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Am Ende steht der Staatssport

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In jüngster Zeit ist eine Diskussion über die Zweckmäßigkeit der Struktur des österreichischen Sports, besonders die Stellung und Aufgabe der Dachverbände (ASKÖ, ASVÖ, Union) in Gang gekommen — von Kreisen entfacht, die außerhalb der Sportorganisationen stehen und denen somit das Verständnis für Entwicklungen und vielleicht auch deren Kenntnis fehlt.

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In jüngster Zeit ist eine Diskussion über die Zweckmäßigkeit der Struktur des österreichischen Sports, besonders die Stellung und Aufgabe der Dachverbände (ASKÖ, ASVÖ, Union) in Gang gekommen — von Kreisen entfacht, die außerhalb der Sportorganisationen stehen und denen somit das Verständnis für Entwicklungen und vielleicht auch deren Kenntnis fehlt.

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Der Sport ist in die Gesellschaft eingebunden und den gesellschaftlichen Vorgängen ausgesetzt. Je bedeutender die Rolle des Sports in der Gesellschaft geworden ist, je wesentlichere Funktionen ihm aufgetragen wurden, desto reichhaltiger wurde seine politische, soziale und soziologische Bedeutung. Geschichtlich betrachtet kann der Sport nicht von den politischen, sozialen und soziologischen Vorgängen losgelöst werden. Wir meinen damit, daß Sport immer schon etwas mit weltanschaulichen Fragen zu tun hatte, daß sportliches Bekenntnis immer mit weltanschaulichem Bekenntnis, religiöser Einstellung, politischem und völkischem Anliegen verquickt war. Das gilt für die antike Entwicklung des Sports ebenso wie für seine neuzeitliche Entfaltung, wobei zum Beispiel auf die Deutsche Turnbewegung, den Arbeitersport, die christlichen Sportverbände, die Sokolvereinigungen verwiesen sei. Damit sei unterstrichen, daß weltanschauliche Bindungen im Sport nichts Neues sind, sondern auf tiefen Wurzeln ruhen, die heute nicht einfach abgeschlagen werden können.

Immer wieder wird bemerkt, daß in Österreich die Gliederung in Dachverbände und deren Ausformung in den Landesverbänden eine starke Zersplitterung des Sportes darstellen. Dem wollen wir entgegenhalten, daß die Dachverbände im Sport die gleiche Bedeutung haben, die den Bundesländern für das ganze Österreich zukommt. Die Vor-und Nachteile der Dachverbände wie des föderalistischen Aufbaues unserer Republik entsprechen einander. Sie garantieren aber gewiß demokratische Verhältnisse und die Wahrung einer Vielfalt von Eigenarten. Sie sind ein Bollwerk gegen einen blutleeren Apparat und gegen einen sportbürokratischen Zentralismus. Das ist von so großer Wichtigkeit, daß man dafür wohl den Kraftverschleiß im strukturellen Gefüge des österreichischen Sportes und die Anstrengungen in Kauf nehmen darf, die manchmal zur Koordinierung gemeinsamer sportlicher Anliegen notwendig sind. Was also manchen am österreichischen Sport zerrissen und unorganisch erscheint, gilt anderen als Anpassung an demokratische und föderalistische Prinzipien.

Daß Dachverbände in den Sog politischer Entwicklungen gerieten (denkt man etwa an die Situation in der Ersten Republik), ist wie vieles an der Entwicklung jener Epoche zu bedauern, war aber geschichts-bedingte Tatsache. Für unsere Aussage ist dabei von Bedeutung, daß sowohl die sozialdemokratische Arbeitersportbewegung wie auch die christlich-deutsche Turnerorganisation Opfer dieser Zeit geworden sind. Auf Grund dieser Erfahrungen ist zu begreifen, daß im erneuerten Österreich gleich zu Beginn, also schon 1945, erhebliche Bemühungen der Errichtung eines überparteilichen, unabhängigen und einheitlichen österreichischen Sportverbandes galten. Es ist auch anerkannt und unbestritten, daß diese Bemühungen in erster Linie von ehemaligen christlichen Sportfunktionären und nachmaligen hervorragenden Vertretern der österreichischen Turn- und Sport-Union ausgegangen, aber gescheitert sind. Gescheitert sind, weil bei der Wiedereinführung und Erneuerung demokratischer Verhältnisse großer Wert auf die Vereinsfreiheit gelegt wurde und die SPÖ nicht auf das Anknüpfen an die Traditionen der Vereine für Arbeiterturnen und Körpersport verzichten wollte und konnte. Naturgemäß ist dann auf „der anderen Seite“ der andere Dachverband mit dem Namen „österreichische Turn- und Sport-Union“ mit seiner Verankerung im Boden christlicher Sportethik ins Leben getreten, übrigens unter Beibehaltung der Namensbezeichnung, die für den einheitlichen Verband vorgesehen gewesen war. Wenn gelegentlich mit dem Hinweis auf das Beispiel des Gewerkschaftsbundes der dem Sport nicht gegönnten Entwicklung nachgetrauert wird, dann übersieht man dabei gerne, daß es im Gewerkschaftsbund die politischen Fraktionen der sozialistischen, der christlichen, der kommunistischen (und vielleicht auch einmal der freiheitlichen) Gewerkschafter gibt, die ganz wesentlich die Politik und die Verhältnisse bestimmen und die Funktionäre küren — womit der Vergleich als hinkend erkennbar wird.

Abgesehen davon, daß das Rad einer bald dreißigjährigen Entwicklung nicht zurückgedreht werden kann, daß keiner von den Kritikern an den Dachverbänden des Sports sich noch Gedanken über deren unschätzbaren Beitrag zum Aufbau demokratischer Verhältnisse gemacht hat, niemand auch darüber nachgedacht hat, daß den Dachverbänden wesentliche und nicht leicht lösbare Rechtsfragen und Eigentumsrechte anhaften, wurde auch bis heute noch nicht genau ausgesprochen, wodurch denn die Dachverbände ersetzt werden könnten. Geht man den Dingen auf den Grund, so stößt man auf Utopien und uferlose Diskussionen. Wer sollte denn auch die Vertretung der vielen Sportvereine übernehmen, verlören diese die geistige Heimat ihrer Dachverbände? Jene Vertretungsaufgaben, die weit über die direkten sportlichen Anliegen hinausgehen, die in gewissen Formen den Fachverbänden zuzuordnen sind, da Sportvereine ja auch gesellschaftspolitische Formationen sind, die kulturelle und soziale Aufgaben tragen. Es kann auch nicht einfach die Tatsache übergangen weiden, daß die Dachverbände ganz wesentliche Impulse zu neuen Entwicklungen im österreichischen Sport gegeben haben, so mit der Pflege des Breitensports, den gesundheitssportlichen Bemühungen, der Fit-Bewegung, den prophylaktischen Aufgaben, die heute geradezu die Einbeziehung der Sportvereine in gesundheitspolitische Konzepte erzwingen. Sport kann nicht allein am publikumsintensiven Spitzen- und Hochleistungssport gemessen werden, zum Sport zählt gleichberechtigt auch der Massenund Breitensport, für den die Dachverbände verantwortlich zeichnen, die. ein großes Angebot und sportliches Service für alle Bevölkerungsgruppen bereithalten, womit allerdings ihre propädeutische Stellung auch wieder für den Spitzensport unterstrichen wird. Man mißverstehe uns nicht: Die Dachverbände anerkennen selbstverständlich den Spitzensport. Alle Spitzensportler werden schließlich in den Vereinen aufgebaut und ohne die erste Geborgenheit, sportliche Anleitung und Betreuung wäre ein Weg nach oben undenkbar. Die Dachverbände sind auch stolz auf die aus ihren Reihen kommenden Spitzensportler, die im übrigen gewöhnlich auch ihrem Dachverband verbunden bleiben.

