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Angst vor dem Selbstmord

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Was für die arabischen und anderen islamischen Länder Israel, ist für die afrikanischen Staaten Südafrika. Dies um so mehr seit-dem Umsturz in Portugal im April vorigen Jahres und der darauffolgenden Zerschlagung des fünfhundert Jahre alten portugiesischen,Reiches. Krieg mag zwischen Mali und Obervolta drohen, Truppen .mögen an der l gaadh-Tansaiiitjn-Grt'nzc aufmarschieren, Bürgerkrieg mag in Äthiopien ausbrechen — in einem Punkt ist das ganze-schwarze Afrika einig: Garthaginem esse delendam — Südafrika müsse „befreit“ werden.Südafrika aber ist unkooperativ und voller Uberlebenswillen. Mehr noch, es scheint eine gute Chance zu haben, zu überleben.

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Was für die arabischen und anderen islamischen Länder Israel, ist für die afrikanischen Staaten Südafrika. Dies um so mehr seit-dem Umsturz in Portugal im April vorigen Jahres und der darauffolgenden Zerschlagung des fünfhundert Jahre alten portugiesischen,Reiches. Krieg mag zwischen Mali und Obervolta drohen, Truppen .mögen an der l gaadh-Tansaiiitjn-Grt'nzc aufmarschieren, Bürgerkrieg mag in Äthiopien ausbrechen — in einem Punkt ist das ganze-schwarze Afrika einig: Garthaginem esse delendam — Südafrika müsse „befreit“ werden.Südafrika aber ist unkooperativ und voller Uberlebenswillen. Mehr noch, es scheint eine gute Chance zu haben, zu überleben.

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Vor ungefähr zwanzig Jahren wurden die Richtlinien für Südafrikas politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung festgelegt. Das Motto war „separate Entwicklung“ und ist es bis zum heutigen Tag geblieben. Während aber in der praktischen Durchführung der südafrikanischen Politik der Akzent gleichermaßen auf dem Worte „separat“ und auf „Entwicklung“ ruht, heißt das populäre Schlagwort auf Afrikaans einfach „Apartheid“. Man mag über Semantik denken, wie man will, aber „Apartheid“ hat keinen guten Klang. Es half auch nicht, daß ein englischsprechender Journalist seinen Lesern erklärte, die korrekte Aussprache klinge wie das englische „apart hate“. Nun ist es wahr, daß Public Relations vielleicht nicht Südafrikas starke Seite sind, aber es scheint heute, daß die Regierung unter, Premierminister Verwoerd Männer von Weitblick besaß.

Noch bevor andere von den Winds of Change sprachen, die tatsächlich bald die alten Kolonialreiche von der Landkarte Afrikas wegblasen sollten, erkannte Verwoerd, daß auch in seinem Lande eine minoritäre weiße Elite sich nicht auf die Dauer werde behaupten können. Anderseits aber lehnte und lehnt die Mehrzahl sowohl der englisch als auch der Afrikaans sprechenden Südafrikaner eine Lösung ab, die sie ihre ethnische und kulturelle Identität kosten würde. Was heute bereits ziemlich klar zu sehen ist, schien damals noch in weite Ferne gerückt. Bevor dieses Jahrhundert zu Ende ist, wird die weiße Bevölkerung nur noch elf oder zwölf Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes ausmachen, so verschieden sind die Zuwachsraten der einzelnen Bevölkerungsgruppen. Die afrikaans-sprachigen Bürger werden dann eine Minorität von vielleicht acht, die englisch sprechenden Südafrikaner gar nur von vier Prozent der Gesamtbevölkerung darstellen. Und die Uberlebenschancen solch kleiner Minoritäten sind gering. Für die weißen Einwohner der ehemals englischen, französischen, belgischen Kolonien und der portugiesischen Überseeprovinzen in Afrika gab es immerhin einen Ausweg. Sie konnten ins Mutterland gehen, wenn sie nicht bleiben wollten; nach England, Frankreich oder wohin immer. Die weiße Bevölkerung Südafrikas aber hat, ähnlich den portugiesischen Siedlern, ihren Ursprung-in der Besiedlung der Kap-Provinz vor mehr als dreihundert Jahren, in diesem

Fall eben von Holländern. Die weißen Südafrikaner von heute haben sowenig eine andere Heimat wie die schwarzen. Sie sind, wie viele der jetzt heimatlos gewordenen Portugiesen, Afrikaner, wenn auch weiße.

