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War Mobutu ein schlechter Mensch?

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Mobutus handelte in traditioneller afrikanischer Königsmanier. Wird der neue Machthaber Kabila dieser Versuchung wiederstehen können?

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Mobutus handelte in traditioneller afrikanischer Königsmanier. Wird der neue Machthaber Kabila dieser Versuchung wiederstehen können?

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Blut in Strömen begann vor 37 Jahren im Kongo zu fließen. Es war die Zeit des mysteriösen Todes von UNO-Generalsekretär Hammarskjöld, der Ermordung von Premierminister Lumumba, die Zeit der Söldner und ihrer Schlächtereien. Von Mobutu wurde mit ihrer Hilfe die Ordnung wiederhergestellt. Heute ist der Kongo pleite, Mobutu ein reicher Mann. War Mobutu ein schlechter Mensch?

Keineswegs, scheint mir. Die Methoden Mobutus sind in traditioneller afrikanischer Mentalität verankert. Während im Klansystem vom Klanvorsteher wichtige Entscheidungen nicht ohne Zustimmung der Erwachsenen getroffen werden, ist im Königtum, also dem Zusammenschluß verwandter Klane, der König Herr über Leben und Tod und alle Ressourcen seines und unterworfener Stämme. Das stammt daher, daß Zusammenschlüsse von Klanen zu Stämmen einst nur in Kriegszeiten möglich waren, und da galten Ausnahmegesetze. Mobutu handelte wie „Kaiser” Bo-kassa, wie Idi Amin, also systemkonform moralisch, wenn er den Kongo zum eigenen und zum Vorteil seines Klans ausplünderte. Für viele traditionelle Afrikaner war und ist die Partei westlicher Konzeption eine Art von Königssystem in moderner Form. Wie tief diese Archetype im Unterbewußtsein der Menschheit sitzt, zeigten Ceausescu für Europa und Kim II Sung für Asien. Auch der hochgelobte Tshisekedi ist bekannt für diese traditionelle Haltung.

Waffen gegen Gold

Der 1963 von Pierre Mulele ausgelöste Aufstand gegen Mobutu brach nicht nur wegen der überlegenen Kriegstechnik der Söldner zusammen. Das Problem lag bei den Führern der Revolution, die sich ebenfalls nicht von dieser Tradition lösen konnten. Die Sowjets waren damals bereit, Waffen gegen Gold zu liefern, doch nach den ersten beiden Lieferungen über den Sudan blieb das Gold in den Taschen der Neokönige Soumialot und Gbenye hängen und so gab es keine Waffen mehr.

Nur Kabila und seine Freunde konnten sich von dieser Versuchung frei halten. Ende der siebziger Jahre übernahmen sie in einem unzugänglichen Gebiet bei den Vulkanen Fizzi und Raraka in 2.000 Metern Höhe am Tanganjikasee ein dahinsiechendes Widerstandsnest. Ein kleines Goldvorkommen finanzierte das Überleben und diente als Kapital für eine rege kommerzielle Tätigkeit.

Nach den Erfahrungen mit Parteien europäischen Mustersyversuchten sie erst gar nicht, politische Organisationen im Untergrund aufzubauen. Bekannte Persönlichkeiten gingen ins Exil. Sie und vor allem die Angehörigen der folgenden Generation im Inneren wurden Geschäftsleute. Die geschäftlichen Verbindungen mit Gleichgesinnten über das ganze Gebiet Zaire/Kongos und die umliegenden Länder hinweg ersetzten verletzliche Parteistrukturen, die dazu stets in interne Vorherrschaftskämpfe zwischen Möchtegern-Königen ausarteten. Als Geschäftsmann dagegen war jeder Sympathisant für sich selbst verantwortlich, wobei das Netz von Freunden auch den Geschäften dienlich war.

Für Reporter war diese Nicht-Organisation kaum verständlich. Wenn sie einer wirtschaftlich tätigen oppositionellen Persönlichkeit begegneten, sahen sie einen Mann, der Geschäfte in der Parallelwirtschaft tätigte, also seine Ideale bereits aufgegeben hatte. Doch dieses Netzwerk trug entscheidend zum widerstandslosen Vormarsch der zu Fuß daherkommenden Soldaten Kabilas bei.

Die offizielle Wirtschaft nach unserem Industriestandard brach schon vor Jahren zusammen. Für Mobutu und seine unmittelbare Gefolgschaft waren nur die großen Rohstoffproduzenten interessant, wie die Kupfer-, Kobalt-, Uran-, Gold- und Diamantkonzerne. Hier lagen die Möglichkeiten für Mobutu, Milliarden abzuzweigen. Ein Teil der Exporte wurde über Strohfirmen auf Spotmärkten verkauft, der Erlös war Reinertrag, denn Produktionsspesen wurden über die normale Buchhaltung verrechnet. Diese Summen wurden zwischen Präsident und Konzernen geteilt.

Journalisten bekommen ihre Informationen von Angehörigen einer Schicht, mit der man verständlich reden kann, also Menschen mit Schulbildung. Das sind meist Angehörige der öffentlichen Verwaltung, des Unterrichtswesens, der Armee und des Gesundheitssystems, deren Einkommen aus einem Staatsapparat kommen sollte, der nicht mehr funktioniert. Dort, wo Budgets für minimale Gehälter freigemacht wurden, blieben die Gelder auf Direktorsebene oder höher hängen. Den Staatsangestellten geht es wirklich schlecht.

In Zaire/Kongo herrscht heute außerhalb der Städte keine Not. Auf einem Gebiet groß wie Mittel- und Westeuropa hat sich eine Binnenwirtschaft auf Grundlage der lokalen Boden- und Handwerksressourcen entwickelt. Das, was man als Parallel-Wirtschaft bezeichnet, macht um die 90 Prozent aller wirtschaftlichen Tätigkeit aus. Statistiken, wie etwa „Pro-Kopf-Einkommen” oder „Bruttosozialprodukt” sind irrelevant. Nach ihnen müßte die Hälfte der Bevölkerung verhungert sein.

Maoismus?

Kabila und seine Freunde haben dieses ganze unwahrscheinliche System über den Haufen geworfen. Was nun? Ganz genau weiß es niemand, auch sie selber nicht. Die Reporter sind böse, weil er selbst nicht zu sprechen ist und seine Sprecher ihnen nicht erklären können, was er tun wird. Sie vermuten Maoismus hinter ethischen Erziehungskampagnen, Einschränkung der persönlichen Freiheit angesichts einer moralischen Überwachung durch die Nachbarschaft. Doch das entspricht den Methoden der seriösen neo-christlichen Kirchen wie des Kimbangismus. Vor den Gestern-noch-„Rebellen” steht heute ein Volk voll guten Willens. Wie sich immer wieder beobachten läßt, sind Afrikaner ebenso höchst moralisch, doch glauben müssen sie können. Rei Umstürzen wandeln sich viele Sauli in Pauli und das in voller Überzeugung. In ähnlichen Situationen in Rrazza-ville blieb versehentlich mein Wagen eine Stunde lang offen vor der Hauptpost stehen, ohne daß auch nur das geringste fehlte. Ein Sägewerksbesitzer erzählte, daß eines Morgens Leute der Nachbarschaft mit einem Dieb daherkamen. Sie hatten ihn nachts mit gestohlenen Rrettern aufgehalten, ihm eine Moralpredigt gehalten und gezwungen, die Bretter zurückzubringen. Aber sowie der „Kopf des Fisches zu faulen” begann, wechselten sie genau so schnell wieder zurück. Keine Frage mehr, einen Wagen offen stehen zu lassen und nach zehn Minuten noch etwas zu finden.

Resonders hart angegriffen wird Kabila wegen der „Ermordung der Flüchtlinge”. Tatsächlich findet ein Kleinkrieg statt zwischen Flüchtlingen und Revölkerung. Verständlicherweise versuchen die Flüchtlinge, für die es ums Überleben geht, Lebensmittel auf den Feldern der Dörfler zu stehlen, ebenso verständlicherweise versuchen die Dörfler, für die es ebenfalls ums Überleben geht, ihre Felder zu verteidigen. Den Flüchtlingen helfen die bewaffneten Hutu-Milizen, den Dörflern die Soldaten. Die Scharmützel fordern viele Opfer. Leider wird die Existenz der Milizen in den Berichten weitgehend ausgeklammert. In ihnen gibt es nur Hutufrauen und -kinder. Wie es konkret zugeht, zeigt ein Bericht aus dem Dorf Rasese bei Kisangani: Am

20. April wurden sechs Dörfler auf ihren Feldern erschossen. Zwischen

21. und 23. griffen die Dörfler mit Hilfe von Soldaten das nahe Lager an und töteten 20 Flüchtlinge („Liberation”, 20. Mai 1997).

Noch läßt sich nichts über die nächste Zukunft sagen. Der Staatsapparat funktioniert nicht mehr. Die Rassen sind ratzekahl geplündert. Politische Organisationen in unserem Sinn gibt es keine. „RönigsanWärter” vom Typ Tshisekedi werden um ihre Ghance kämpfen. Auf der positiven Seite steht die Tatsache, daß die Rongolesen bisher eigentlich ohne staatliches Zutun mit dem Überleben fertig wurden. Nicht für das unmittelbare Überleben der Menschen sorgen zu müssen, gibt der neuen Begierung Zeit für tiefergehende Reformen. Entscheidend aber wird die künftige Haltung von Rabila sein. Wird er der Versuchung widerstehen, sich selber zum traditionellen Rönig aufzuschwingen?

Das Reispiel Musevenis in Uganda zeigt jedenfalls, wie es heute in Afrika auch anders gehen könnte. Er hat als ersten Schritt in einer längeren Entwicklung das traditionelle Prinzip der demokratischen Verwaltung des Rlans auf die nächsthöhere Ebene gezogen. Das scheint insofern zu funktionieren, als es sich in die afrikanische Lebenslogik einfügen läßt. Doch Uganda ist klein, Kongo dagegen groß wie ganz Mittel- und Westeuropa ...

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