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Verhannlosiing und Verleugnung

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„Ich habe viele jüdische Freunde, aber Dies ist heute eine der häufigsten Einleitungsfloskeln, um antisemitische Vorurteile öffentlich „ungestraft“ zu verbreiten. In welch erschütterndem Ausmaß solches über die Medien geschieht, beweist nun ein sechsköpfiges Forscherteam unter der Leitung von Ruth Wodak, das in zweijähriger Arbeit „Studien zum antisemitischen Diskurs im Nachkriegsösterreich“ vorgelegt hat. Untersucht wurde die Berichterstattung diverser Zeitungen (durchgängig die „Neue Kronen Zeitung“ und „Die Presse“) und des ORF über die Affäre zwischen Bruno Kreisky, Friedrich Peter und Simon Wiesenthal Mitte der siebziger Jahre und über den Präsidentschaftswahlkampf Kurt Waldheims 1986.

Das interdisziplinäre Projektteam versuchte nicht wie üblich, die Anzahl der Antisemiten in Österreich festzustellen, sondern analysierte, welche Palette an antisemitischen Äußerungsformen sich systematisch eruieren läßt. Traditionelle Vorurteile, so das Ergebnis, verschwanden bis auf einen einzigen - nämlich den rassisch „begründeten“ - nach 1945 nicht, sondem wurden, etwa auch bei der Kontroverse um antisemitische Äußerungen des Universitätsprofessors Taras Borodajkiewicz Mitte der sechziger Jahre, immer wieder öffentlich laut.

Im Gegensatz zur Vorkriegszeit gibt es allerdings keine „Sprache des Antisemitismus“ mehr, sondern sprachliche Haltungen, die in einem Gesamtzusammenhang analysiert werden mußten. So wird heute selbstverständlich nicht mehr öffentlich von den „reichen, geldgierigen, intellektuellen etc. Juden“ gesprochen, die international miteinander in Beziehung stehen (Weltverschwörungstheorie), sondern die Vorurteile verstecken sich hinter Anspielungen, Zitaten, Argumentationsmustern, Suggestivfragen und bestimmten Rede- und Gesprächsstrategien.

Die Wissenschaftler weisen etwa nach, daß es in der Berichterstattung des ORF über die Wald-heim-„Affäre“ sehr beliebt war, Vorwürfe, die der Jüdische Weltkongreß gar nicht erhoben hat, prophylaktisch zu widerlegen. Als extremes Beispiel dieser Art von „vorauseilender Rechtfertigung“, der Vorwegnahme von vermeintlichen Vorwürfen, führt die Studie das Mittagsjournal vom 25. März 1986 an, in dem einige Politiker zu Vorwürfen des Jüdischen Weltkongresses (WJC) gegenüber Waldheim Stellung nahmen - zu einem Zeitpunkt, wo die Pressekonferenz des WJC noch gar nicht stattgefunden hatte! Dabei ließ der Moderator der Sendung seine Interviewpartner ungehindert eine Strategie des „Wir-Diskurses“ verfolgen: Wir Österreicher müssen uns gegen diese Angriffe verteidigen. Grundsätzliches Leitmotiv ist hier die Opfer-Täter-Umkehr, die das Team als „einen Extremfall der .Sünden-bock'-Strategie“ bezeichnet: Die Juden seien selbst schuld am Antisemitismus, da sie so unversöhnlich seien und schaden so den „anständigen“ österreichischen „jüdischen Mitbürgern“. Im Resümee stellt das Team nur trocken fest, daß die ORF-Berichterstattung in dieser Sache „nicht objektiv und ausgewogen war, wie es eigentlich der gesetzliche Auftrag des ORF wäre“.

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