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Philosoph der Sprache

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Wäre das Wort nicht so abgedroschen, das Werk Ferdinand Ebners, eines Volksschullehrers aus Wiener Neustadt der den größten Teil seines Lebens in Ga-blitz bei Wien zubrachte, hätte am ehesten Anspruch auf den Ausdruck „ein österreichisches Schicksal".

Als ein angesehener Wiener Verlag im Jahr 1919 das Buchmanuskript des imbekannten Volks-schullehrers Ferdinand Ebner auf Grund des Gutachtens eines Professors für Philosophie der Universität Wien als „wissenschaft-

lich unmöglich" ablehnte, kormte keiner der Beteiligten ahnen, daß man Jahrzehnte später den Namen des Gutachters eigentlich nur mehr auf Grund dieser Ablehnung keimen wird. Ferdinand Ebner, der vielleicht kompromißloseste „Dialogiker" — beinahe gleichzeitig haben Martin Buber, Franz Rosenzweig, Eugen Rosen-stock-Huessy und Gabriel Marcel ähnliche Grundgedanken entwik-kelt - hat in den letzten Jahren eine Renaissance erlebt die den scheuen, ausschließlich auf die Sache seines Denkens bezogenen Mann vielleicht sogar erschreckt hätte.

Das Schlagwort „Dialog" hat die sogenannte „Öffentlichkeit" mobilisiert Das Thema Sprache,

als Problem des Wortes von Ebner in den Mittelpunkt aller seiner Überlegungen gestellt, ist zu einem Evergreen der philosophischen Szene der Gegenwart geworden. Aber Ebners Bedenken des Wortes, sein Kreisen um die aufschließende, wirklichkeits-stiftende Kraft der Sprache vollzieht sich fem von jenem sprachkritischen, analytischen, strukturellen, linguistischen Aufwand der gegenwärtigen Sprachphilosophie.

Beinahe monomanisch kreist Ebners Denken um das Wort, das nach ihm nur als Wort, das gesprochen wird, die Beziehung zum Du imd damit die geistige Realität unseres Seins aufschließt. Sein Denken, das er bewußt gegen Phüosophie in Gestalt der Metaphysik abgesetzt verstanden wissen will, gilt dem Wort das das Ich dem Du erschließt Neben diesem dialogischen Grundgeschehen bleibt alle Metaphysik ,Jraum vom Geist", eingeschlossen in eine Icheinsamkeit, die selbst das Resultat einer Abschließung vor dem Du darstellt

Während die Sprache für Ebner sowohl die Beziehung zum Du herstellt, als auch etwas ist, das von dieser Beziehung getragen und begleitet wird, ist die Liebe andererseits die Vollform der Verwirklichung des dialogischen Verhältnisses. Wo Ich und IXi einander in der Liebe begegnen, geschieht die eigentliche Selbstwer-dung.

Fern von jeder Autonomie, Selbstbehauptung oder Selbstverwirklichung - um an ein modisch gewordenes Schlagwort unserer Tage zu erinnern—kann sich nach Ebner das Ich nur in und aus dem Verhältnis zum Du zu sich selbst entfalten. Ebners Denken kann darum mit Recht als personal-dialogisch bezeichnet werden, dessen Pole das Wort, das gesprochen und die Liebe, die vollzogen wird, darstellen.

Ebner versteht sein Denken selbst als Pneumatologie, als Ausfaltung dessen, was er als „geistige Realität" bezeichnete, die als solche eng mit der Sprachlichkeit verbunden sind. Diese Pneumatologie bleibt und steht von Anfang an in Rückverbundenheit der menschlichen Daseinswirklichkeit zu Gott. Die weitläufigen Interpretationen des Prologs des Johannesevangeliums, die ganze Christologie Ebners steht im Zeichen der Kraft des Wortes, durch das der Mensch als« angeredete, angesprochene Person von Gott geschaffen wurde.

Ebners gelegentlich nahezu antireligiöse, in jedem Fall antitheologische Grundhaltung paart sich mit einem tiefen Glauben, der in Anknüpfung an Kierkegaard, den Ebner zeitlebens geschätzt hatte, jedwede Rationalität zuschanden werden läßt.

Für Ebner ist nur das Wort, das zwischen der ersten und der zweiten Person gesprochen wird, das lebendige Wort des Dialoges. Es ist jenes Licht, von dem her Ich und Du als die geistigen Realitäten unseres Seins überhaupt erst sichtbar werden.

Menschliche Gemeinschaft ist in dieser Ich-Du-Beziehung begründet, die allen strukturellen gesellschaftlichen Beziehungen vorausliegt. Ebners „Phänomenologie der Begegnung" entwirft darin nicht allein die Grundlinien einer nicht bloß in gesellschaftlichen Kategorien ausgehenden Wirklichkeit des Zwischenmenschlichen, sondern erschließt auch Dimensionen der Sprache, die aller Objektivierung verschlossen bleiben.

Der gewundenen und unendlich theoretisierten Wiedergewinnung der Sprach- und Kommunikationsgemeinschaft unserer Tage (Habermas) setzt Ebner die schlichte Gemeinschaft jenes Wir entgegen, das sich im Wort der Liebe offenbart.

Wie bei seinem großen österreichischen Antipoden Ludwig Wittgenstein, dem Ebner zu Lebzeiten nie begegnet ist, hat auch Ebners dialogisches Denken nie schulbildend gewirkt. Dies würde auch dem Wesen des Dialogischen widersprechen.

Ebners Dialogik liefert entscheidende Bausteine zu jener Umkehr des Denkens und Handelns, die allein über alle strukturellen oder ökonomischen Veränderungen hinweg, in der Tat die Wirklichkeit verändern könnte. Es ist kein Zufall, daß, Jahrzehnte vor dem vielbeachteten Aufruf Erich Fromms, Ebner darauf verwiesen hatte, daß alle politischen und sozialen Veränderungen nicht^ nützen würden, solange sie nicht von einer Revolution der Herzen getragen sind.

Die Botschaft dieses einsamen Denkers aus Gablitz stellt für uns Heutige eine Provokation dar, die wir vielleicht erst langsam zu begreifen beginnen.

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