrt und während die Republik nur etwas mehr als 6 Prozent der Bevölkerung Afrikas umfaßt, hat sie ein Viertel des Gesamteinkommens dieses Kontinents, produziert mehr als die Hälfte der Elektrizität, besitzt mehr als die Hälfte aller Autos und Telephone. Kein Wunder also, daß dieses Land eine so starke Anziehungskraft ausübt.

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