Da sie nun, wohl oder übel, bestimmt sind, in Afrika zu bleiben, ethnischen und kulturellen Selbstmord ablehnen und sich gleichzeitig darüber im klaren sind, daß die alte Vorherrschaft des weißen Boß für immer in die Geschichte eingegangen ist, mußte eine neue Lösung gefunden werden. Und die Lösung, auf die das überleben wollende weiße Südafrika alles gesetzt hat, heißt separate Entwicklung.\

Was hat es nun für eine Bewandtnis mit der berüchtigten Apartheid? Die erste Phase bestand aus der örtlichen Trennung der verschiedenen ethnischen Elemente Südafrikas. Dies geschah oft auf taktlose Weise, häufig brutal, und es war dies, was mehr als alles andere die südafrikanische Politik weithin in Mißkredit brachte. Viele Fehler wurden begangen, die zu vermeiden gewesen wären. Gleichzeitig aber wurde auch viel Konstruktives geleistet. Heute sind Lebensstandard und durchschnittliches Bildungsniveau unter den Schwarzen Südafrikas höher als in irgendeinem der unabhängigen „schwarzen“ Staaten Afrikas. Zudem findet eine ständige illegale Einwanderung aus den benachbarten Staaten nach Südafrika statt, in das „Land der Knechtschaft und der Unterdrückung“. All dies wird sogar vielfach von den Gegnern Südafrikas zugegeben, während Südafrikas Apologeten ihrerseits konzedieren, daß die Durchschnittseinkommen der Schwarzen und die ihnen vom Staate gebotenen sozialen Dienstleistungen weit hinter jenen der Weißen zurückstehen.

Der nächste Schritt bei der Realisierung einer Politik der separaten Entwicklung war die Schaffung der sogenannten Bantu-Homelands oder Bantustans. Dies folgte logisch aus der Einsicht, daß ein weiteres Zusammenleben entweder auf weißer Vorherrschaft basieren oder letzten Endes zum Verschwinden der afrikaans und englisch sprechenden weißen Volksgruppen führen müßte. Deshalb sollten die verschiedenen schwarzen Volksgruppen die Möglichkeit erhalten, ihre eigenen nationalen Staatswesen aufzubauen und für ihre eigene wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung verantwortlich zu sein. Da die historische Entwicklung der schwarzen Völker durch die wiederholten Zusammenstöße und Kriege mit den Weißen unterbrochen worden war, war sich die südafrikanische Regierung der Notwendigkeit bewußt, daß sie die nationale Wiedergeburt der Zulu, Xhosa, Tswana und der anderen schwareen Völker auf dem Gebiet der Südafrikanischen Republik durch technische und Wirtschaftshilfe fördern müsse. Das am weitesten fortgeschrittene dieser Bantu-Homelands ist der Transkei, der bereits vollkommene interne Autonomie besitzt und wahrscheinlich schon im nächsten Jahr — spätestens aber in vier Jahren — seine völlige Unabhängigkeit und Souveränität erlangen soll. Andere Home-lands, wie der Xhosa-Ciskei, Kwa-zulu, Bophuthatswana, Gazankulu und andere, folgen dem Transkei in kleineren oder größeren Entwick-lungsabständen.

