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Steigende Zahl von Sportkrüppeln

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Darüber, was Sport wirklich ist bzw. sein sol…nd damit steht oder fällt auch die Förderungswürdigkei…errscht an höchster Stelle denkbar große Unklarheit. Zwar hat das Unterrichtsministerium schon 1946 in Wien, Graz und Innsbruck sogenannte „Bundesanstalten für Leibeserziehung” eingerichtet. Doch schon dabei ohne eigentliche Kompetenz. Ein entsprechendes Bundesgesetz wurde dann 1974 auf Verlangen des Rechnungshofes vom Nationalrat beschlossen. Erst 1980 hat das Ministerium zum ersten Mal einen Sportbericht vorgelegt. Im Parlament stand der Sport dann im Februar 1981 zur Debatte.

Die damals freiheitliche Opposition bemängelte die finanzielle

Organisation des Sportbetriebes. Vor allem dep Zwang für jeden Sportverein, sich einem politisch ausgerichteten Dachverband anzuschließen. Ohne Mitgliedschaft beim ASKÖ, dem ASVÖ oder der UNION gibt es kaum eine Sportförderung. Der österreichische Turnerbund z. B., der auf seine Unabhängigkeit Wert legt, wird mit einem Bettel an Subvention abgespeist.

Einer Frau blieb es im Nationalrat Vorbehalten, auf die Kehrseiten der künstlich geschürten Begeisterung für einen Spitzensport hinzuweisen, bei dem für Höchstleistung, Ruhm und Geld alle anderen Werte bedenkenlos geopfert werden: Die Abgeordnete Maria Möst von der ÖVP sprach als einzige von der eigentlichen Bedeutung des Sportes für die Gesundheit und von seinem erzieherischen Wert. Heute brauche aber der Leistungssportler schon wieder den Arzt, um wenigstens gesund zu bleiben. Alle Augenblickserfolge der sogenannten Sportmedizin können aber meist auf die Dauer nicht verhindern, daß dieser Spitzensport kaum gesunde Veteranen entläßt. Die Zahl der Sportkrüppel nimmt zu, und man müßte einschreiten, um diese Ausbeutung des Menschen hintanzuhalten. Dennoch: Der

Spitzensport und das zu seiner Ausübung nötige Foltertraining werden nach wie vor mit Steuergeldern gefördert. Schon jetzt werden Kinde…ie Mädchen in der Wiener Südstadt, die Knaben in Dornbir…ür die nächsten Olympischen Spiele dressiert, obwohl der Zwang zu Höchstleistungen im Alter von 12 bis 14 Jahren ein Verbrechen ist. Schon 1927 hatte der verdienstvolle Henry Hoek vor solchen Zeichen der Zeit gewarnt:

„Kinder Sport treiben zu lassen, ist eine Vergewaltigung ihrer Entwicklung. Wer das tut, gleicht einem Gärtner, der den Samen mit Chemikalien behandelt, um ihn unnatürlich früh zum Blühen zu treiben.”

Wir haben in unserer Sprache eine Vorsilbe mit nur zwei Lauten, die aber den Sinn eines Wortes in sein Gegenteil verkehrt. Und wenn es Unfug ist, daß die Abteilung Sport des Unterrichtsministeriums öffentliche Mittel für Rekord- und Schaulust verpulvert, die in die Zirkus- und Werbebranche gehören, so ist es himmelschreiendes Unrecht, Kinder als Nachschub für diesen Unsport zu mißbrauchen!

Leider sind schon die Olympischen Spiele von Helsinki 1952 zum Wendepunkt in dieser unguten Richtung geworden. Den Sowjets war in den Sinn gekommen, die bei Pferden übliche Auswahl durch Züchtung und Training für Höchstleistungsfähigkeit auch auf Menschen anzuwenden. Rücksichtslos trainierte „Sportler” mit unbändigem Siegeswillen wurden an den Start gebracht. Diese Staatsamateure räumten den Medaillentisch ab und mach ten die Sowjetunion zur neuen Weltmacht des Sportes.

Seitdem haben die anderen Nationen nichts anderes getan, als ihrerseits die sowjetischen Sportbataillone nachzuahmen. Die Sportler sind Mittel zum Zweck geworden, der Sinn des Sportes wurde total zerstört, und dieser Tiefpunkt olympischen Ungeistes dauert an.

Die XI. Olympischen Winterspiele 1972 in Sapporo hätten für alle wirklichen Sportler eine Warnung sein sollen: IOC-Präsi- dent Brundage entzog einem einzigen Spitzensportler das Startrecht, und das österreichische Olympische Komitee schickte Karl Schranz allein nach Hause.

Als einziger trat damals der Präsident des ÖSV zurück. Er erklärte, daß eine Teilnahme von Österreichern in Zukunft nur sinnvoll ist, wenn den Staatssportlern des Ostens Berufsathleten des Westens’ gegenübergestellt werden können. Das war die fatale Weichenstellung zum sogenannten Spitzensport, der mit Sport nichts mehr zu tun hat und obendrein viel Geld kostet.

Es ist eine allgemeine Gewohnheit geworden, am Abend auf dem Bildschirm zu sehen oder in der Früh aus der Zeitung zu erfahren, was sich im Sport tut. Jeder, der „in” sein will, muß gaffen, wenn ein Mensch bewußtlos oder gar totgeschlagen wird. Der Totschläger geht frei aus, der Box-„Sport” ist sein Beruf.

Wo hört also der förderungswürdige und zulässige Sport auf? Man wird die Grenze nicht ziehen können, ohne sich zunächst über das Turnen Gedanken zu machen, aus dem sich der Sport entwickelt hat. Nun gehört zum Turnen alles, was durch Bewegungen oder Halten den Kreislauf optimal mehr beansprucht, um den Menschen zu fördern.

Analog dazu läßt sich eine Art „Goldene Regel” für den Sport aufstellen: Sport ist optimale Höchstbeanspruchung des Kreislaufes durch Bewegungen und Halten, um den Menschen zu fördern. Eine Uberbeanspruchung jeder Art ist unmenschliche Brutalität, die weder propagiert noch finanziert werden sollte.

Solange diese „Goldene Regel” im Sport mit Füßen getreten wird, kann auch kein noch so schöner „Goldener Plan” (Bundesrepublik Deutschland 1960; bei uns als „österreichischer Sportstättenplan” übernommen und als „ohne Übertreibung einzigartig in der Welt” gepriesen) den Unsport steuern.

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