6811961-1972_39_10.jpg
Digital In Arbeit

Repressalien, Sperren, Hungerstreiks

19451960198020002020

Während zwei ihrer sozialistischen Nachbarländer — Polen und Ungarn — in der Kirchenpolitik auf Entspannungskurs gegangen sind, weist die Tschechoslowakei Zustände auf, die an die frühen fünfziger Jahre erinnern. Seit zwei Jahren wird in den böhmischen Ländern und in der Slowakei eine antikirchliche Kampagne geritten, die aus direkten Repressalien und indirekten, propagandistisch-ideologischen Maßnahmen des Regimes besteht. Der Klerus ist überaltert, Seminarschüler und Klosterfrauen werden schikaniert, verwaiste Bischofsstühle können nicht besetzt werden. Die katholische Kirche hat unter der „Konsolidierungspolitik“ der Husäk-Führung bitter zu leiden.

19451960198020002020

Während zwei ihrer sozialistischen Nachbarländer — Polen und Ungarn — in der Kirchenpolitik auf Entspannungskurs gegangen sind, weist die Tschechoslowakei Zustände auf, die an die frühen fünfziger Jahre erinnern. Seit zwei Jahren wird in den böhmischen Ländern und in der Slowakei eine antikirchliche Kampagne geritten, die aus direkten Repressalien und indirekten, propagandistisch-ideologischen Maßnahmen des Regimes besteht. Der Klerus ist überaltert, Seminarschüler und Klosterfrauen werden schikaniert, verwaiste Bischofsstühle können nicht besetzt werden. Die katholische Kirche hat unter der „Konsolidierungspolitik“ der Husäk-Führung bitter zu leiden.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Beziehungen zwischen Staat und katholischer Kirche haben sich zunehmend verschlechtert. Die Verhandlungen des Regimes mit Rom sind hoffnungslos festgefahren, da die Partei nicht gewillt ist, ihren orthodoxen ideologischen Standpunkt und ihren absoluten Führungsanspruch in der Gesellschaft zu modifizieren. Die Behörden interpretieren diese Haltung als Aufforderung, administrative Maßnahmen gegen die Kirche zu ergreifen, die überdies durch den Klassenkampf ideologisch sanktioniert sind. In der Slowakei, wo nahezu 80 Prozent der Bevölkerung der katholischen Kirche angehören, hat das Vorgehen der Behörden ein Ausmaß erreicht, das bereits peinlich an 'die Verfolgungen der frühen fünfziger Jahre erinnert,

„Die Konsolidierungspoliitik“ des Regimes, dem es in erster Linie um die Straffung der politischen Kontrolle, um die Zentralisierung der politischen Gewalt und (im ideologischen Bereich) um die Rückkehr zu einer doktrinären Polittheorie geht, hat in der Tat vieles gemeinsam mit den Praktiken des Gottwald-Regimes. Dies zeigt sich besonders auf dem Kultursektor, in dessen Zuständigkeit die Verwaltung der Kirchen sowie die Beaufsichtigung des religiösen Lebens gehören. Im Jahr 1969 wurden, um die Kontrolle des Staates im kirchlichen Bereich sicherzustellen, Maßnahmen zur Durchsetzung eines „konsequenten Klassenstandpunktes“ angeordnet, die sich allem Anschein nach jedoch erst während der letzten zwei Jahre auswirkten.

Verfolgung der Orden

Auch die religiösen Orden wurden hart getroffen, außerdem waren deren Probleme während der Reformzeit nicht annähernd so weit gelöst worden wie etwa die des regulären Klerus. Männer- und Frauenorden waren im April 1950 auf dem Verordnungswege von den Behörden aufgelöst und die betroffenen Kongregationsmitglieder größtenteils interniert worden. Im Jahr 1968 durften sie ihre Tätigkeit wieder aufnehmen, wobei interessanterweise in der Presse immer wieder betont wurde, daß die Orden formalrecht lieh nie aufgehört hätten, zu bestehen. Eine volle Rehabilitierung wurde jedoch nicht erreicht. In einem Interview erklärte Bischof Tomäsek hierzu: „Obwohl die Nonnen wieder Novizinnen aufnehmen dürfen, sind damit derzeit nur jene Kandidatinnen gemeint, die schon lange Zeit darauf gewartet haben, in einen heiligen Orden einzutreten.“ Über die Aufnahme von Novizen in Männerorden verlautete nichts. Im Jahre 1969 durfte eine geringe Zahl von Klosterschwestern wieder Religionsunterricht erteilen, während die meisten von ihnen weiterhin in der Krankenpflege oder in der Fürsorge für Geisteskranke und Körperbehinderte arbeiteten.

Binnen Jahresfrist trat eine Änderung ein. Der Vorsitzende der slowakischen Kirchenbehörde befahl den Ordensleitungen, die Schwestern aus den Schulen zu entfernen und alle Novizinnen zu entlassen. Ein Gegengesuch der Schwestern an Präsident Svoboda blieb dem Vernehmen nach unbeantwortet. In den böhmischen Ländern gab es ähnliche Anordnungen, die sich allerdings dort wegen der geringeren Zahl an Ordensschwestern nicht so gravierend auswirkten.

Im Frühjahr 1972 folgten in der Slowakei noch härtere Maßnahmen. Nonnen, die nach ihrer Entlassung aus Arbeitslagern und Zwangsaufenthalten während der Reformzeit ihre Tätigkeit als Gemeindeschwestern wieder aufgenommen hatten, mußten ihre Arbeitsgebiete aufgeben und wieder in Klöster zurückkehren, und zwar nach Slovenska Lupca, Sladeckovce und Dudince. Es heißt, daß die Unterbringung an diesen Orten sehr dürftig ist und die meist über siebzigjährigen Schwestern in Gebäuden ohne Trink- und Waschwasserversorgung einquartiert sind.

Rehabilitierungen eingeschränkt

Die versuchte Wiedergutmachung des Unrechts der stalinistischen Justiz gehört zu den großen Leistungen es noch schlimmer: Von 80 Bewer ein Numerus clausus eingeführt. Zum Studium dürfen nur solche Personen zugelassen werden, die noch kein Erststudium an einer Hoch- oder Gewerbeschule absolviert haben. In Leitmeritz bewarben sich beispielsweise im Wintersemester 1971/72 60 Kandidaten für das theologische Studium, aber nur 33 wurden aufgenommen. In Preßburg war der tschechoslowakischen Reformperiode. Die Verhandlungen bewiesen, daß die in den frühen fünfziger Jahren gegen ehemalige Funktionäre, andere hochgestellte Personen und zahlreiche kirchliche Würdenträger verhängten Strafen rechtswidrig waren und daß die Prozesse meistens auf Betreiben der politischen Polizei stattgefunden hatten. bern wurden 50 abgewiesen April 1972 mußten sieben Seminaristen auf Anordnung der Behörden binnen 24 Stunden die Preßburger Fakultät verlassen. Die meisten von ihnen standen kurz vor dem Abschluß ihrer Studien und sollten die priesterlichen Weihen erhalten. Es hieß, die Exmatrikulation sei^ verfügt wordeTf^ weil „die Studenten

Inzwischen wurde die rechtliche Grundlage für neue Rehabilitierungsverfahren eingeschränkt, während eine Reihe von bereits ergangenen wieder rückgängig gemacht wurde. So verlautet, daß die Rehabilitierung des Olmützer Weihbischofs Stanislav Zela, der 1950 wegen „Spionage“ zu 25 Jahren Haft verurteilt und im Juni 1969 vollständig rehabilitiert worden war, wieder außer Kraft gesetzt wurde. Ähnlich erging es dem früheren Sekretär von Erzbischof Josef Kardinal Beran, Jan Boukal, dessen Hafturteil ebenfalls wieder Gültigkeit erlangte, sowie dem bekannten Theologen Antonin Mandl, ferner dem langjährigen Dolmetscher der Prager päpstlichen Nuntiatur, dem Salesianer Vaclav Mrtvy, und dem Abt des Benediktiner-kiosters Bfevnov, Jan Anastaz Opa-sek, der allerdings im Ausland lebt. Bischof Zela und Antonin Mandl sind inzwischen verstorben. Die genaue Zahl der suspendierten Rehabilitierungen ist nicht bekannt, da die Behörden entsprechende Gerichtsurteile nicht mehr veröffentlichen.

Druck auf die theologischen Fakultäten

Heute wird besonders in der Slooder ihre Eltern 1968 eine feindliche Haltung gezeigt“ hätten.

