Wenn das Schlachten vorbei sein wird

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Nach Mossul wird auch die syrische Bastionen des IS, Rakka, fallen. Aber was kommt nach der Vertreibung der Terrormiliz? In Syrien gäbe es eine Chance auf Waffenstillstand und Frieden. Man sollte die Chance nutzen, selbst wenn man dabei mit Assad verhandeln muss.

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Nach Mossul wird auch die syrische Bastionen des IS, Rakka, fallen. Aber was kommt nach der Vertreibung der Terrormiliz? In Syrien gäbe es eine Chance auf Waffenstillstand und Frieden. Man sollte die Chance nutzen, selbst wenn man dabei mit Assad verhandeln muss.

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Mihemed Hesen war vor 2013 ein gut verdienender Maler in Rakka. Viele öffentliche Plätze wurden von ihm gestaltet. Mit Szenen des täglichen Lebens, lachenden Kindern und blühenden Landschaften. Dann ist der IS gekommen und Hesen musste fliehen. Seine Bilder wurden von den Kriegern des Islamischen Staates übermalt und mit Graffitis vom "Heiligen Krieg" des IS verunstaltet. Kurdische Peschmerga, die um die Befreiung Rakkas kämpfen, haben Hesen vor wenigen Tagen entdeckt, er arbeitete als Ziegenhirt in der Nähe der Stadt. Die Kurden haben ihm versprochen, dass er bald in seine Stadt zurückkehren könne. Hesen hat schon einen Plan: er will ein riesiges Bild über die Jahre der IS-Herrschaft malen. "Es soll von der Art sein wie Picassos Guernica".

So wie in Rakka geht es derzeit auch in Mossul im Irak, wo irakische Regierungstruppen den IS bereits zu einem großen Teil vertrieben haben. Überall kehren Menschen zurück und planen ihre Zukunft. Nur die Staatengemeinschaft der Befreier scheint keine zu haben. Tatsächlich müsste die Anti-IS-Koalition unter Führung der USA aber auch Russland und die noch verbliebenen Konfliktparteien längst ein Szenario entwickeln, was nach der Schlacht gegen den IS geschehen soll und wie ein solches Szenario mit einem umfassenden Frieden für ganz Syrien verbunden werden kann.

Radikal trockenlegen

Das betrifft zunächst die militärische Eroberung aller verbleibenden kleineren IS-Städte und Dörfer im Euphrat-Tal und die Trockenlegung aller möglichen finanziellen Ressourcen des IS, die der Gruppe ein ähnliches Comeback ermöglichen könnten wie schon 2010. Die finanzielle Schlacht muss auch von ehemaligen Geberländern des IS in der arabischen Welt mitgetragen werden. Der Emir von Katar und das neuerdings mit ihm verfeindete Haus Saud könnten bei den Finanzströmen hervorragende Aufklärung leisten.

Ehemalige IS-Sympathisanten sollten jedenfalls vor der Lynchjustiz der Rückkehrer geschützt und ordentlichen Justizverfahren überantwortet werden. Die alten Besitzverhältnisse müssen wieder hergestellt werden, damit es nicht zu einem neuen militärischen Konflikt um das kommt, was an Boden und Gütern noch übrig ist.

Peschmergas und ihre Grenzen

Das gilt vor allem für den Norden des Landes, der von kurdischen Bodentruppen befreit wurde, die nun der Versuchung widerstehen müssen, Land an sich zu reißen.

Weiters müsste die Regierung in Damaskus gemeinsam mit dem mit ihr verbündeten Russland und dem Iran ihr eigenes Schicksal klären und dem syrischen Volk ein Zukunftsangebot unterbreiten, das auch eine Lösung der Assad-Frage beinhaltet.

Sicher ist, dass es keinen dauerhaften Frieden zwischen den Parteien mit Bashar al-Assad geben kann, dass aber ein Abkommen ebensowenig ohne ihn ausgehandelt werden kann. In dieser Weise scheint sich nun auch die UNO vorzubereiten, wie das Volker Perthes von der Stiftung Wissenschaft und Politik angedeutet hat.

Die UN selbst aber auch die anderen Interessensgruppen und Bündnisse inklusive Saudi Arabien und Bahrain müssten von ihrer Rolle als Kriegsunterstützer auf der Seite sunnitischer, schiitischer, Rebellen- oder Regierungskräften abrücken und sich als einflussreiche diplomatische Pufferzonen verstehen, die regionale und nationale Konflikte dämpfen. Besonders in der Zeit nach einem eventuellen dauerhaften Waffenstillstand wird es davon Hunderte und Tausende solcher Streitfälle geben.

Die EU könnte beim Wiederaufbau eine entscheidende Rolle spielen, was den Aufbau rechtsstaatlicher Institutionen betrifft. Wenn in kurzfristiger Perspektive Ruhe in der syrischen Gesellschaft einkehren soll, dann nur über ein solches staatliches Fundament. Europa müsste dabei aber rasch handeln. Wenn es so zögerlich vorgeht, wie nach der Revolte in Ägypten, werden sich sofort die alten Strukturen wieder aktivieren. Dass es bei diesem Aufbau eines Rechtsstaates nicht um koloniale Herablassung geht, sondern um Krisenintervention von Syrern für Syrer sollte jeder dort tätig werdenden EU-Agentur extra eingebläut werden.

Die Rückkehr von Millionen

Diese rechtsstaatliche Basis sollte dann auch die Einladung an jene syrischen Bürger sein, die vor dem Krieg geflohen sind und nun vor allem in Europa leben. Es handelt sich da auch um den ehemals finanzkräftigen Mittelstand der Gewerbetreibenden. Sie können beim Wiederaufbau nicht nur helfen, sondern vielleicht schon aufgrund erworbener Sprachkompetenz und Kontakte wichtige ökonomische Verbindungen nach Europa herstellen. Dass das alles mit Milliardeninvestitionen verbunden sein wird, ist klar, aber vermutlich wird das politische Ringen viel mehr Energie in Anspruch nehmen, als das Aufstellen und Verwalten der Investitions- und Förderungsfonds.

Was Syrien ebenso wie die Kriegsgebiete des Irak dringend brauchen, sind Psychologen und Experten für traumatisierte Kinder. Die UN rechnet mit Millionen geschädigten Kindern in Syrien und im Irak. Wenn das Unternehmen Frieden für zumindest die kommende Generation funktionieren soll, wird es hier ansetzen müssen.

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