ProMann

"Die Aussicht auf eine kernwaffenfreie Welt ist in weite Ferne gerückt"

19451960198020002020

Wenn sich die Kirchen ehrlich machen, müssen sie nüchtern anerkennen, dass eine Sicherheitsordnung ohne nukleare Abschreckung auf absehbare Zeit kaum denkbar ist, argumentiert der Theologe Ullrich Körtner. Die Annahme, ein Verzicht auf Atomwaffen würde den Weltfrieden fördern, sei zumindest zweifelhaft.

19451960198020002020

Wenn sich die Kirchen ehrlich machen, müssen sie nüchtern anerkennen, dass eine Sicherheitsordnung ohne nukleare Abschreckung auf absehbare Zeit kaum denkbar ist, argumentiert der Theologe Ullrich Körtner. Die Annahme, ein Verzicht auf Atomwaffen würde den Weltfrieden fördern, sei zumindest zweifelhaft.

Werbung
Werbung
Werbung

Russlands völkerrechtlicher Angriffskrieg gegen die Ukraine hat nicht nur in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik eine Zeitenwende eingeleitet. Er stellt auch die bisherige Friedensethik der Kirchen auf den Prüfstand. Im neutralen Österreich hört man darüber wenig. In Deutschland hingegen, das Mitglied der NATO ist, wird sowohl in der evangelischen als auch in der katholischen Kirche intensiv diskutiert, ob die Leitidee des gerechten Friedens mit ihrem Vorrang für zivile Mittel der Konfliktlösung und ihrer kritischen Haltung gegenüber militärischen Gewaltmitteln zur Friedenssicherung weiterhin tragfähig ist.

Zur Diskussion steht auch, wie es die Kirchen mit Nuklearwaffen und dem Konzept der atomaren Abschreckung halten. Der bisherige ökumenische Common Sense, wonach nicht nur der Einsatz, sondern schon die Drohung mit Atomwaffen jeder christlichen Ethik widerspricht, gerät unter Druck. Zuletzt hat die Deutsche Bischofskonferenz ihren Standpunkt bekräftigt, es sei höchste Zeit, aus der nuklearen Abschreckung auszusteigen. Was das konkret heißen soll, bleibt vage. Bis auf weiteres ist die katholische Kirche offenbar froh, unter den atomaren Schutzschirm der NATO zu leben, ohne das klar auszusprechen.

In der evangelischen Kirche stellt sich die Diskussionslage ähnlich dar. Die Aussicht auf eine kernwaffenfreie Welt ist mit dem Ukraine-Krieg in weite Ferne gerückt. Wenn sich die Kirchen ehrlich machen, müssen sie nüchtern anerkennen, dass eine Sicherheitsordnung ohne nukleare Abschreckung auf absehbare Zeit kaum denkbar ist.

Das Gebot des besonnenen Handelns

Allerdings ist politisch besonnenes Handeln geboten, um eine unkontrollierte atomare Eskalationsspirale zu verhindern. Bestrebungen von Ländern wie dem Iran, in den Besitz der Atombombe zu gelangen, darf die Welt nicht tatenlos zuschauen. Jedoch ist die Annahme, der Verzicht auf Kernwaffen würde den Weltfrieden fördern, zumindest zweifelhaft. Der Atomwaffenverbotsvertrag aus dem Jahr 2017 stellt gegenüber dem Atomwaffensperrvertrag aus dem Jahr 1970 und dem seither entstandenen Regelwerk keine Verbesserung dar, auch wenn dieses in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend durchlöchert wurde. Im Unterschied zum Atomwaffensperrvertrag ist keine der Atommächte dem Atomwaffenverbotsvertrag beigetreten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung