Diktatur ist nicht nur böse

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Nicht jeder zahlt drauf in einer Diktatur. Bei weitem nicht jeder ist deshalb dagegen.

Kein Diktator regiert allein. Kein Diktator kann nicht auch auf eine ansehnliche Zahl von Unterstützern bauen. Kein Diktator bedeutet nur Unfreiheit, sondern für viele Menschen bedeutet gerade ein repressives Regime ein Mehr an Möglichkeiten und Lebenschancen. "In diktatorischen Regimes gegen etwas zu sein, bedeutet auch immer, etwas zu riskieren. Da wägt man ab, ob man unter der Repression und den Zuständen so stark leidet, dass man sagt, man schreitet zur Aktion." So formuliert Walter Manoschek, Vorstand des Instituts für Staatswissenschaft und vergleichende Gesellschaftswissenschaft der Universität Wien, das Phänomen der oft großen untätigen, wenn nicht gar zustimmenden, Menschenmassen in Diktaturen.

Tyrannis = Zusammenbruch

Genau diese Zustimmung zu autoritären Systemen ist für die meisten Menschen in westlichdemokratisch regierten Staaten ein unerklärliches Phänomen. Die Diktatur und ihre Erfolgsgeschichte ist aber eine Erscheinung, so alt wie die Menschheit selbst. Der griechische Philosoph Platon beschreibt im achten Buch seiner politischen Grundsatzschrift "Politeia" die Entwicklung der Staaten: Als Idealzustand bezeichnet Platon die Herrschaft der Besten, die Aristokratie. Danach kommt für ihn die Herrschaft der Besitzenden, die Timokratie, dann die Oligarchie, die Herrschaft von Wenigen, und als vorletztes die Volksherrschaft, die Demokratie. Gestrauchelt aber ist ein Staat, wenn es zur Tyrannis kommt - für Platon der totale Zusammenbruch des "gesunden" Staates.

Ist für Platon die Tyrannis die schlechteste Form des Staates, so wurde durch die Geschichte herauf doch immer wieder der Ruf nach dem starken Mann laut. Zur Zeit der römischen Republik gab es durch die Verfassung legitimierte Diktatoren. Vom Senat genehmigt, konnten sie in Ausnahmesituationen wie Bürgerkrieg oder äußerer Bedrohung auf Zeit eingesetzt werden. Die zeitliche Beschränkung, kombiniert mit einer Einschränkung ihrer Rechte - Diktatoren waren nur betreffend des Problems, weswegen sie gerufen wurden, handlungsbefugt - stellen den größten Unterschied zu Diktaturen der Neuzeit dar.

Möglichst wenig Repression

Für Walter Manoschek bedeutet Diktatur nicht unbedingt, dass es in der Bevölkerung automatisch keinerlei Zustimmung zum vorherrschenden System gibt - trotz aller Probleme, unter denen Menschen in derartigen Systemen leiden. Wenn die Bevölkerung im Wesentlichen mit der ökonomischen Entwicklung zufrieden ist und vorher keine ausgeprägten demokratischen Strukturen vorhanden waren, sei es wahrscheinlich, dass ein Regime auch von vielen unterstützt wird: "Wenn man Kuba mit anderen lateinamerikanischen Staaten vergleicht, so gibt es dort noch immer ein Sozialsystem, das bei weitem besser ist, als in den anderen Ländern. Es gibt also auch in Diktaturen Entwicklungen, die nicht nur negativ für die Bevölkerung sind", sagt Manoschek. Auf lange Sicht ist es für Diktaturen aber nur möglich, sich mit Hilfe von Repressalien an der Macht zu halten. "Ein wesentliches Moment ist es, die Staatsbürger soweit ruhig zu halten, dass das System nicht gefährdet ist - und das mit möglichst geringer Repression, das ist das Sicherste."

Korruption stützt Diktatoren

Auch die Verteilung von ökonomischen Vorteilen an die am Machterhalt beteiligten Gruppen sind Bedingung für das Funktionieren von Diktaturen. Diverse Begünstigungen, eine Art Korruptionswirtschaft für kleine Gruppen, gehen mit derartigen Regimes einher, fügt der Staatswissenschafter hinzu. Die Überwindung einer Diktatur ist meist nur unter größten Anstrengungen möglich. Denn ist erst einmal das jeweilige Regime - friedlich oder mit Waffengewalt - gestürzt, beginnen erneut andere Probleme.

Die wichtigste Frage auf dem Weg Richtung Demokratie lautet: Wie gelingt es, alte Strukturen durch neue, stabile zu ersetzen? "Um rasch Stabilität herzustellen ist es besonders wichtig, dass die internationale Gemeinschaft unterstützend eingreift", sagt Manoschek. Essenziell ist für ihn, den Menschen in Post-Diktaturen positive Zukunftsaussichten finanzieller und politischer Art zu bieten, beispielsweise durch die Aufnahme in internationale Organisationen.

Am Beispiel der osteuropäischen Staaten zeigt sich die Ausbildung demokratischer Strukturen besonders eindrucksvoll: Vor gut 15 Jahren war deren zukünftige Entwicklung keineswegs absehbar. Heute, im Rückblick, ist aber klar, wie anspornend und stabilisierend allein die Aussicht auf Aufnahme in die eu wirkte und wie diese Perspektive im Fall Bulgariens, Rumäniens oder anderer Balkanstaaten immer noch wirkt.

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