"Der Islamische Staat wird kollabieren"

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Die Friedensforscherin Basma Salama hat eine Studie über die Überlebenskraft des "Islamischen Staats" erarbeitet. Sie meint, das Terrornetzwerk wäre ohne Hilfe aus dem Ausland nicht überlebensfähig. Auch der Libanon spielt dabei eine Rolle. | Das Gespräch führte Ralf Leonhard

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Die Friedensforscherin Basma Salama hat eine Studie über die Überlebenskraft des "Islamischen Staats" erarbeitet. Sie meint, das Terrornetzwerk wäre ohne Hilfe aus dem Ausland nicht überlebensfähig. Auch der Libanon spielt dabei eine Rolle. | Das Gespräch führte Ralf Leonhard

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Basma Salama ist Juniorforscherin am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (IFK) der Landesverteidigungsakademie Österreich. Ihre aktuelle Forschung konzentriert sich auf den "Islamischen Staat" sowie die Konflikte im Irak, in Syrien und in Libyen. In der Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie ist zuletzt eine Arbeit Salamas erschienen, die sich mit der Widerstandsfähigkeit des "Islamischen Staats" beschäftigt: "The Resilience of The Islamic State".

Die Furche: Wie muss man sich den Alltag im Kalifat vorstellen?

Basma Salama: Die Realität unterscheidet sich stark von dem Bild, das die Propaganda verbreitet, nämlich von einem funktionierenden Staat im Kalifat. Im irakischen wie im syrischen Teil versagen die öffentlichen Dienstleistungen. In Mosul fehlt Chlor für die Wasseraufbereitung, in Raqqa gibt es drei bis vier Stunden Strom am Tag. Es herrschen Kriegsbedingungen und man ist Luftschlägen ausgesetzt. Essen ist knapp. Und dann ist da die Moralpolizei, deren Repression zunimmt. Die Gewalt nimmt zu, weil der IS destabilisiert ist. Er hat in den letzten zwei Jahren 18.500 Menschen getötet: Zivilisten und eigene Kämpfer, die desertieren wollten. Als sie im Dezember die Stadt Ramadi verloren, wurden die überlebenden Kämpfer in Mosul hingerichtet, weil sie nicht bis zum Tod gekämpft haben.

Die Furche: Lässt sich daraus ableiten, dass die territoriale Expansion vorbei ist?

Salama: Früher war es so, dass sie für ein verlorenes Gebiet ein anderes erobert haben. Seit einiger Zeit verliert der IS mehr Territorium als je zuvor: im Irak 40 Prozent, in Syrien zehn bis 20 Prozent. Das ist ein Erfolg der Anti-IS-Koalition und ihrer Luftschläge.

Die Furche: Warum sind die Verluste im Irak höher?

Salama: Dort hat die Koalition 7800 Luftschläge geführt, in Syrien nur 3649. Die muss man mit dem Einsatz von Bodentruppen kombinieren und die sind im Irak zuverlässiger als in Syrien: Da gibt es die kurdischen Peschmerga, die Regierungstruppen und die schiitischen Milizen. In Syrien kann man sich vor allem auf die kurdische YPG im Norden verlassen. Das Ausbildungsprogramm für gemäßigte Rebellen in Syrien ist gescheitert. Die Kampagne war aber auch erfolgreich, weil sie eine wichtige Verbindung zwischen dem syrischen Teil des Kalifats und dem irakischen abgeschnitten hat. Mit der Rückeroberung von Ash-Shaddadi wurde die direkte Verbindung von Raqqa nach Mosul getrennt. Jetzt kontrollieren die Kurden diesen Weg und der IS muss den Umweg durch die Wüste nehmen, was Truppenbewegungen und den Transport schwerer Waffen verzögert. Zuletzt war der Verlust von Palmyra nicht nur von symbolischer Bedeutung. Denn wer Palmyra kontrolliert, kontrolliert auch die östliche Wüste in Syrien zum Irak. Wichtig war auch der Verlust von Ramadi, einer wichtigen IS-Bastion in der Provinz Anbar. Das ist eine Hochburg der Sunniten, wo die Präsenz des IS von Anbeginn an sehr stark war. Außerdem hat die Rückeroberung von Ramadi die Stadt Fallujah weiter isoliert. Die IS-Truppen werden dort von der irakischen Armee belagert.

Die Furche: Und wie steht es damit in Syrien, das als Hochburg des IS gilt?

Salama: Die Kampagne war in Syrien auch weniger erfolgreich, weil dort der Bürgerkrieg tobt und ein Machtvakuum geschaffen hat, das der IS ausnutzt. Assads brutale Attacken auf die Zivilbevölkerung machen es dem IS leichter, neue Rekruten zu gewinnen und Dschihadisten zum Kampf gegen das korrupte Regime aufzurufen. Außerdem betrachten viele Staaten, die in den Stellvertreterkrieg in Syrien verwickelt sind, einander aus geopolitischen Rivalitäten als gefährlicheren Feind. Der IS wird nur als zweite Priorität gesehen.

Die Furche: Haben die russischen Luftangriffe auch etwas zur Schwächung des IS beigetragen?

Salama: Russland hat den IS viel weniger gezielt attackiert als die Koalition. Die Russen haben sich auf den Westen Syriens und die verschiedenen Rebellengruppen konzentriert, die gegen Assad kämpfen. Palmyra haben sie für die Rückeroberung durch die syrische Armee freigeschossen. Sie haben auch Deir ez-Zor bombardiert, mitten im IS-Gebiet, wo die syrische Armee einen Luftstützpunkt hält.

Die Furche: Es gibt da eine kleine IS-Exklave an der Grenze zum Libanon. Gibt es dort Unterstützung aus dem Libanon?

Salama: Ohne Sympathisanten auf der anderen Seite der Grenze oder in Syrien könnten sie dort nicht überleben. Es muss also lokale Vereinbarungen geben. Es gibt aber keine Anzeichen dafür, dass der IS die palästinensischen Flüchtlingslager infiltriert hätte.

Die Furche: Sie schreiben, dass es 20 Jahre dauern kann, bis der IS besiegt ist.

Salama: Als staatliche Struktur gebe ich ihm drei bis vier Jahre, weil die exponentielle Auswirkung der verschiedenen Faktoren zum inneren Zusammenbruch führen wird. Wir beobachten bereits die symbolisch wichtige Abnahme der ausländischen Kämpfer. Statt 1000 im Monat kommen jetzt nur mehr 200. Außerdem gibt es immer mehr Deserteure. Die nicht ideologisch motivierten Kämpfer gehen wegen der Lohnkürzungen, und die anderen durchschauen nach und nach die Scheinheiligkeit des IS, der sich als Beschützer der Sunniten gebärdet, aber in Wirklichkeit andere sunnitische Gruppen wie Jabhat al-Nusra bekämpft, statt sich gegen das syrische Regime zu wenden. Auch die unterschiedslose Gewalt gegen Zivilisten, gegen Frauen und Kinder, schreckt viele ab. Schließlich sind da auch noch die harten Lebensbedingungen im Kalifat. Der IS befindet sich auf einem Tiefpunkt. Er rekrutiert jetzt Kinder zwischen neun und 15 Jahren. In Mosul hat er Hunderte Kinder verschleppt. Spannungen und Aggressionen entstehen, auch weil ausländische Kämpfer besser bezahlt werden. Das widerspricht dem vom Kalifat verbreiteten Bild von einer utopischen Gesellschaft, wo alle Menschen gleich sind. Das Kalifat wird kollabieren, weil das durch die Propaganda verbreitete Image der Unbesiegbarkeit und Stärke durch die militärischen Verluste zerstört wurde und sie keinen funktionierenden Staat mit öffentlichen Dienstleistungen und Arbeitsplätzen anbieten können.

Die Furche: Das ist aber nicht das Ende.

Salama: Nein, denn auch ohne Territorium kann der IS als Terrororganisation aktiv bleiben. Deswegen muss man die Ideologie bekämpfen und rechtsstaatliche Regierungen aufbauen, die für alle da sind. Man kann den IS nicht besiegen, indem man seine Kämpfer tötet. Deswegen genügt es nicht, rein auf Militärstrategie zu setzen. Die Ideologie muss man unterminieren, indem man ihre Attraktivität angreift. Dazu muss man betonen, dass die meisten Opfer des dschihadistischen Islamismus Muslime sind. Man muss mit Deserteuren arbeiten und gemäßigten Gelehrten eine Plattform geben, um Deradikalisierung zu betreiben. Natürlich muss auch in die Infrastruktur und Wirtschaft der Region investiert werden. Denn Arbeitslosigkeit und das Fehlen von Perspektiven treibt junge Männer in die Arme von Extremisten. Das wird viel zu wenig getan. Schließlich reicht es auch nicht, den IS nur in Syrien und im Irak zu bekämpfen. Der IS versucht einer strategischen Niederlage durch globale Expansion und Radikalisierung zu entgehen. Deswegen ist es unerlässlich, auch Libyen, Ägypten und Afghanistan einzubeziehen. Wenn der IS dort einmal Fuß gefasst hat, wird es ganz schwierig, diese Gruppe zu besiegen.

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