6910030-1981_05_15.jpg
Digital In Arbeit

Vollbeschäftigung: Abschied von Illusionen

19451960198020002020

Die Vollbeschäftigungsformel der österreichischen Wirtschaftspolitik, die allen, die Arbeit suchen, auch einen Arbeitsplatz verspricht, verliert zunehmend an Glaubwürdigkeit und Gültigkeit. Weil aber Politiker und Sozialpartner ihren Erfolgsmaßstab mit der Vollbeschäftigung verkettet haben, engagieren sie sich in verz weif eiten Rett ungs versuchen.

19451960198020002020

Die Vollbeschäftigungsformel der österreichischen Wirtschaftspolitik, die allen, die Arbeit suchen, auch einen Arbeitsplatz verspricht, verliert zunehmend an Glaubwürdigkeit und Gültigkeit. Weil aber Politiker und Sozialpartner ihren Erfolgsmaßstab mit der Vollbeschäftigung verkettet haben, engagieren sie sich in verz weif eiten Rett ungs versuchen.

Werbung
Werbung
Werbung

Es gibt also viele Möglichkeiten, um die Gültigkeit der Vollbeschäftigungs­formel vorzutäuschbn, und die wirt­schaftspolitischen Entscheidungsträger machen auch Gebrauch davon. Aber die Fassade der ausgewiesenen Mini­malarbeitslosenraten beginnt zu brök- keln.

Sichtbar werden dann jene Ober­österreicher, Niederösterreicher, Bur­

genländer und Steirer, die täglich vier und mehr Stunden zu und von ihren Ar­beitsplätzen pendeln. Sichtbar werden Landesregierungen, die als Bittsteller bei multinationalen Unternehmungen auftreten und zu hochsubventionierten und - wie sich leider meist herausstellt - kurzfristigen Produktionsgastspielen einladen.

Die derzeit gehandelten Wirtschafts­rezepte kaschieren die Symptome, ku­rieren aber nicht die Ursachen der Krankheitsprozesse. Übersetzt in den Bereich Arbeit hei ßt dies: Vollbeschäfti- gung im Sinne der Vollbeschäftigungs­formel ist zuwenig, wenn damit nicht der Wohlstand des einzelnen und der Wohlstand der Gesellschaft verknüpft ist.

Damit stoßen wir auf eine sehr ent­scheidende, aber nicht deutlich genug ausgesprochene Annahme der gängigen Vollbeschäftigungsformel: Vorausge­setzt wird, daß Arbeit Wohlstand schafft, daß mehr Arbeit zu mehr Wohlstand führt und daß somit Vollbe­schäftigung das größtmögliche Wohl­standsniveau der Gesellschaft mar­kiert. Diese versteckte Gleichsetzung von Arbeit und Wohlstand in der Voll­beschäftigungsformel ist aber durch die laufend erfahrenen Widersprüche in unserem Wirtschaftsleben höchst frag­lich geworden.

Bei vielen Produkten zeigt die Nach­frage in den Industriegesellschaften erstmals Sättigungserscheinungen. Deutlich erfahren dies zur Zeit die Pro­duzenten von Autosund Unterhaltungs­elektronik. Suggestive Werbung, be­wußt eingebauter Verschleiß oder Ma­nipulation der Konsumentenwünsche stimulieren wohl wieder die Nachfrage und „sichern“ damit Arbeitsplätze. Of­

fensichtlich ist aber damit die Gesell­schaft nicht reicher geworden, denn Rohstoffe und Arbeitskraft werden für Produkte verbraucht, die eigentlich nicht benötigt werden und die von der Produktion bis zum Konsum vielleicht sogar Schäden, etwa für den Gesund­heitszustand, verursachen.

Das schließt nicht aus, daß einzelne auf Kosten anderer ihren persönlichen Wohlstand verbessern: Sparkassenan- gesteilte etwa auf Kosten der Kontoin­haber und Kreditnehmer, die überhöhte Gebühren und Zinsen für eigentlich nicht benötigte Sparkassenfilialen zu zahlen haben. Eine inhärente Kontra­produktivität der Wirtschaftsprozesse des öffentlichen Sektors ist gerade in den letzten Monaten auch in Österreich sichtbar geworden. Die Konsumenten sehen sich konfrontiert mit einem Spi­tal, das nicht primär unter der Zielset­zung der Heilung von Kranken gebaut wird, und mit einem Kraftwerk, das nicht den gesellschaftspolitischen Rah­menbedingungen für die Energiebereit­stellung entspricht.

