"Frieden ist noch möglich“

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Der Theologe und Friedensaktivist Waseem Haddad über den Bürgerkrieg in Syrien, die Militärintervention der USA gegen das Regime Assad und die Möglichkeiten einer politische Lösung.

Das Gespräch führte Anna Steiner

Während die USA sich um einen Militräschlag gegen das syrische Regime bemühen, setzen Friedensorganisationen auf einen innersyrischen Dialog. Eine friedliche Lösung für Syrien sei möglich - vorausgesetzt, die oppositionellen Gruppen einigen sich, sagt beispielweise der syrische Theologe und Aktivist Waseem Haddad.

Die Furche: Als Mitglied der internationalen und interreligiösen Friedensinitiative "Peace In Syria“ treten Sie für eine politische Lösung des Konfliktes ein. Wie soll diese aussehen?

Waseem Haddad: Die Idee der Initiative ist, auf der Ebene der Zivilgesellschaft zu beginnen, und dort zu deeskalieren. Parallel zum Krieg muss man versuchen, den Krieg zu minimieren. Es ist unrealistisch, im ganzen Land einen Waffenstillstand zu schaffen - man muss auf lokaler Ebene damit anfangen. Die erste Lösung ist die Bildung einer einheitlichen oppositionellen politischen Gruppe, die Macht und Einfluss hat. Dazu muss man die bewaffneten islamistischen Gruppierungen entmachten. Wir sprechen von einer politischen Lösung, aber es wird lange dauern.

Die Furche: Ist eine friedliche Beendigung des Syrien-Krieges zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt noch realistisch?

Haddad: Die Initiative allein wird nie eine Lösung schaffen. Aber es ist wichtig, auch auf zivilgesellschaftlicher Ebene etwas zu tun. Nach zwei Jahren ist die syrische Bevölkerung am Ende. Die Lebensmittelpreise haben sich seit den Drohungen der USA verdreifacht. Es besteht die Gefahr, dass der Eingriff des Westens den Hass und die Spaltung noch tiefer macht. Hier müssen wir ansetzen. Auf der letzten Tagung unserer Initiative im Mai waren auch Vertreter der Muslimbrüder. Es ist wichtig, dass sie dabei sind. Mit ihnen kann man reden, sie haben ein politisches Programm.

Die Furche: Das heißt, in die Initiative für eine politische Lösung sind auch Islamisten eingebunden?

Haddad: Nein - nicht die Dschihadisten oder Al-Qaida. Hier ist kein Dialog möglich. Die Muslimbrüder in Syrien sind anders. Seit zwei Jahren sitzen wir mit ihnen gemeinsam am Tisch. In Syrien sind sie keine allzu starke Gruppe - sie wurden dort selbst barbarisch verfolgt. Ein Teil von Aleppo etwa wurde zerstört als Hochburg der Muslimbrüder. Wie weit sie mit der Initiative mitgehen werden, wissen wir nicht. Aber sie wollen sich daran beteiligen. Sie haben klar und deutlich gemacht, dass die Lösung eine politische sein wird. Wir arbeiten auch in Wien zusammen - viele syrische Muslimbrüder sind ja in Wien. Man muss versuchen, mit möglichst vielen eine Lösung zu finden - auch innerhalb des Regimes. Syrien, Qatar, der Iran - alle können Syrien beeinflussen. Sie können Waffenlieferungen stoppen. Wenn sie einig darüber sind, eine politische Lösung zu finden, können sie das. Man muss die Konfliktparteien in Syrien zwingen, an einem Tisch zu sitzen. Ich glaube, dass die ausländischen Mächte in der Lage sind, das zu tun.

Die Furche: Welche Rolle spielt Israel im Konflikt?

Haddad: Israel hat sich in den letzten beiden Jahren nicht in die Konflikte der arabischen Welt eingemischt. Es hat Interesse an einem instabilen Syrien, allerdings hat es kein Interesse daran, dass Islamisten an die Macht kommen. Die Wahabiten stellen keine Gefahr dar für Israel, auch mit den Muslimbrüdern konnte man. Aber was macht Israel mit den Anhängern von Al-Qaida?

Die Furche: Befürchten Sie ein Dritte-Weltkrieg-Szenario in Folge des Syrien-Konfliktes?

Haddad: Nein. Aber tatsächlich ist der Konflikt nicht nur eine Gefahr für Syrien, sondern für die ganze Welt. Syrien ist eine Sammelstelle geworden für alle möglichen Dschihadisten der Welt. Wir haben hunderte von verschiedenen Gruppierungen, die oft gegeneinander arbeiten. Es gibt auch Kämpfer aus Großbritannien oder Belgien, sogar 30 Österreicher. Eine tschetschenische Gruppe etwa ist für ihre Grausamkeiten bekannt. Die globale Gefahr, die von Syrien ausgeht, ist die des Terrorismus. Wenn der Konflikt beendet ist - wohin werden die Dschihadisten dann gehen? Sie werden sich auf einen anderen Weg machen. Gekämpft haben sie ja bereits in Somalia, Irak oder im Jemen, und jetzt sind sie in Syrien. Wenn dieser Konflikt beendet ist, dann werden sie weitermarschieren. Sie werden zurückkommen nach Europa.

Die Furche: Was wünschen Sie sich für Ihr Land in diesem Moment, angesichts einer drohenden ausländischen Militärintervention?

Haddad: Das mag jetzt vielleicht verwundern, aber ich persönlich hoffe auf einen Militärputsch. Das Land zerfällt! Es geht jetzt, in diesem Moment, nicht mehr um Demokratie und Freiheit - darauf kann man später hinarbeiten. Assad soll vom Militär gestürzt werden, damit ein US-Angriff vermieden werden kann.

Die Furche: Besteht dann nicht die Gefahr, dass in Syrien dasselbe passiert wie in Ägypten?

Haddad: Ich bin kein großer Fan des ägyptischen Militärs oder von as-Sisi, aber es war die einzige Lösung. Die Ägypter werden weiterkämpfen und nicht akzeptieren, dass das Militär die Macht beibehält. Diese zweite Ebene der Revolution ist schwierig - man muss weitermachen. Man kann die arabischen Völker nicht mehr beherrschen, so wie man es vorher gemacht hat. Das ist schon vorbei. Das Militär in Syrien ist schwach. Es wird Teil einer Übergangsphase sein und wird die Opposition brauchen. Wir müssen realistisch sein: Wenn der Westen angreift und Assad nicht gestürzt wird, geht der Krieg weiter.

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