6883667-1979_18_19.jpg
Digital In Arbeit

Systemdefekte des totalen Sozialismus

Werbung
Werbung
Werbung

Seit Johannes Paul II. ist der polnische Katholizismus und die Welt, mit der er leben muß, in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Einen auch in dieser Hinsicht interessanten Einblick gibt der Essay Stefan Kisie-lewskis, des Krakauer Komponisten, Kritikers und polnischen Starpublizisten sowie Politikers der eng mit dem polnischen Episkopat zusammenarbeitenden Znak-Gruppe.

Diese erstaunlich präzise und scharfe, blendend geschriebene und flüssig übersetzte Kritik des derzeitigen Regierungssystems verbindet sich mit einer klaren Sicht der damit verbundenen Probleme. Mit der Analyse Rudolf Bahros und mit dem Manifest ungenannter Kritiker der SED hat diese Publikation gemeinsam, daß der Autor seine Abrechnung nicht von außen vornimmt, sondern mitten aus dem sozialistischen Alltag heraus.

Stefan Kisielewski ist ein Bürger Polens, der nach wie vor in Krakau lebt. Anders als die Genannten bezieht er nicht eine andere kommunistische Position, sondern macht kein Hehl daraus, daß er überzeugter An-tisozialist ist und überzeugt davon, daß die Marktwirtschaft dem planwirtschaftlichen Bürokratismus allemal überlegen ist, auch wenn er die Schwächen der westlichen Selbstzufriedenheit tadelt.

Für ihn steht außer Frage, daß die Mängel in den östlichen Systemen nicht auf sozialistischer Basis heilbar sind. Das erhebliche persönliche Risiko, das mit dieser Publikation verbunden ist, scheint der heute 69jäh-rige gebürtige Warschauer auf Grund seiner Position in der polnischen Publizistik in Kauf nehmen zu können.

Gegenstand seiner Betrachtung ist der „Sozialismus vom polnischen und osteuropäischen Typus“, d. h. ein Sozialismus, in dem die Macht, sowohl die ökonomische als auch die politische, in einer Hand konzentriert ist, und zwar hierarchisch aufgebaut in Gestalt eines pyramidenhaft strukturierten Staats- und Parteiapparats mit einer zentralen Stelle, die alles plant.

Seine kritischen Wahrnehmungen über den wahren Charakter der sozialistischen Gesellschaft sind für den Leser aus dem Westen als Informationsmaterial bestimmt, von dem er fürchtet, daß sein Blick durch Gewöhnung und Koexistenz dafür getrübt worden sein könnte. Besonders drastisch sind die Schilderungen des ineffizienten Wirtschaftssystems, das zu einer Isolierung von der Außenwelt, Veralterung des Produktionsapparats und zu einer Ausschaltung selbst der marxistischen Ökonomen von den Entscheidungen, wie Lange, Kalecki, Lipinski, Brus u. a., geführt hat.

Mangels Marktsignale ist nicht einmal bekannt, was der Gesellschaft und dem Staat wirklich dient. Mit Nachdruck stellt er fest, daß alle diese Mängel im Reformweg nicht korrigierbar sind, sondern „eine organische und untrennbare Eigenschaft“ (dieser Spielart) des Sozialismus.

Der Autor glaubt, daß es an der Zeit wäre, das Wort „Sozialismus“ als verbrauchtes und vielfach mißbrauchtes Wort zu ersetzen, und knüpft seine Hoffnung daran, daß nicht nur der einzelne Mensch imstande sein sollte, einen Fehler einzugestehen, sondern die Geschichte der menschlichen Gemeinschaften diese Fähigkeit ebenfalls erwerben sollte.

POLEN - oder DIE HERRSCHAFT DER DILETTANTEN (Sozialismus und Wirtschaftspraxis). Von STEFAN KISIELEWSKI. Texte und Thesen, Sachgebiet Politik, Edition Interfrom AG Zürich, öS 77,-.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung