Mit Einheit gegen den Bürgerkrieg

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Während in vielen Teilen Syriens der Bürgerkrieg immer stärker zu einer Auseinandersetzung der Religionen wird, verteidigen in Rojava Kurden und Christen ihr Zusammenleben.

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Während in vielen Teilen Syriens der Bürgerkrieg immer stärker zu einer Auseinandersetzung der Religionen wird, verteidigen in Rojava Kurden und Christen ihr Zusammenleben.

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Abjar Mussa ist mit der europäischen Flüchtlingspolitik unzufrieden. Im Büro der 2005 im Untergrund gegründeten Suryoye Einheitspartei (Hizb al-Ittihad al-Suryani) in Dêrik schimpft der lokale Parteichef der erst seit 2011 an der Öffentlichkeit arbeitenden Partei der aramäischsprachigen christlichen Minderheit auf die Migrationspolitik der EU: "Wollt ihr wirklich alle Christen hier zur Auswanderung drängen? In den letzten Jahren habt ihr massiven psychologischen Druck ausgeübt nach Deutschland oder Österreich auszuwandern. Aber das ist keine Lösung. Wollt ihr wirklich, dass wir unser angestammtes Heimatland räumen?"

Dass die österreichische Bundesregierung insbesondere christliche Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen will, stößt dem energischen Mann besonders negativ auf: "Wir sind hier in Kurdistan sicher. Wir können unsere Sprache sprechen und wir wollen nicht, dass alle ihre Heimat verlassen. Wollt ihr wirklich dazu beitragen, dass die Suryani aus ihrem Land vertrieben werden?"

Arabisierungsdruck

Knapp die Hälfte der 26.000 Einwohner von Dêrik sind Christen. Die meisten davon sprechen Suryoye, einen Dialekt des Neuaramäischen, also ein später linguistischer Nachkomme der Muttersprache Jesu. Während in den arabischen Städten viele dieser Christen in den letzten Jahrzehnten arabisiert wurden, sprechen sie hier noch ihre Muttersprache. Wie die mit ihnen in der Region lebenden Kurden waren auch sie unter dem arabischnationalistischen Baath-Regime einem starken Arabisierungsdruck ausgesetzt.

Der auf ein nahe gelegenes Kloster verweisende Name Dêrik wurde im Zuge dieser Arabisierungspolitik nach dem baathistischen Offizier Adnan al-Malki in al-Malikiya umbenannt.

Der kurdische und aramäische Name stammt allerdings eigentlich auch aus dem Arabischen und leitet sich vom Arabischen Deir für "Kloster" ab. Gemeint ist damit das alte Kloster von Barabaita einige Kilometer nordöstlich der Stadt, dessen Kirche zu den ältesten Kirchen der Region zählt. Erst die seit dem Abzug der Regierungstruppen 2012 etablierte Autonomie in Rojava, wie die Kurden Syrisch-Kurdistan nennen, hat auch ihnen neue Freiheiten und kulturelle und sprachliche Entfaltungsmöglichkeiten gebracht.

Für die Sicherheit in Dêrik sind heute nicht nur die kurdischen Polizistinnen und Polizisten, die Asaish, und die von der PKK-Schwesterpartei PYD gegründeten Volksverteidigungseinheiten YPG, eine Art Armee des sich entwickelnden zweiten kurdischen Para-Staates, verantwortlich, sondern seit Oktober 2013 auch die Sutoro, eine eigene Polizeieinheit der Suryoye. Im Frühling 2013 hatten sich die ersten Einheiten der Polizeieinheit in der informellen Regionalhauptstadt Qamishli und einigen Städten mit christlicher Minderheit gebildet.

Heute kommandiert Fady Jakub seine Polizisten in enger Absprache mit den kurdischen Asaish.

Auch er ist ungehalten über "die Bevorzugung der Christen" bei der Auswanderung nach Deutschland und Österreich. Nun hätten seine Leute schließlich Waffen und würden ihre Existenz auch auf syrischem Boden verteidigen können.

Verständnis und Furcht

Lediglich der Pfarrer der syrisch-orthodoxen Kirche Murad Murad, sieht die Situation etwas differenzierter. Er ist zwar stolz auf seine erst kurz vor Beginn des Bürgerkrieges fertiggestellte neue Kirche, an der ein großes Plakat zum Gebet für zwei entführte Bischöfe seiner Kirche aufruft, allerdings versteht er auch, dass sich die Angehörigen seiner Gemeinde fürchten. "Es gibt Gegenden in Syrien wo sich die Christen zu Recht fürchten und es ist gut, dass ihr diese in Europa aufnehmt. Aber hier in Dêrik sind sie sicher und ich verstehe nicht ganz warum die jungen Leute ausgerechnet von hier weggehen wollen."

Jedoch nicht nur die jungen Leute suchen ihr Glück in Europa. Der für seine Pfarrgemeinde zuständige Erzbischof der Erzdiözese von al-Hasaka und der Jezira, Mor Eustathius Matta Roham, ist bereits im vergangenen Frühling nach Drohungen jihadistischer Gruppen nach Österreich geflohen.

In Dêrik leben jedoch nicht nur aramäischsprachige Christen, sondern auch Armenier, die sich nach dem Genozid von 1915 über der neuen Grenze im französischen Protektoratsgebiet Syrien niedergelassen haben.

Ihr Pfarrer Dajad Akobian spricht neben seiner Muttersprache Armenisch noch Arabisch, Türkisch, Kurdisch, Englisch und Deutsch. Akobian betont das gute Zusammenleben mit Kurden und Suryoye in der Stadt: "Nie ging es uns besser als heute!" Akobian betont allerdings, dass dies nicht für alle Armenier in Syrien gelte. Dort wo der "Islamische Staat des Iraq und Großsyriens" (Daash) oder andere jihadistische Gruppen das Sagen hätten, wäre tatsächlich die Existenz der armenischen Gemeinden bedroht. Die Auswanderung nach Europa wäre aber auch für diese Armenier kein Thema. Wenn sie auswandern würden, dann nach Armenien.

Deutlich diplomatischer äußern sich die Vertreter der armenisch-apostolischen Gemeinde in Qamishli, der größten Stadt des de facto autonomen Kurdengebietes Rojava, aus der sich das Regime nie ganz zurückgezogen hat. Der Flughafen, das arabische Viertel und einige Amtsgebäude sind weiter unter Kontrolle syrischer Einheiten. Im Stadtzentrum existiert eine komplexe Koexistenz zwischen Regime und der kurdischen PYD.

Geflohene Armenier

Im Büro der armenisch-apostolischen hängt ein Bild von einer Begegnung ihres Erzbischofs mit dem Vater des heutigen Präsidenten. Politisch will sich Thomas Thomasian, der für die Außenbeziehungen der Gemeinde zuständig ist, allerdings in keinster Weise festlegen.

Fast ein Drittel der Armenier hätten seit 2012 die Stadt verlassen. Trotzdem glaubt er an einen Weiterbestand seiner Gemeinde: "Wer auch immer an die Macht kommt, wird uns Armenier brauchen. Wir waren immer gebildete und fleißige Unternehmer. Das weiß die Regierung, das wissen die Kurden und auch die Muslimbrüder."

Die einst 3000 Mitglieder zählende jüdische Gemeinde von Qamishli muss sich darüber keine Sorgen mehr machen. Der letzte bekannte Jude ist im Herbst verstorben. Nur noch die Synagoge und die einstigen Geschäfte, von denen eines noch immer "Ezra" heißt aber längst von einem Muslim betrieben wird, zeugen von der einst blühenden Gemeinde.

Kämpfe und Tote

Sehr real ist die Gefahr hingegen für die Yezidi, Angehörige einer synkretistischen kurdischen Religionsgemeinschaft, die über Jahrhunderte hinweg von konservativen Muslimen als "Teufelsanbeter" denunziert und verfolgt wurden. Nach Auseinandersetzungen der kurdischen YPG mit Einheiten der Freien Syrischen Armee und der jihadistischen Jabhat al-Nusra um die Stadt Serê Kaniyê, wurden gezielt yezidische Dörfer verwüstet und Yezidis ermordert. Umso dankbarer sind die Überlebenden der YPG, die ihre Siedlungen nun gegen jihadistische Angriffe schützt.

Sheikh Ibrahim, der Vorsitzende des Mala Êzîdîya, einer ezidischen Dachorganisation, betont allerdings ähnlich wie die christlichen Vertreter seine Entschlossenheit zu bleiben: "Wir wollen nicht, dass alle von hier fliehen!" Auch von den Funktionären des Mala Êzîdîya wird Europa wegen einer zu offenen Flüchtlingspolitik kritisiert. Erst unter vier Augen erzählt dann auch mancher Funktionär von Söhnen, Töchtern, Neffen und Nichten, die längst in Deutschland oder Österreich Zuflucht gefunden haben.

Der Widerspruch zwischen der Suche nach individueller Sicherheit und Glück und der Verantwortung für das Kollektiv kann in einer solch ungewissen Zukunft nicht aufgelöst werden. Noch gelingt es in Syrisch-Kurdistan aber Muslimen, Christen und Yezidi gemeinsam ihr friedliches Zusammenleben zu verteidigen.

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