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Vollbeschäftigung: Abschied von Illusionen
Die Vollbeschäftigungsformel der österreichischen Wirtschaftspolitik, die allen, die Arbeit suchen, auch einen Arbeitsplatz verspricht, verliert zunehmend an Glaubwürdigkeit und Gültigkeit. Weil aber Politiker und Sozialpartner ihren Erfolgsmaßstab mit der Vollbeschäftigung verkettet haben, engagieren sie sich in verz weif eiten Rett ungs versuchen.
Die Vollbeschäftigungsformel der österreichischen Wirtschaftspolitik, die allen, die Arbeit suchen, auch einen Arbeitsplatz verspricht, verliert zunehmend an Glaubwürdigkeit und Gültigkeit. Weil aber Politiker und Sozialpartner ihren Erfolgsmaßstab mit der Vollbeschäftigung verkettet haben, engagieren sie sich in verz weif eiten Rett ungs versuchen.
Es gibt also viele Möglichkeiten, um die Gültigkeit der Vollbeschäftigungsformel vorzutäuschbn, und die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger machen auch Gebrauch davon. Aber die Fassade der ausgewiesenen Minimalarbeitslosenraten beginnt zu brök- keln.
Sichtbar werden dann jene Oberösterreicher, Niederösterreicher, Bur
genländer und Steirer, die täglich vier und mehr Stunden zu und von ihren Arbeitsplätzen pendeln. Sichtbar werden Landesregierungen, die als Bittsteller bei multinationalen Unternehmungen auftreten und zu hochsubventionierten und - wie sich leider meist herausstellt - kurzfristigen Produktionsgastspielen einladen.
Die derzeit gehandelten Wirtschaftsrezepte kaschieren die Symptome, kurieren aber nicht die Ursachen der Krankheitsprozesse. Übersetzt in den Bereich Arbeit hei ßt dies: Vollbeschäfti- gung im Sinne der Vollbeschäftigungsformel ist zuwenig, wenn damit nicht der Wohlstand des einzelnen und der Wohlstand der Gesellschaft verknüpft ist.
Damit stoßen wir auf eine sehr entscheidende, aber nicht deutlich genug ausgesprochene Annahme der gängigen Vollbeschäftigungsformel: Vorausgesetzt wird, daß Arbeit Wohlstand schafft, daß mehr Arbeit zu mehr Wohlstand führt und daß somit Vollbeschäftigung das größtmögliche Wohlstandsniveau der Gesellschaft markiert. Diese versteckte Gleichsetzung von Arbeit und Wohlstand in der Vollbeschäftigungsformel ist aber durch die laufend erfahrenen Widersprüche in unserem Wirtschaftsleben höchst fraglich geworden.
Bei vielen Produkten zeigt die Nachfrage in den Industriegesellschaften erstmals Sättigungserscheinungen. Deutlich erfahren dies zur Zeit die Produzenten von Autosund Unterhaltungselektronik. Suggestive Werbung, bewußt eingebauter Verschleiß oder Manipulation der Konsumentenwünsche stimulieren wohl wieder die Nachfrage und „sichern“ damit Arbeitsplätze. Of
fensichtlich ist aber damit die Gesellschaft nicht reicher geworden, denn Rohstoffe und Arbeitskraft werden für Produkte verbraucht, die eigentlich nicht benötigt werden und die von der Produktion bis zum Konsum vielleicht sogar Schäden, etwa für den Gesundheitszustand, verursachen.
Das schließt nicht aus, daß einzelne auf Kosten anderer ihren persönlichen Wohlstand verbessern: Sparkassenan- gesteilte etwa auf Kosten der Kontoinhaber und Kreditnehmer, die überhöhte Gebühren und Zinsen für eigentlich nicht benötigte Sparkassenfilialen zu zahlen haben. Eine inhärente Kontraproduktivität der Wirtschaftsprozesse des öffentlichen Sektors ist gerade in den letzten Monaten auch in Österreich sichtbar geworden. Die Konsumenten sehen sich konfrontiert mit einem Spital, das nicht primär unter der Zielsetzung der Heilung von Kranken gebaut wird, und mit einem Kraftwerk, das nicht den gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen für die Energiebereitstellung entspricht.
Zweifellos sind auch diese Produktionsabenteuer für einzelne Personen und bestimmte Unternehmungen sehr lukrativ, und es läßt sich leicht ausrechnen, wieviel Arbeitsplätze damit „gesichert“ werden. Die gesamte Gesellschaft würde aber mit großer Wahrscheinlichkeit durch eine andere Verwendung der dabei eingesetzten Vermögenswerte mehr Wohlstand erfahren.
Viele Produktionsprozesse des privaten und des öffentlichen Sektors unserer Gesellschaft haben leider nur mehr den Stellenwert des berüchtigten Löchergrabens.
Internationalen Beispielen folgend wurden auch für Österreich Berechnungen angestellt, wieviel von den Wachstumsraten des Brutto-Inlandsprodukts auf die „Löcherproduktion“ entfällt. Rund ein Drittel ist das Ergebnis. Das bedeutet, daß wir statt mit einem dreiprozentigen BIP-Wachstum auch bei
zwei Prozent denselben Wohlstandszuwachs erzielen würden, könnten wir die „Löcheraktivitäten“ einstellen.
Worauf die vorgeschlagene Neuorientierung unserer Beschäftigungspolitik hinauslaufen soll, ist einfach zu formulieren: Wir sollen eine Rekonstruktion unserer Wirtschaft anstreben, basierend auf einer umfassenden gesellschaftlichen Meinungsbildung einerseits über den Umfang und die Qualität der Güter und Dienstleistungen, die den Konsumenten zu Verfügung stehen sollen, und andererseits über die Produktionsprozesse, die diese Wünsche erfüllen sollen.
Der Wunsch nach intensiven Urlaubserlebnissen im Ausland hat die Österreicher inzwischen zu den ausgabefreudigsten Touristen der Welt gemacht. Sowohl in der Dichte als auch in der Qualität liegt der österreichische Pkw- Bestand im Spitzenfeld der Industrieländer. Wir bezahlen diese Konsumwünsche unter anderem durch Panzer nach Afrika und Südamerika und durch vermehrten Verzehr von Umweltkapital, deutlich sichtbar in der Industrialisierung der Fremdenverkehrsgebiete.
Wie alle anderen Industrieländer ist auch Österreich in die Ölfalle der OPEC getappt. Anstatt die Kapazität unserer Bauwirtschaft zur Verbesserung der thermischen Gebäudequalität zu verwenden und generell Energie effizienter einzusetzen, schicken wir unsere Baufirmen nach Saudi-Arabien und verkaufen dorthin (noch) Fertigteilhäuser, die für das dortige Klima völlig ungeeignet sind.
Diese beispielhaft angeführten Entwicklungstendenzen in unserer Wirtschaft bedürfen einer Kurskorrektur. Unter dem Zwang der Vollbeschäftigungsformel wuchern Scheinaktivitäten, die nur noch von Finanzministern, der OPEC und den Buchhaltern des Statistischen Zentralamtes positiv registriert werden.
Statt der Vollbeschäftigungsformel plädiere ich deshalb Tür eine Wohlstandsformel, die die Konturen für eine gesellschaftlich wünschbare und machbare Wirtschaftsentwicklung ausweist. Wie diese Formel aussehen soll, ist noch nicht abzusehen. Sie kann nicht das Konstrukt von Experten oder Funktionären sein. Sie sollte das Resultat eines umfassenden Denkvorganges aller Österreicher darstellen. Sie würde schließlich auch zu einer befriedigenderen Organisation unseres Arbeitslebens führen.
Statt zum Löchergraben sollten wir uns zum Nachdenken ermuntern.
(Aus: „Politikum“, Nr. 4)
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