Wie sollte auch der von manchen Kritikern erträumte Einheitsverband zustande kommen? Das wäre, in Anbetracht des heutigen Aufbaus, nur durch einen staatlichen Eingriff möglich, an den zwar niemand denkt, vor dem aber auch nicht ernst und oft genug gewarnt werden kann. Würde nicht auch ein Einheitsverband in eine gefährliche Nähe zu staatssportähnlichen Tendenzen geraten, die bei uns wohl überall auf Ablehnung stoßen? Gewiß hat der Staat heute wichtige Aufgaben gegenüber dem Sportwesen und seiner Förderung zu erfüllen. Wir glauben sogar, daß er seinen Verpflichtungen, etwa bei der Schaffung von Sportstätten, Hallen, Bädern, bei der Ausbildung und Anstellung von Sportlehrern und Betreuern noch viel zuwenig nachkommt. Das alles aber muß sich nach dem Grundsatz der Sachförderung ohne Sachbeeinflussung vollziehen. Gerade die österreichische Turn- und Sport-Union vertritt, christlichen und naturrechtlichen Prinzipien folgend, den Grundsatz der Subsidiarität, demzufolge die Unterstützung der Gemeinschaften durch die öffentliche Hand (Bund, Länder, Gemeinden)

dort erwünscht ist, wo die Kraft der Gemeinschaften selbst nicht mehr ausreicht, allen Tendenzen aber, die zu Aufsaugung, Verdrängung oder Ersetzung der Gemeinschaften durch öffentlich abhängige Gruppierungen führen müßten, der schärfste Kampf anzusagen ist. Solche Tendenzen gibt es auch heute, wenn wir etwa an das Beispiel einer niederösterreichischen Stadt in der Nähe Wiens denken.

Dem österreichischen Sport, setner Freiheit und Unabhängigkeit, wird auch dann kein Dienst erwiesen, wenn behördlich organisierter Sport in Unkenntnis der tieferen Zusammenhänge aufgezogen wird. So gesehen, bewahren die Dachverbände Freiheit und Unabhängigkeit des Sports und werden geradezu zu Hütern demokratischer Grundsätze. Sie wahren damit aber auch sein Ansehen nach außen. Wer erinnert sich in diesem Zusammenhange nicht des Unbehagens, das in der internationalen Sportwelt im Zusammenhang mit den Vorfällen von Sapporo entstanden ist, als durch Erklärungen staatlicher Funktionäre die Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit des österreichischen Olympischen Comi-tees und damit des ganzen österreichischen Sports in Zweifel gezogen wurde!

Freiheit des Sports wird es in Österreich wirklich nur solange geben, als die Vereinsfreiheit mit freier Koalitionsmöglichkeit gewahrt bleibt — und das ist unseres Erachtens nach ein sehr starkes Argument für die Existenz der Dach verbände.

In diesem Zusammenhang sei für die Union deren statutarisch niedergelegte und in der Verbandspraxis tätig geübte Unabhängigkeit von parteipolitischen Bindungen betont. Weil in Österreich, aus geschichtlich bedingten Gründen, christliches Bekenntnis immer auch mit einer bestimmten Parteizugehörigkeit identifiziert wurde, gelten wir in der österreichischen Sportwelt und auch in der politischen Öffentlichkeit als „die Schwarzen“, was uns eher stolz macht. Es sei aber einmal mehr betont, daß wir uns damit nicht parteipolitisch kategorisieren lassen. Die österreichische Turn- und Sport-Union ist weder ein Zweckverband noch ein Anhängsel der ÖVP und auch nicht deren sportpolitischer Ausleger. Unbestritten bleibt aber, daß uns, kraft gemeinsamer weltanschaulicher Auffassungen, programmatische Grundsätze der ÖVP näher liegen als solche der SPÖ oder der FPÖ, was wiederum bedingt, daß wir auch in sportpolitischen Fragen vielfach die parlamentarische Unterstützung der ÖVP in Bund und Bundesländern suchen, ohne aber dabei unsere parteipolitische Unabhängigkeit aufzugeben.

Wenn wir dieses Plädoyer zugunsten der Dachverbände geführt haben, dann ging es dabei aber keineswegs um eine Aussage gegen notwendige Koordinierungen im österreichischen Sport. Zum Zweck solcher Koordinierungen wurde die österreichische Bundessportorganisation geschaffen. Zur Zusammenarbeit in ihrem Rahmen mit den anderen Dachverbänden, den Fachverbänden, dem Olympischen Comitee und den Regierungsstellen bekennt sich auch die österreichische Turn-und Sport-Union: gemeinsam marschieren, wenn es um Gesamt- und nationale Belange des Sports, etwa olympische Fragen, Spitzensport, Sportpolitik, staatliche Dotierung, Sportstättenplan geht, ansonsten aber aus den oben angeführten Gründen das Eigenleben des Verbandes aufrechterhalten.

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