Zweifellos sind auch diese Produk­tionsabenteuer für einzelne Personen und bestimmte Unternehmungen sehr lukrativ, und es läßt sich leicht ausrech­nen, wieviel Arbeitsplätze damit „gesi­chert“ werden. Die gesamte Gesell­schaft würde aber mit großer Wahr­scheinlichkeit durch eine andere Ver­wendung der dabei eingesetzten Ver­mögenswerte mehr Wohlstand erfah­ren.

Viele Produktionsprozesse des priva­ten und des öffentlichen Sektors unse­rer Gesellschaft haben leider nur mehr den Stellenwert des berüchtigten Lö­chergrabens.

Internationalen Beispielen folgend wurden auch für Österreich Berechnun­gen angestellt, wieviel von den Wachs­tumsraten des Brutto-Inlandsprodukts auf die „Löcherproduktion“ entfällt. Rund ein Drittel ist das Ergebnis. Das bedeutet, daß wir statt mit einem drei­prozentigen BIP-Wachstum auch bei

zwei Prozent denselben Wohlstandszu­wachs erzielen würden, könnten wir die „Löcheraktivitäten“ einstellen.

Worauf die vorgeschlagene Neu­orientierung unserer Beschäftigungspo­litik hinauslaufen soll, ist einfach zu formulieren: Wir sollen eine Rekon­struktion unserer Wirtschaft anstreben, basierend auf einer umfassenden gesell­schaftlichen Meinungsbildung einer­seits über den Umfang und die Qualität der Güter und Dienstleistungen, die den Konsumenten zu Verfügung stehen sol­len, und andererseits über die Produk­tionsprozesse, die diese Wünsche erfül­len sollen.

Der Wunsch nach intensiven Urlaubs­erlebnissen im Ausland hat die Öster­reicher inzwischen zu den ausgabefreu­digsten Touristen der Welt gemacht. Sowohl in der Dichte als auch in der Qualität liegt der österreichische Pkw- Bestand im Spitzenfeld der Industrie­länder. Wir bezahlen diese Konsum­wünsche unter anderem durch Panzer nach Afrika und Südamerika und durch vermehrten Verzehr von Um­weltkapital, deutlich sichtbar in der In­dustrialisierung der Fremdenverkehrs­gebiete.

Wie alle anderen Industrieländer ist auch Österreich in die Ölfalle der OPEC getappt. Anstatt die Kapazität unserer Bauwirtschaft zur Verbesse­rung der thermischen Gebäudequalität zu verwenden und generell Energie effi­zienter einzusetzen, schicken wir unsere Baufirmen nach Saudi-Arabien und verkaufen dorthin (noch) Fertigteilhäu­ser, die für das dortige Klima völlig un­geeignet sind.

Diese beispiel­haft angeführten Entwicklungsten­denzen in unserer Wirtschaft bedür­fen einer Kurskor­rektur. Unter dem Zwang der Vollbe­schäftigungsfor­mel wuchern Scheinaktivitäten, die nur noch von Finanzministern, der OPEC und den Buchhaltern des Statistischen Zen­tralamtes positiv registriert werden.

Statt der Voll­beschäftigungsfor­mel plädiere ich deshalb Tür eine Wohlstandsfor­mel, die die Kon­turen für eine ge­sellschaftlich wünschbare und machbare Wirt­schaftsentwick­lung ausweist. Wie diese Formel aus­sehen soll, ist noch nicht abzusehen. Sie kann nicht das Konstrukt von Ex­perten oder Funk­tionären sein. Sie sollte das Resultat eines umfassenden Denkvorganges al­ler Österreicher darstellen. Sie würde schließlich auch zu einer be­friedigenderen Or­ganisation unseres Arbeitslebens füh­ren.

Statt zum Lö­chergraben sollten wir uns zum Nach­denken ermun­tern.

(Aus: „Politikum“, Nr. 4)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung