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Aus den „Befreiern“ wurden Unterdrücker

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Der syrische Angriff auf das Christenviertel von Beirut vor zwei Wochen hat endgültig das weltweite Interesse auf die Situation in Libanon gelenkt. Frankreich, die USA und die UNO schalteten sich ein, um das Blutvergießen zwischen Christen, Muslims, Palästinensern und syrischen Soldaten endlich zu stoppen. Dem Waffenstillstand, der vorerst erreicht wurde, traut freilich kaum jemand. Grund genug, das aktuelle Geschehen und die Hintergründe des Konfliktes in Libanon zu durchleuchten und die kirchliche Situation zu untersuchen. FURCHE-Redakteur Burkhard Bischof befaßt sich mit den aktuellen Ereignissen, Pater Wilhelm de Vries SJ, Professor für orientalische Kirchengeschichte am Päpstlich Orientalischen Institut in Rom erklärt die historischen Grundlagen des heutigen Geschehens.

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Der syrische Angriff auf das Christenviertel von Beirut vor zwei Wochen hat endgültig das weltweite Interesse auf die Situation in Libanon gelenkt. Frankreich, die USA und die UNO schalteten sich ein, um das Blutvergießen zwischen Christen, Muslims, Palästinensern und syrischen Soldaten endlich zu stoppen. Dem Waffenstillstand, der vorerst erreicht wurde, traut freilich kaum jemand. Grund genug, das aktuelle Geschehen und die Hintergründe des Konfliktes in Libanon zu durchleuchten und die kirchliche Situation zu untersuchen. FURCHE-Redakteur Burkhard Bischof befaßt sich mit den aktuellen Ereignissen, Pater Wilhelm de Vries SJ, Professor für orientalische Kirchengeschichte am Päpstlich Orientalischen Institut in Rom erklärt die historischen Grundlagen des heutigen Geschehens.

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Als „Sprengung von Beirut“ beschrieb das Nachrichtenmagazin „Time“ die letzte und bisher barbarischste „Kampfrunde“, die sich in der Hauptstadt des Libanon seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges im April 1975 abgespielt hatte. Nach der Feuereinstellung vom vorvergangenen Wochenende schweigen zwar die* syrischen Kanonen und Raketenwerfer, die zuvor rund um die Uhr in den christlichen Stadtteil Ashrafieh gefeuert hatten, von einer Konfliktbeilegung, von einer Waffenruhe ist freilich weit und breit nichts in Sicht.

Die blutige Bilanz der jüngsten Kämpfe zwischen Syrern und den maronitisch-christlichen Milizen: Die Zahl der Toten wird vom Internationalen Roten Kreuz auf etwa 500 geschätzt, die Rundfunkstation „Stimme des Libanon“ sprach von 1300. Bei den Verwundeten schwanken die Angaben zwischen 1000 und 3000. Die Syrer dürften bei den Raketen und Artillerieduellen zwischen 200 und 300 Mann verloren haben. Etwa 5000.000 Einwohner Beiruts hätten während der Kämpfe ihre Häuser verlassen müssen, 35.000 Wohnungen seien zerstört worden.

Die Wurzeln des mörderischen Geschehens reichen weit zurück, bis ins Jahr 1948, als der israelische Staat gegründet wurde und die erste Welle palästinensischer Flüchtlinge in den Libanon kam. Denn die 300.000 zu 90 Prozent islamischen Palästinenser, die sich im Laufe der kommenden Jahre in Lagern rund um die libanesischen Städte und an der südlichen Grenze des Landes niederließen, warfen das subtile Gleichgewicht der vom Nationalpakt 1943 umschriebenen proportionalen Ämterverteilung zwischen Christen und Muslims völlig über den Haufen.

Nach dem Junikrieg- von 1967 konnten sich die Palästinenser von den besiegten arabischen Staaten unabhängiger machen. Sie erreichten dadurch weitgehende Handlungsfreiheit im Südlibanon und Hoheitsrechte in den eigenen Lagern. Und als sie 1970 von den jordanischen Regierungstruppen geschlagen wurden, verlagerten die Palästinenser ihre Aktivitäten vollends in den Libanon.

Die Regierung in Beirut war machtlos. Linke, Muslime und Palästinenser griffen zur Selbsthilfe und schlössen sich zu einem Dreierbündnis zusammen, das praktisch eine Gegenposition zum libanesischen politischen System darstellte. Die systemloyaleren 1,4 Millionen Christen des Landes sahen dadurch ihre Befürchtungen bestätigt: Ihre Existenz und der libanesische Staat standen auf dem SpieL

In der Folge begannen die Konfliktparteien aufzurüsten: Syrien, der Irak und Libyen unterstützten Palästinenser, die Linke und die arabisch-nationalen Gruppen des Libanon massiv mit Waffen, die wohlhabenden Christen bildeten ihre eigenen Milizen aus und bewaffneten sie. Wichtigste Kampftruppe innerhalb der „libanesischen Kräfte“, wie sich die Christlich-Konservativen selber nannten, wurden die „Libanesischen Phalangen“, eine 1936 von Pierre Gemayel gegründete Organisation.

1975 eskalierte die Gewalt im Libanon. Hatte es zuerst den Anschein, daß sich in dem immer offener geführten Bürgerkrieg vor allem Phalangen und Palästinenser bekämpfen würden, artete der Konflikt in der Folge zu einem Kampf zwischen den Christen und der „Nationalen Bewegung“ aus, der losen Koalition von Muslims, Linken und Palästinensern.

Anfang 1976 begann sich die libanesische Armee aufzulösen und die Truppen schlugen sich zum Teil zu den „Libanesen“, zum Teil zu den „Nationalen“. Im Juni 1976 intervenierte dann die „Panarabische Friedensstreitmacht“, die zum Großteil aus syrischen Truppenteilen bestand, und kam damit den von den „Nationalen“ arg bedrohten Christen zu Hilfe. Bis im Oktober 1976 hatte Syrien seine Truppen in Beirut stationiert und erreicht, daß die gesamte Aktion von der arabischen Liga gebilligt und mitfinanziert wurde.

Von nun an stand das Geschehen in Libanon unter syrischem Einfluß: Die Entwaffnung der kriegsführenden Parteien fand nur teilweise statt. Die Christen weigerten sich, ihre Waffen abzugeben, nachdem auch Muslims und Palästinenser nicht entwaffnet worden waren. Und zusehends sahen sie in ihren einstigen „Befreiern“ die Unterdrücker.

Dieser Frontwechsel kam zustande, als Gemayel und Chamoun erkannten, daß die Syrer nicht bereit waren, mit ihnen gemeinsame Sache in Libanon zu machen. Syriens Präsident Assad ließ sich nicht vor den politischen Karren der Christen spannen, er hatte seine eigenen Pläne für den Libanon entwickelt.

Die Christen hielten nach neuen Verbündeten Ausschau und fanden sie in den Israelis. Denn Tel Aviv fürchtete, daß bei einer Niederlage der Christen der Libanon ganz in die Hände radikaler moslemischer Linker und Palästinenser fallen würde und im Norden dadurch ein weiterer gefährlicher arabischer Gegner erstehen könnte. Israel begann die „Libanesen“ mit Waffen zu unterstützen und Truppenteile der Phalange auszubilden: Die Konfrontation zwischen Christen und Syrern war damit vorprogrammiert.

Syrien wartete offensichtlich einen günstigen Zeitpunkt ab, um gegen die christlichen Milizen losschlagen zu können. Letzten Endes ging es für Präsident Assad auch um sein Prestige innerhalb der arabischen Welt: Denn durch die Bindung Gemayels und Chamouns an Israel drohte das „christliche Libanon“ nicht nur zu einem engen Verbündeten Tel Avivs zu werden, die Auffassung christlicher Politiker und Angehöriger des maronitischen Klerus, der Libanon sei ein „Vorposten der Christenheit“, war für die arabisch-muslimische Welt auch ein Schlag ins Gesicht.

Assad sah den Zeitpunkt gekommen, als sich nach den Friedensgesprächen von Camp David ein Separatfrieden zwischen Israel und Ägypten abzeichnete. Denn diese Entwicklung wird es Israel letztlich ermöglichen, seine Feuerkraft auf Syrien und andere arabische Gegner zu konzentrieren. Zudem konnten die Israelis ihren christlichen Verbünde-

ten im Libanon nach Camp David nicht gut zu Hilfe kommen, weil eine israelische Aktion die ägyptischen Verhandlungspartner neuerlich in der ganzen arabischen Welt bloßgestellt hätte.

Wenn die Syrer durch diesen Feuerangriff auch militärisch nicht allzuviel Terrain gewinnen konnten und selbst einen hohen Bluttzoll zu zahlen hatten, einen Erfolg konnten sie verbuchen: Tausende Christen sind aus Beirut und aus dem Libanon nach Zypern geflohen, der christliche Bevölkerungsanteil schwindet.

Und offenbar will Assad in nächster Zeit die endgültige Entscheidung herbeiführen: Um die libanesische Hauptstadt sollen die syrischen Verbände ihre Artillerie während der Feuereinstellung wesentlich verstärkt haben. Die Abreise der Angehörigen der sowjetischen Diplomaten wird ebenfalls als ein Hinweis auf einen bevorstehenden Angriff ge wertet.

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