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Ist der Liberalismus im fclassi-schen Sinn, die politische Bewegung des Bürgertums, die zu einem Gutteil das 19. Jahrhundert bestimmt und das 20. mitgeprägt hat, tot oder hat er noch Zukunft als „Dritte Kraft“ im Sinne Friedrich Heers, als Motor einer politischen Umwälzung, die mit der Französischen Revolution begann, hat er noch Zukunft hier in Österreich?

Auf diese Frage der „Furche“ sprachen Professoren, Journalisten und Politiker dem Liberalismus fast einmütig die gesellschaftsformende Kraft für die Zukunft ab. Während der Historiker Prof. Fellner soweit geht, die Existenz eines echten Liberalismus in Österreich auch für die Vergangenheit abzustreiten, sind sich Politiker und Journalisten einig, daß die liberale Bewegung heute ihre Kraft verströmt, ihren Elan verloren hat. Die Lage des österreichischen Liberalismus kompliziert sich noch dadurch, daß hier seit den Anfängen der Parteigründung die nationalen Tendenzen dit liberalen Elemente überdeckten, eine Entwicklung, die schließlich dazu führte, daß schon in der Ersten Republik, wie Wolf in der M aur festhält, die meisten Liberalen über die Großdeutschen zum Nationalsozialismus überliefen, und daß auch das heutige Programm der Freiheitlichen Partei Österreichs zahlreiche nationale und damit antiliberale Züge aufweist, worauf Doktor Peter Diem nachdrücklich hinweist. Selbst Funktionäre der FPÖ, wie Abgeordneter Peter, konzedieren, daß der Liberalismus — nachdem seine wichtigsten Anliegen heute politisches Allgemeingut geworden sind — sich zur individuellen Geisteshaltung „zurückgebildet“ hat und damit kein politisches Programm mehr darstellt. Diese Geisteshaltung, die Professor Thirring unter dem Begriff der Toleranz im weitesten Wortsinn subsumiert, scheint allerdings vielen der Befragten in Österreich schwach entwickelt und einer dringenden Förderung bedürftig.

Was somit vom Liberalismus bleibt, ist ein Phänomen, das häufig in heftigen geistigen Auseinandersetzungen auftritt: Seine schärfsten Gegner in der Vergangenheit, katholische Kirche und Sozialismus, haben wesentliche liberale Elemente — die Freiheit des einzelnen gegenüber der institutionalisierten Autorität, den Primat des individuellen Gewissens gegenüber kollektiver Intoleranz — wieder beziehungsweise neu entdeckt: Die moderne Theologie hat die christliche Gewissensfreiheit zwar nicht erfunden, aber zum zentralen Thema erhoben; daß Theoretiker des Sozialismus, sei es im Rückgriff auf den jungen Marx, sei es in bewußter Anknüpfung an die liberale Tradition, Idee und Notwendigkeit der persönlichen Freiheit entdecken, scheint kein Zufall.

„Liberal“ stellt im heutigen Österreich keinen festumrissenen Begriff mehr dar, es dient eher als Etikettierung für alle, die sich schwer einordnen lassen, für die unbequem oppositionellen Geister in allen Reihen, die weniger von „Disziplin“, mehr von Freiheit halten. Zum politischen Programm fehlen dem Liberalismus echte Zielsetzungen — die gesellschaftliche Wirklichkeit, die er gestalten will, hat sich unter Ein-schmelzung zahlreicher liberaler Elemente gewandelt. Begriffe, übernommen aus dem Vokabular eines vergangenen Jahrhunderts, wurden zu Klischees, die nicht mehr passen. Staat und Gesellschaft von heute, der einzelne als gesellschaftlich Handelnder, seine Bindungen in Gruppen, Verbänden, Parteien, können nicht in der Terminologie von gestern abgehandelt werden, sie erfordern eine neue politische Sprache, auf dem Stand des gesellschaftlichen Wissens von heute.

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