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Ur und Babylon - im Irak

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Noch gibt es keine Meldungen über die tatsächlichen Kriegsschäden an den Kunstschätzen im Irak. Noch scheint es, als wären weder die weltberühmten Ruinenfelder Mesopotamiens noch die großartigen schiitischen Pilgerstätten in Kerbala und Nejef sowie die einmaligen Kunstsammlungen Bagdads durch die Bombenangriffe der Amerikaner zerstört worden. Abzuwarten bleibt, ob die internationalen Forschergruppen von Archäologen ihre Arbeit bald wieder aufnehmen können in einem Gebiet, in dem einst von der Entwicklung der Schrift bis zu der des Wagens Erfindungen gemacht wurden, die für die gesamte Menschheit bahnbrechend waren. Während des Krieges zwischen dem Irak und Iran wurde an Euphrat und Tigris gegraben. •

Die Wiederentdeckung der auf dem Gebiet des heutigen Irak gelegenen alten Reiche im Norden (Assyrien mit den Städten Ninive, Nim-rud und Assur), und Süden (Akkad mit der Stadt Samarra beziehungsweise Sumer mit den Orten Larsa, Ur und Uruk) und dem dazwischen liegenden Babylonischen wurde schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts begonnen - rund fünfzig Jahre später als in Ägypten. Französische, englische, deutsche und amerikanische Archäologen haben die bedeutendsten Grabungen geleitet, die geborgenen Schätze wurden in den Louvre nach Paris, in das Britische Museum nach London, in das Vorderasiatische Museum nach Berlin und das Chicago-Museum in den USA transportiert.

Die Deutschen Robert Koldeway und Walter Andrae erforschten vor allem Babylon, das Urbild aller großen Städte. Mit der prachtvollen Prozessionsstraße, dem von König Nebukadnezarll. (604-562 v. Chr.) dreimal umgebauten Ischtar-Tor, der von israelitischen Gefangenen errichteten Ziqqurat Etemenanki (dem „Turm von Babel”) und den „Hängenden Gärten der Semira-mis” (einem terrassenartig ansteigenden Palast mit ständig bewässertem Dachgarten) gilt die Metropole nach wie vor als Inbegriff des Luxus, Hochmuts und Sittenverfalls, auf die Gottes Zorn gefallen ist.

Das Ischtar-Tor der dritten Bauphase, geschmückt mit Tieren und Rosetten aus glasierten Ziegeln in leuchtendem Blau, Gelb und Weiß steht jetzt im Vorderasiatischen Museum in Berlin. An Ort und Stelle blieb nur die weniger eindrucksvolle Toranlage mit unglasierten Ziegeln aus der ersten Bauperiode. Von der Ziqqurat Etemenanki, dem Tempel des Stadtgottes Marduk, ist bloß dessen massiver Innenteil, der Lehmkern, erhalten. Den ihn umgebenden Mantel aus glasierten Ziegeln haben Dorfbewohner verschleppt.

Assur, die während viertausend Jahren erste Hauptstadt des assyrischen Reiches, wurde von Walter Andrae (nach seinen Lehrjahren bei Koldeway) gefunden. Die Professoren Jordan, Nöldeke und Heinrich erforschten die altsumerische Hauptstadt Uruk. Hartmut Schmö-kel setzte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Arbeit seiner Vorgänger fort.

Im assyrischen Nimrud bei Mos-sul förderte der Engländer Henry Austen Layard in der Mitte des vorigen Jahrhunderts Skulpturen geflügelter Löwen und Stiere sowie zahlreiche naturalistische Jagdreliefs aus dem Palast des Königs Assurnasirpals II. (884-859 v. Chr.) zutage und schaffte sie ebenso nach London wie sein Nachfolger Hor-muzd Rassam die Tontafeln aus der Bibliothek des Assurbanipals

(668-626 v. Chr) aus Ninive. Auf ihnen ist in Keilschrift das erste große Epos der Weltgeschichte aufgezeichnet, die Sage von Gilga-mesch und der Sintflut. Heute ist von den Bauwerken Ninives mit Ausnahme eines rekonstruierten Stadttores nichts zu sehen. Begraben liegen sie unter einer mit Gras bewachsenen Schicht, auf der die Ziegen und Schafe der Kurden weiden.

Ur, die Heimat Abrahams und Noahs, entdeckte Charles Leonhard Woolley im Jahr 1922. In den darauffolgenden Jahren legte er eine Reihe von Königsgräbern frei. Sie bargen unter anderem eine mit Perlmutter- und Muschelfiguren reich bedeckte Mosaikstandarte aus der Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr. mit Szenen einer Siegesfeier. Im Grab einer mit ihrem Hofstaat bestatteten Königin fand er deren Kopfschmuck. Dazu gehörte auch ein mit goldenen Blumen geschmückter KaVnm und halbmondförmige Ohrringe. Alle diese Funde werden im Iraqui-Museum in Bagdad aufbewahrt.

M. E. L. Mallowan nahm 1949 die Untersuchungen Layards in Nimrud auf. 1952 entdeckte er in einem Brunnen die sogenannte Mona Lisa von Nimrud, ein um 715 v. Chr. aus einem übergroßen Stoßzahn gefertigtes Köpfchen. Ein rätselhaft archaisches Lächeln umspielt das von schulterlangen Locken umrahmte Antlitz. Haar, Augenbrauen und Pupillen sind schwarz bemalt, während die vollen Lippen noch einen hellen roten Farbton zeigen. Die Mona Lisa ist eines der schönsten Exponate im Bagdader Iraqui-Museum.

Seit 1980 graben Österretcher im Auftrag der State Organisation of Antiquities, Bagdad, südlich von Babylon. Unter Leitung der Keilschriftforscherin Helga Trenkwal-der vom Institut für Sprachen und Kulturen des alten Orients der Universität Innsbruck versuchen sie anhand der Untersuchungen der Ziqqurat von Borsipa eine Rekonstruktion des Turmes von Babel -war doch laut schriftlicher Quellen der Tempel des Gottes Marduk analog zum Stufenturm in Borsipa errichtet worden.

Es war ein Anliegen Saddam Husseins, die Worte des Propheten Jeremias über Babylon ad absurdum zu führen: „Darum sollen Wüstentiere und wilde Hunde darin wohnen und die jungen Strauße, und es soll nimmermehr bewohnt werden und niemand darin hausen für und für.”

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