Es ist wahr, daß die Politik der Homelands in ihrer derzeitigen Form wohl kaum bereits eine endgültige Lösung darstellt. Der Transkei isl derzeit das Schaustück der Home-lands-Politik. Er ist der größte dei werdenden schwarzen Staaten Südamerikas und, soweit es sich heute abschätzen läßt, bei weitem der lebensfähigste. Dazu muß noch erwähnt werden, daß die Territorien, die ursprünglich dazu bestimm! waren, „schwarze“ Staaten in der Südafrikanischen Republik zu werden, nur dreizehn Prozent der gesamten Fläche des Landes ausmachen. Anderseits hat sich die Regierung der südafrikanischen Republik als flexibel erwiesen. Gebiete wurden und werden wohl noch konsolidiert. Und über Grenzen haben auch andere Länder schon gütlich verhandelt. Auch die südafrikanische Wirtschaftshilfe für die Homelands ist im Laufe der Jahre praktischer und realistischer geworden.

Heißt das alles, daß Süddafrika im Begriffe ist, sich selbst zu zuerstük-keln? Keineswegs. Oder zumindest ist das nicht die Absicht der Planer in Pretoria. Man hofft auf gegenseitig sich ergänzende wirtschaftliche Zusammenarbeit in der Zukunft. Und da das Wirtschaftswachstum ungefähr doppelt so schnell fortschreitet wie die gesamte Beövlke-rungszuwachsrate, sollte für alle „etwas drin“ sein.

Noch wichtiger jedoch als die wirtschaftlichen Vorteile ist die politische Lösung, die Südafrika sich offensichtlich von dieser Politik verspricht. In Anbetracht der immer kleiner werdenden weißen Minorität muß der Anteil der Schwarzen, Mischlinge und Inder am Wirtschaftsleben der Republik ständig an Bedeutung zunehmen. Normalerweise bringt die wirtschaftliche auch die politische Emanzipation mit sich. Und gäbe es keine Bantustans oder Homelands, müßte dies unweigerlich zu einer Lösung auf der Basis von „one man, one vote“ führen; der Lösung, so fürchten die Weißen, unter der ihre eigene ethnische und kulturelle Identität zum Untergang verurteilt wäre. Statt dieser parlamentarischen „One man, one vote“-Lösung des mechanischen Stimmen-zählens hoffen die politischen Planer Pretorias eine Art von ethnischer oder Nationalitätendemokratie schaffen zu können, in der an Stelle der Zählung einzelner Stimmen Dialoge zwischen den Nationalregierungen der Weißen und der Zulu oder der Tswana oder der Ciskei oder der Transkei-Xhosa stattfinden.

Ob diese politisch-wirtschaftliche Lösung tatsächlich realisiert werden kann, ist noch keineswegs gewiß. Sicher aber ist, daß sie den Versuch wert ist, denn die Alternativen wären entweder die Zerstörung Südafrikas oder der kulturelle und wirtschaftliche Selbstmord der Weißen — was auf dasselbe herauskäme. Ob der gordische Knoten gelöst werden kann, mag fraglich sein;.ihn lediglich zu durchschlagen, wäre aber auf alle Fälle katastrophal.

Inzwischen betreibt Südafrika unverdrossen seine Politik der guten Nachbarschaft weiter. Während Pretoria jede Kritik an seinen internen Arrangements auf das entschiedenste zurückweist, bietet es seinen schwarzen Nachbarn technische und wirtschaftliche Hilfe an, empfängt diplomatische Missionen „schwarzer“ Staaten mit allen gebührenden Ehren und stellt neue Kontakte mit anderen Teilen des Kontinentes her.

Wenn es Südafrika letzten Endes gelingt, seine Nachbarn und die Welt von der Ehrlichkeit seiner Absichten zu überzeugen und sich die unabhängigen Homelands zu Freunden zu machen, könnte es damit nicht nur sein eigenes Überleben sichern, sondern auch die restlichen Staaten dieses vielgeplagten Kontinents dazu bringen, ihre Einheitsbestrebungen auf eine konstruktivere Basis zu stellen als auf die des blinden Hasses.

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