Die Gemaßregelten reagierten mit einem vierundzwanzigstündigen Hungerstreik. Der Budweiser Bischof Josef Hlouch, der zur Priesterweihe nach Preßburg gereist war, intervenierte persönlich im slowakischen Kulturmimsterium zugunsten der geschaßten Studenten, aber die Behörde blieb hart.

Das Regime bedient sich zweierlei Mittel, die Zahl der Priester niedrig zu halten oder zu reduzieren: des erwähnten Numerus clausus in den Seminaren und der beschleunigten Pensionierung älterer Geistlicher. Zumindest seit diesem Jahr (1972) sind entsprechende systematische Bemühungen festzustellen. Das Pensionsalter wurde auf 60 Jahre herabgesetzt. Diese Maßnahme dürfte wegen der Überalterung der Priester zu ernsten Konsequenzen für die Seelsorge führen.

In der CSSR bestehen zwölf römisch-katholische Diözesen und eine griechisch-katholische (unierte) Diözese. Nur einer der genannten Kirchenbezirke wird derzeit von einem ordentlichen Bischof verwaltet.

Die Prager Erzdiözese ist vakant. Der Erzbischof ist normalerweise gleichzeitig Metropolit und Vor-wakei auf die Theologiestudenteri sitzender der gesamtstaatlichen Bigroßer Druck ausgeübt. Der Lehr- schofskonferenz. Der letzte Amtskörper wurde im Jahr 1969 vom träger war Josef Kardinal Beran, Husäk-Regime gesäubert, außerdem der 1949 wegen seiner antikommunistischen Haltung in Haft genommen wurde. 1963 entlassen, konnte er seine Geschäfte nicht wieder aufnehmen. 1965 wurde er zum Kardinal ernannt, um bald darauf mit Billigung der Behörden nach Rom zu übersiedeln, wo er 1969 starb. Die Erzdiözese wird von einem Apostolischen Administrator, Bischof Franti-sek Thomäsek verwaltet. Die Leit-meritzer Diözese wird von Bischof jm Stephan Trochta, der 1950 bis 1960 inhaftiert war und anschließend zeitweilig als Installateur arbeitete, geleitet. Im Jahr 1968 kehrte er auf seinen Bischofsstuhl zurück. Wie auch Bischof Tomäsek nahm Bischof Trochta am Zweiten Vatikanischen Konzil teil. Der letzte Bischof von Königgrätz, Moritz Picha, starb 1856. Der von Rom eingesetzte Apostolische Administrator, Karel Otce-f'rfasek, Ifrurd* Vfm den Behörden nie anerkannt. Die Diözese Budweis ist ebenfalls verwaist. Bischof Josef Hlouch starb im Juni 1972. Der letzte Bischof von Brünn, Karel Skoupy, starb im Februar 1972. Schließlich ist auch das Bistum Olmütz seit 1961, als Erzbischof Josef Karel Matocha in der Internierung verstarb, ohne einen Oberhirten.

In der Slowakei ist die Diözese Roznava (Rosenau) vakant. Bischof Robert Pobozny, der Apostolische Administrator, starb im Juni 1972. Die Diözese Tyrnau ist ebenfalls nicht besetzt. Bischof Ambroz Lazik starb 1969. Er war einer der wenigen kirchlichen Würdenträger, die nach 1948 ungestört im Amt bleiben und auch am Zweiten Vatikanischen Konzil teilnehmen konnten. Die Diözese Neutra ist seit dem Tod von Erzbischof Eduard Necsey im Jahre 1968 verwaist. Die Diözese Kaschau besitzt seit 1962, als Bischof Josef Carsky starb, kein reguläres Oberhaupt. Das Bistum Zips wartet seit dem Tode von Bischof Jan Vojtasäk im Jahr 1965 auf einen Bischof. Die Diözese Neusohl ist ebenfalls vakant. Der letzte Bischof, Andrej Skrabik, verstarb dm Jahr 1950. Der von der Regierung eingesetzte Administrator, Jan Dechet, wurde vom Papst exkommuniziert — das einzige derartige Vorgehen des Vatikans gegen einen Kapitel- oder Generaivikar. Neusohl ist länger als irgendeine andere Diözese in der CSSR ohne geistliches Oberhaupt.

