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Viel Sand im Getriebe

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Da Österreich sowohl ein Ort der „Verdrängung“ (im Sinne Sigmund Freuds) als auch oft kritikloser Selbstüberschätzung ist, ist die Frage durchaus legitim: Haben die Alpenrepublik und ihre Massenmedien ihre vorgegebene Position, nämlich für den Westen ein Fenster zum Osten und für den Osten ein Guckloch in den Westen zu sein, wirklich erfüllt?

Österreich darf im Bereich der Diplomatie und der Außenpolitik mit Recht beanspruchen, seine „Brückenfunktion“ zwischen Ost und West wahrgenommen zu haben. Es hat—zusammen mit anderen Neutralen und Blockfreien — oft genug bei den Vorrunden der KSZE wie auch bei den Nachfolgetreffen diplomatische Schmiermittel beigesteuert, wenn Sand ins Getriebe der Ost-West-Beziehungen kam und es bedrohlich zu knirschen anfing.

Österreich hat auch zumindest die Kulisse für wichtige Ost-West-Begegnungen geliefert - für Gipfeltreffen ebenso wie etwa für die Truppenabbauverhandlungen. Politisch-diplomatisch haben wir uns also nichts vorzuwerfen.

Die Massenmedien Österreichs haben aber zu spät und auch unzureichend ihre geographisch-politisch-historische Chance genützt, dem Prozeß der Entspannung zu dienen (wenn das überhaupt möglich ist).

Es ist ein jederzeit nachprüfbares Faktum, daß die rotweißroten Massenmedien Osteuropa und seinen Entwicklungen viel zu lange den Rücken zugedreht haben, es „links“ liegen ließen und fast ausschließlich anderswo hinschauten.

Uberspitzt formuliert: Der Vietnamkrieg war bis zu seinem Ende fast täglich eine Meldung oder einen Kommentar wert, während sich das Nachbarland Ungarn kaum Platz und Interesse erobern konnte. Abgeschwächt gilt das auch noch heute: Nikara- , gua oder Südafrika erfreuen sich qualitativ und quantitativ jedenfalls größerer Aufmerksamkeit als die „stillen“ Reformen der Magyaren, die geistige Situation im Nachbarland CSSR, die komplexe politisch-wirtschaftliche Lage Jugoslawiens.

Wenn Journalismus überhaupt etwas zur Entspannung, zu mehr Frieden und Sicherheit in Europa beitragen kann, dann sicherlich auf seinem ureigensten Feld:

Durch kontinuierliche, möglichst breite und fachlich fundierte Information. Drastisch formuliert: Erst Information ermöglicht den Schritt von voreingenommener „Feindschaft“ zu einer vernünftigen „Gegnerschaft“, die — bei Wahrung des ideologischen Grundkonflikts — Möglichkeiten der Integration und Kooperation nicht ausschließt.

So gesehen hat österreichischer Journalismus, trotz mancher Ausnahmen und auch unbestreitbarer Verbesserungen, zur Entspannung und zum KSZE-Prozeß wenig beigetragen.

Auf Beispiele zugespitzt: Noch immer bieten „Le Monde“ oder „Neue Zürcher“, der „Guardian“ oder die „Frankfurter Allgemeine“ mehr Information über Osteuropa und dienen oft als „Quelle“ für österreichische Berichterstattung über die kommunistischen Nachbarländer. Ein ebenso beschämenswerter wie grotesker Zustand.

Angenommen, Journalismus könne tatsächlich durch Information ein differenziertes Bild des ideologischen Gegners bieten und eben damit zur Entspannung beitragen, also über das „Kennenlernen“ und „Bekanntmachen“ des anderen auch Wege zur Konfliktbegrenzung und partieller Kooperation weisen: Auch in diesem Fall erweist sich, daß die rotweißroten Massenmedien weitgehend versagt haben.

Wer nicht kontinuierlich und mit mühsamer Beharrlichkeit Osteuropa sein Augenmerk zuwendet, gerät nämlich automatisch in ein zweifaches unvermeidliches Dilemma: Es fehlt — erstens — an fachlicher Kompetenz und damit notwendigerweise an differenzierter Darstellung, sodaß der Rückgriff auf vorgefertigte Feindbilder zwingend wird.

Zweitens wird Berichterstattung „krisenorientiert“: Sich aber erst dann mit Osteuropa zu beschäftigen (oder beschäftigen zu müssen), wenn krisenhafte Ereignisse es fordern, führt automatisch zu inhaltlichen Verzerrungen und auch zu jenem journalistischen „Sensationalismus“, der in dem Satz „Nur schlechte Nachrichten sind Nachrichten“ sein ethisch bedenkliches Schlagwort gefunden hat.

Wer nicht ganz den Sinn für Selbstkritik verloren hat, wird einräumen müssen, daß österreichischer Journalismus in seiner Ostberichterstattung weitgehend in diesem zweifachen Dilemma steckengeblieben ist. Somit ist die These, die Massenmedien seien „Fenster“ zum Osten und hätten im Rahmen des KSZE-Prozesses zur Entspannung beigetragen, eine Fiktion, aber keine Realität.

Das enthebt niemanden der Verpflichtung, weiterhin zu versuchen — und die Ansätze dafür wurden breiter -, die Fiktion und Utopie zur Realität werden zu lassen.

Der Autor ist außenpolitischer Redakteur der Tageszeitung „Kurier“

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