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Ungarns freigelegtes Herz

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Es wird nicht viele Orte in Europa geben, die während vieler Jahrhunderte so umkämpft wurden, so viel Unheil auf sich zogen, wie der niedrige, die Wasserfläche der nebenan vorbeifließenden Donau nur um rund 50 Meter überragende, langgestreckte Burghügel von Buda, heute ein historischer Stadtteil der 1873 vereinigten ungarischen Hauptstadt Budapest.

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Es wird nicht viele Orte in Europa geben, die während vieler Jahrhunderte so umkämpft wurden, so viel Unheil auf sich zogen, wie der niedrige, die Wasserfläche der nebenan vorbeifließenden Donau nur um rund 50 Meter überragende, langgestreckte Burghügel von Buda, heute ein historischer Stadtteil der 1873 vereinigten ungarischen Hauptstadt Budapest.

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Drüben, am linken Flußufer, lag die ursprünglich wohl slawische, später deutsche Siedlung Pest, sie erstredete sich auch auf der rechten Seite am Fluß entlang, unterhalb des Burghügels. Dieser selbst war lange Zeit unbewohnt und diente wohl den Schafen als Weideplatz. Der Name Pest ist slawischen Ursprungs und heißt Ofen. Schon früh, zur Römer-zeit, hat es hier Kalköfen gegeben. Die Berge ringsum, und insbesondere auch der Burghügel, bestehen nämlich zum Großteil aus Kalkstein, es gibt weitverzweigte Höhlensysteme darin, wo die späteren Burgbewohner ihr Trinkwasser und während der Belagerungen auch ihren Unterschlupf fanden. Buda wird als Per-

sonenname gedeutet, m^an brachte ihn mit einem berühmt-berüchtigten Volk der Völkerwanderungszeit, das einst hier siedelte, mit den Hunnen, in Zusammenhang. Nördlich von Buda lag die älteste Siedlung mit dem Namen Obuda (Alt-Buda). Hier stand und steht zum TeU heute noch das 16.000 Zuschauer fassende Amphitheater der römischen Garnison. Von den ungarischen Nomadenfürsten wurde es als Festung benützt. Noch weiter nördlich erstreckte sich eine der blühendsten römischen Gamisons- und Handelsstädte der Provinz Panno-nien, Aquincum, an der Limesgrenze. Das nomadische Reitervolk der Ungarn kam gegen Ende des netmten Jahrhunderts in diese zuletzt von christianisierten Slawen besiedelte Gegend Ungarns christliche Könige aus dem Arpaden-Haus residierten aber noch jahrhundertelang nicht hier, sondem in anderen Städten, und erst Anfang des 13. Jahrhunderts kamen sie nach Obuda, wo schon bald Kirchen und Klöster entstanden. Sie fielen 1241/42 dem Mongolensturm zum Opfer. König Bcla IV. verlegte nachher Siedlung und Residenz auf den Burghügel, wo dann eine wehrhafte Burg entstand Auch die deutsche Bevölkerung von Pest floh dorthin und nannte fortan die neue Stadt „Ofen". 1244 erhielt sie vom König ihre Privilegien. Buda war eine überwiegend deutsche Stadt. Erst 200 Jahre später erwirkten die Ungam bei ihrem König als Bürger der Stadt ihre Gleichberechtigung.

Die größte, die stolzeste Zeit der ungarischen Geschichte ist mit dieser Stadt und Burg Buda verknüpft. Nach dem Aussteihen des Arpaden-Hauses folgten nacheinander die neapolitanischen Anjous, der spätere Kaiser Sigismund von Luxemburg, dann Ungarns großer „nationaler" König mit dem Renaissancenamen Matthias Corvinus und sdüießiich die Jagiellonen auf dem ungarischen Königsthron. Die gotische Stadt Buda und noch mehr das königliche Schloß am Südende des Hügels wurden immer mehr ausgebaut Zeitgenossen rühmten die Größe und die Schönheit der königlichen Burg, die Lebendigkeit und die kulturelle Aus-straUung der Stadt Zuletzt waren es berühmte Baumeister aus Bologna und Florenz, die hier ein steinernes Denkmal der italienischen Frührenaissance schufen. All das fand mit der Eroberung der Stadt durch die Türken ein jähes Ende. Man schrieb das Jahr 1541. 150 Jahre lang blieb Buda der Sitz eines türkischen Paschas und galt als heUiger Ort des Islams. Türkische Bäder und Grabdenltmäler sind heute noch Zeugen dieser Zeit Für die Türken hatte Buda vor allem militärische Bedeutung. Die königlichen Paläste wurden zu Pulvertürmen. 15 große und tmzählige kleinere Belagerungen verwandelten die Burg immer wieder in Trümmerhaufen. Bei einem Frühlingsgewitter im Jahre 1578 schlug der Blitz in den Pulverturm im einstigen Palast des Königs Sigismvmd von Luxemburg. Die Explosion zerstörte das gotische Gebäude bis in die Grundmauern. Der Großbrand besorgte den Rest. Zehn schwere türkische Belagerungen und die wochenlang andauemden Belagerungsstürme der christlichen Befreiungsheere im Jahr 1686 ließen nur noch aijsgebrannte Gebäudereste übrig. Damals schrieb ein Chronist: „… die Burg brannte wie ein hoiiler Schädel, in den man eine brennende Kerze gesteckt hat." Trotzdem entstand Festung und Stadt Buda immer wieder von neuem. In der habsburgischen Zeit wurden die mittelalterlichen Baureste abgetragen, der Boden wurde aufgeschüttet nian baute darauf Kasernen, und erst iWaria Theresia ließ hier ein Barockschloß bauen. Zuletzt wohnte darin, vor der Revolution von 1848, der Erzherzog-Palatin Josef, ein Freund der ixngariachen Reformbestrebungen im Vormärz. Aber es folgten noch zwei schwere Belagerungen: 1849 durch die Hon-vėdtruppen und, nach der langen Periode der Francisco-Josephini-schen Zeit, die in Ungam mit einigen Akzentverschiebungen nach dem Ende der Monarchie bis zum zweiten Weltkrieg dauerte, im Winter 1944/45, als sich die schwer ange-sdilagenen Divisionen des Dritten Reiches in der Burg und in deren Kasematten monatelang verschanzt hielten. Keine der Verwüstungen war so sinnlos wie diese. Nachher begann, in schwerster Zeit, langsam die archäologische Auswertung der kilometerweiten Schutthaufen, die einst die königliche Burg und Stadt Buda waren. Mehr als zehn Jahre lang arbeiteten hier die besten Archäologen imd Kunsthistoriker des Landes, und ihre Arbeit ist noch lange nicht zu Ende. Aber das meiste wurde schon vollbracht Das Burgviertel ist durch die Freilegung vieler gotischer Baureste für den Freund alter Baudenkmäler noch interessanter geworden. Der historisierende Talmiglanz der letzten Jahihundertwende tritt mehr und mehr zurück. Das Königsschloß am Südende des Burghügels wurde von den späteren Aufschüttungen befreit und liegt offen. Einiges wurde rekonstruiert das meiste nach den modernsten Erkenntnissen der Wissenschaft konserviert, darunter vor allem die Gebäudeteile aus der Anjou-Zeit und aus der Glanzperiode des Königs Matthias Corvinus. Es ist ein großes Museum daraus geworden — im Königspalais selbst werden später historische Sammlungen und Bibliotheken untergebracht —, aber ein Museum, in dem die Exponate, die Wandreste und die Omamente an ihren urspünglidien Plätzen belassen, nur besser sichtbar gemacht wurden. In den Burgverließen kann man in die Wände geritzte lateinische Botschaften von Gefangenen lesen, die in der Türkenzeit hier schmachteten.

Wenige Schritte weiter trifft man auf feinste Mairmarreliefs der italienischen Meister des Matüiias Corvinus. Der Besucher dieses Museums besonderer Art erlebt so unmittelbar Glanz und Elend der ungarischen Geschichte. So ist aus den Trümmern eine nationale Gedenkstätte und zugleich ein ergreifendes Zeugnis gesamteuropäischer Geschichte — einer Leidensgeschichte und einer Kulturgeschichte — geworden, die auch den Besucher aus Österreich nicht unberührt lassen dürfte.

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