Die griechisch-katholische (unierte) Diözese Presov ist seit dem Ableben ihres Bischofs Pavel Gojdic im Jahr 1960 im Gefängnis von Leopoldov, wo er eine lebenslängliche Haftstrafe absaß, nicht besetzt. Bischof Gojdic war 1950 im Zuge der Eliminierung der griechisch-katholischen Kirche in der CSSR verhaftet worden. Kurz nach ihrer Wiederzulassung im Jahre 1968 begann erneut die Verfolgung ihrer Gemeinden.

Der tschechoslowakische Klerus ist in der offiziellen Pacem-in-Terris-Vereinigung organisiert. In der ersten Hälfte des Jahres 1970 wurden außerdem auf Veranlassung des tschechischen und des slowakischen Kulturministeriums von besonders regimetreuen Geistlichen Gruppen

„patriotischer Friedenspriester“ gegründet, offenbar in Anlehnung an ähnliche politisch zuverlässige Gründungen der späten vierziger und frühen fünfziger Jahre. In der No-votny-Zeit nannte sich diese Vereinigung „Friedensbewegung des katholischen Klerus in der CSSR“; ihr administrativer und ideologischer Spiritus rector war der frühere Gesundheitsminister Josef Plojhar, der auch als Vorsitzender des Nationalausschusses des katholischen Klerus fungierte. Während des Prager Frühlings wurde die Friedenspriesterorganisation abgeschafft und auf dem denkwürdigen Velehrader Kongreß durch die „Arbeit der Konzils-erneuerung“-Bewegung unter Führung von Bischof Tomäsek ersetzt. Durch Beteiligung führender Theologen und Laien hatte diese Bewegung eine ungleich breitere Grundlage als ihre Vorgängerin. Nicht zuletzt aus diesem Grund verfügte bereits im November 1968 das Innenministerium die Auflösung der „Arbeit der Konzilserneuerung“, und zwar mit einem Erlaß, dessen Text geradezu peinlich an den Auflösungsbefehl für den Klub der Parteilosen (KAN) erinnerte. Es hieß, die Organisation sei von antisozialistischen Kräften mißbraucht worden. Bischof Tomäsek hat diese Beschuldigung mit Nachdruck zurückgewiesen.

Am 31. August 1971, nach einer Verzögerung von sieben Monaten gegenüber dem ursprünglich beabsichtigten Termin, erfolgte gleichzeitig in Prag und Preßburg die Gründung der Pacem-in-Terris-Bewe-gung. In Prag sollen 150 Priester an der Gründungsversammlung teilgenommen haben. Sie wurden vom tschechischen Kulturminister Milos-lav Bruzek begrüßt und sandten ihrerseits Grußbotschaften an führende Vertreter von Partei und Regierung, in denen sie ihre Ergebenheit gegenüber den Beschlüssen des XIV. Parteitags der KPTsch erklärten.

Die Führer der neuen Bewegung, und zwar im tschechischen, slowakischen und gesamtstaatlichen Bereich, sind politisch unbelastete Mitglieder der theologischen Lehrkörper in Leitmeritz, Olmütz und Preßburg. Lediglich die „geistigen Führer“ der Vorbereitungsausschüsse hatten vorher der Friedenspriesterbewegung angehört und mußten sich — offenbar auf ausdrücklichen Wunsch des Regimes oder auf Grund ihres fortgeschrittenen Alters — in der neuen Organisation zurückhalten. Pacem in Terris hat bisher die politische Linie des Husäk-Regimes loyal, wenn auch nur mit mäßigem Eifer, unterstützt.

Im Gegensatz zu anderen sozialistischen Ländern, wo man einen Modus vivendi zwischen Staat und Kirche zumindest anstrebt, wird die katholische Kirche in der CSSR mit „klassenkämpferischen“ Maßnahmen unter Druck gesetzt, deren Intensität zeitlich und in den verschiedenen Landesteilen variiert. Die Repressalien scheinen in der Slowakei schärfer zu sein als in den böhmischen Ländern, und zwar in allen Bereichen. Gegen Klosterschwestern und Seminaristen, gegen die religiöse Erziehung in den Schulen und gegen das allgemeine religiöse Leben. Dieser Umstand ist wesentlich darauf zurückzuführen, daß die Slowaken religiöser empfinden als die Tschechen und die Zahl der katholischen Gläubigen in der Slowakei auch entsprechend größer ist: Nur 14 Prozent der Bevölkerung bezeichneten sich in einer Befragung als Atheisten; 70,7 Prozent als gläubige Katholiken und 15,3 Prozent als Agnostiker.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung