Die schwere Rückkehr ins Schlachthaus

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Im achten Jahr des syrischen Krieges kontrolliert das Regime in Damaskus wieder 60 Prozent des Landes. Die internationale Gemeinschaft denkt laut über die Rückkehr der Flüchtlinge und den Wiederaufbau nach. Doch wie sehen die Syrer ihre Zukunft in einem Nachkriegs-Syrien? Und welche Rolle kann Bashar al-Assad dabei spielen? Die Furche hat mit vier Syrern in Damaskus, Idlib, Qamishli und Paris gesprochen und nachgefragt, welche Herausforderungen sie für die Zeit nach dem Krieg sehen.

"Assad ist nur eine Figur, die von anderen gesteuert wird", sagt Hasan (Name von der Red. geändert). Der 54-jähriger Kurde spielt damit auf die militärischen und ökonomischen Abhängigkeiten an, in die sich das Regime verstrickt hat. Entscheidungen über ein zukünftiges Syrien könne Assad nicht ohne die Zustimmung Russlands treffen, so Hasan. "Die Leute bei uns nennen Lawrow daher den zweiten syrischen Außenminister."(Anm.: Sergei Lawrow ist der russische Außenminister). Hasan lebt in Qamishli, im kurdisch geprägten Nordosten Syriens, der sich bereits 2016 für autonom erklärte. Freilich ohne die Zustimmung von Damaskus. Durch die kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) konnten die Kurden im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) ihren Einfluss vom traditionellen Siedlungsgebiet im Norden in die Provinzen Raqqa und Deir ez-Zor im Süden ausweiten. Über diese Gebiete und ein zukünftiges autonomes Syrisch-Kurdistan verhandeln Vertreter der Kurden und das Regime in Damaskus. Auch Hasan sieht die Zukunft Syriens in einem föderalen Staat, bestehend aus selbstverwalteten Regionen. Noch sind US-Bodentruppen in den Gebieten östlich des Euphrat stationiert, die der kurdischen Sache Nachdruck verleihen können. "Wir wissen aber nicht, was passiert, wenn die USA abziehen und uns alleine lassen."

"Nichts anderes als ein ungeteiltes Syrien"

Rania Kisar ist Direktorin einer Schule in Maarrat al-Numan, ein Ort südlich von Idlib, in der gleichnamigen Provinz. Die Verhandlungen der Kurden mit dem Regime sieht sie kritisch, eine Schwächung des Zentralstaates zu Gunsten eines föderalen Syrien lehnt sie ab. "Wir werden nichts anderes als ein ungeteiltes Syrien akzeptieren", sagt sie. Kisar, die viele Jahre in den USA lebte, bevor sie 2011 zurück nach Syrien kam, setzt nach wie vor auf die Opposition. Regelmäßig nimmt sie an den Freitags-Demos teil, bei denen Hunderte den Abtritt Bashar al-Assads und ein Ende des Regimes fordern. Doch die entscheidenden Player im Syrienkonflikt haben sich darauf verständigt, dass Assad (vorerst) an der Macht bleibt. Sie gehen davon aus, dass ein großer Teil der fünf Millionen ins Ausland Geflüchteten zurückkehren werden, wenn erst einmal die Kampfhandlungen beendet sind und ein Mindestmaß an Stabilität einkehrt.

Schwierige Rückkehr

Amir (Name von der Red. geändert) hat Syrien zu Beginn des Konflikts verlassen. Bis vor einem halben Jahr war er in Dubai. "Natürlich werden die Flüchtlinge zurückkommen. Ich bin einer von ihnen und sehr froh über meine Entscheidung", sagt der 27-Jährige, der nach der Rückkehr in seine Heimatstadt Damaskus einen Friseur-Salon eröffnet hat. Ob er auch zurückgekommen wäre, hätte die Opposition die Kontrolle über Damaskus erlangt? "Eher nicht", sagt Amir, der nicht glaubt, dass die Opposition Willens oder geeint genug ist, um einen dauerhaften Frieden herzustellen. Adnan Hadad würde gerne nach Syrien zurück. "Aber nicht in Assads Schlachthaus", wie sich der 34-Jährige im Gespräch über WhatsApp ausdrückt. Der in Aleppo geborene Journalist lebt seit eineinhalb Jahren in Paris. Die meisten seiner syrischen Bekannten und Freunde im Exil würden ähnlich denken: "Bevor Assad weg ist, wird niemand zurückgehen." Sofern Assad überhaupt genug Geld für den Wiederaufbau bekomme, werde es Jahrzehnte dauern. Die Aussicht auf Arbeit sei schlecht. Eine der wenigen Möglichkeiten, genug Geld zu verdienen, um eine Familie zu ernähren, sei die Armee, die nach Jahren des Krieges dringend neue Soldaten benötige. "Dieselbe Armee, die verantwortlich für Hunderttausende Tote ist", sagt Hadad. Für jemand, der gegen das Regime revoltiert hat, dessen Familie und Freunde durch eben diese Armee verwundet oder getötet wurden, sei das keine Option. Zur ökonomischen Misere komme die Kontrolle und Überwachung der Bevölkerung unter Regime-Herrschaft. "Die Menschen im Exil und auch in den Oppositionsgebieten sind es inzwischen gewohnt, frei zu sprechen, ihre Meinung kundzutun", so der Journalist. Etwas, das unter dem Assad-Regime nicht möglich sei: "Die, die zurückkehren, müssen wieder in Angst vor Polizei und Geheimdienst leben."

Auch die Direktorin Kisar ist skeptisch: Sie glaube nicht, dass viele von denen, die jetzt in Europa sind, zurückkehren werden. "Vielleicht in zehn oder mehr Jahren, wenn sie mit ihrem neu erworbenen Wissen zum Aufbau Syriens beitragen können." Für sie selbst sei es undenkbar, unter der Herrschaft Assads in ihre Geburtsstadt Damaskus zurückzukehren. "Mein Leben wäre binnen Minuten zu Ende und ich bin sicher, sie würden mich mit Freude foltern, bevor ich umgebracht werde."

"Erst Regierung, dann der Wiederaufbau"

Der nach Damaskus zurückgekehrte Amir ist zuversichtlich, was den Wiederaufbau seines Landes anbelangt: "Ich denke nicht, dass unsere Regierung irgendwelche Schwierigkeiten haben wird, die zerstörten Gebiete wieder aufzubauen." Er weiß, dass Iran und Russland bereits Hilfe zugesagt haben. Ob und unter welchen Bedingungen Europa in den Wiederaufbau investieren wird, ist noch offen. Doch von anderer Seite gibt es bereits grünes Lichtes: "China wird die größten Investitionen in den zerstörten Gebiete tätigen", ist Amir überzeugt. Zwei Milliarden US-Dollar hat China bisher zugesagt, weitere Milliarden in Aussicht gestellt.

Der Kurde Hasan möchte an den Wiederaufbau noch nicht denken: "Es braucht zuerst eine politische Lösung mit dem Regime und der Opposition." Doch die Wiederherstellung der Infrastruktur ist nur ein Teil des Weges hin zu einem neuen Syrien. Wichtig sei in erster Linie eine neue Mentalität der Regierenden. "Seit Frankreich sich aus Syrien zurückgezogen hat, lebten die Politiker nur ihre Macht. Sie sahen sich als Chefs und die Bevölkerung als ihre Angestellten", sagt Hasan. Die Idee, etwas zum Wohle Syriens zu tun, sei sehr schwach ausgeprägt. Die Opposition sei da nicht anders. "Sie sind gegen Assad, um selbst an die Macht zu kommen, nicht, weil sie sich für ein besseres Syrien einsetzen wollen."

Maarrat al-Numan, wo Rania Kisar die Schule leitet, ist, wie so viele Städte Syriens, ein Trümmerfeld. "Auf uns warten zahlreiche Herausforderungen", ist Kisar überzeugt. Dennoch:"Wenn es Länder wie Frankreich und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg geschafft haben, warum sollte es Syrien nicht schaffen?" Die Arbeitskräfte, um das Land wieder aufzubauen, seien vorhanden und Syrien reich an Rohstoffen."Wir brauchen jemand, der uns dabei mit seinem Wissen und seiner Erfahrung unterstützt, ohne uns seine politische Ideologie aufzuzwingen, oder unser Land und unsere Bodenschätze zu stehlen." Kisar wünscht sich, dass Europa dabei eine größere Rolle spielen würde. Und noch eine Botschaft: "Ihr müsst an diese Menschen glauben."

Szenen des Kriegs

In der Stadt Idlib versammeln sich Bewohner um den Schauplatz eines Bombenattentats. Rechts: Ein russischer Soldat auf Kontrollgang an der syrisch-jordanischen Grenze.

Trost von Fremden

Die russischen Truppen helfen dem Regime nicht nur mit Bomben und Spezialeinheiten aus, sie versorgen Schulen auch mit Fähnchen der Freundschaft, wie in Deir Ez-Zor. Appell auf dem Schulhof.

Menschen im Exil und auch in den Oppositionsgebieten sind es inzwischen gewohnt, frei zu sprechen. Nach einer Rückkehr müssten sie wieder in Angst leben.(Adnan Hadad, Journalist)

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