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Wolken uber Spanien

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Seitdem der internationale Tourismus, mit einiger Verspätung, das Land südlich der Pyrenäen „entdeckt“ hat, wächst von Jahr zu Jahr der Strom der Besucher, die dann die Kunde von dem vielen Schönen, ja Einmaligen, das sie gesehen und erlebt, oder auch von den vielen Mängeln und Rückständigkeiten, die ihnen aufgefallen waren, daheim verbreiten. Trotzdem sind das Interesse und das Verständnis für den Kern der spanischen Dinge im allgemeinen bedauerlich gering geblieben. Erst jetzt, unter dem Eindruck der auch das spanische Protektoratsgebiet umfassenden Ereignisse in Nordafrika, und mehr noch durch die jüngsten, in ihrer Ausdehnung ungewöhnlichen Streikbewegungen in den spanischen Industriebezirken ist das komplexe Problem Spanien näher in das Blickfeld der Weltöffentlichkeit gerückt: wobei freilich auch heute noch die richtige Wertung vielfach durch dieselben Vorurteile und Ressentiments behindert wird, die zur Zeit des Bürgerkrieges 1936 bis 1939 das klare Bild des Geschehens end seiner Hintergründe mit einem dichten Nebel verhüllten.

Jenes blutige Ringen hat über eine Million Menschenleben gefordert; nicht mitgerechnet Zehntausende in die Fremde verschleppter Kinder und Hunderttausende von Emigranten, die dem Lande dauernd verlorengingen. Spanien' industrielles und kommerzielles Potential -war weitgehend zerstört, Tausende von Dörfern und ganze Städte, wie Teruel oder Brunete, waren buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht, die staatlichen Goldreserven und unschätzbare andere Werte mit den Parteigängern des unterlegenen Regimes verschwunden: es fehlte an Arbeitskräften und an materiellen Mitteln jeder Art, um das verwüstete Land zu neuem Leben zu erwecken. Und dabei war an Hilfe von auswärts nicht zu denken. In der kriegsschwangeren Atmosphäre des Sommers 1939 hatten die finanzstarken Mächte des Westens andere Sorgen, als sich um die Nöte eines Landes zu bekümmern, dessen neue Regierung sie im Verein mit dem überwiegenden Teil der öffentlichen Meinung als illegal und mit womöglich noch geringerer Sympathie betrachteten als den Faschismus Mussolinis oder das diktatoriale System Hitlers. Diese Haltung milderte sich auch nach Ende des Weltkrieges nicht. So blieb Spanien bei dem schweren Werk seines Wiederaufbaues ausschließlich auf seine eigenen Ressourcen angewiesen: und was es dank dem Mut, dem Erfindungsgeist und der bewundernswerten Genügsamkeit seiner Bevölkerung und einer unbestreitbar zielstrebigen Führung trotzdem auf den verschiedensten Gebieten erreicht hat, so in der Erneuerung und Erweiterung der Industrie, in der Ausnützung der Wasserkräfte, im Wohnungsbau, in der Bekämpfung der Bodenerosion und der Gewinnung neuen landwirtschaftlichen Bodens in größtem Ausmaß, oder auch in der Entwicklung des Unterrichtswesens und anderer kultureller Institutionen, braucht einen Vergleich mit den Fortschritten, die andere Länder unter weit günstigeren Umständen in dieser Zeit erzielt haben, nicht zu scheuen.

Noch immer ist Spaniens Lebensgrundlage die Landwirtschaft sosehr sie katastrophalen Verlusten durch anhaltende Dürre oder, wie im vergangenen Winter, durch abnorme Kälte ausgesetzt ist. Meist sehr extensiv betrieben, erfordert sie große Massen billiger Arbeitskräfte; mit der Modernisierung landwirtschaftlicher Methoden würden daher ganze Armeen von Landarbeitern auf unabsehbare Zeit arbeitslos, denn sie industriell zu beschäftigen wäre erst dann möglich, wenn die Industrie in die Lage käme, sich in großem Maßstab zu entwickeln, das heißt, gestützt auf einen kaufkräftigen Binnenmarkt mit den Industrieprodukten anderer Länder auf internationaler Ebene zu konkurrieren. Gerade das aber, eine solche Gestaltung des heimischen Marktes, ist ohne eine sehr bedeutende Erhöhung des bäuerlichen Lebensstandards und somit ohne durchgreifende Intensivierung und Modernisierung der Landwirtschaft ausgeschlossen. Solange kein Ausweg aus diesem fatalen Kreislauf von Ursache und Wirkung gefunden ist, und ein solcher ist noch nicht in Sicht, wird eine fühlbare Hebung des Nationaleinkommens und des Lebensniveaus der breiten Schichten unerreichbar bleiben.

Trotzdem wurzelt das heute in Spanien herrschende „inalaise-“, das bis in die Reihen der Falange, der Kerntruppe des Regimes, vorgedrungen ist, nicht allein und vielleicht nicht einmal vorwiegend in der wirtschaftlich bedrängten Lage. Es hat seine tiefste Ursache in der wachsenden Sterilität eines Staatsapparats, der das Wirksamwerden neuer Gedanken und die Einschaltung frischer, unverbrauchter Kräfte, von denen es in allen Schichten des spanischen Volkes so viele und so hervorragende gibt, beharrlich abwehrt, der sich jeder Kritik, so wohlgemeint und konstruktiv sie sein mag, verschließt, und dem Mitspracherecht und der aktiven Teilnahme des Volkes an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten noch immer Schranken auferlegt, die in der gefährlich verworrenen Lage der unmittelbaren Nachkriegszeit geboten sein mochten, seither aber längst eine sachliche Begründung verloren haben. Dieser bedenkliche innenpolitische Marasmus, an dessen Fortbestand manche Spitzenfunktionäre in Partei und Staat und deren geschäftstüchtige Schützlinge zweifellos ein sehr lebendiges Interesse haben, ist freilich in seinem Ursprung nicht so sehr dem Regime als solchem anzulasten, als vielmehr der Kurzsichtigkeit vieler einflußreicher Politiker und Staatsmänner anderer westlicher Nationen, die es geradezu als eine internationale Verpflichtung erachten, dem spanischen Volk den Brotkorb höher zu hängen, um auf diese Weise, wie sie zuversichtlich glaubten, dieses ihnen verhaßte Regime zu unterminieren und schließlich zu Fall zu bringen. Hätte Spanien einen auch noch so geringen Anteil gehabt an dem Milliardenstrom, den allein Amerika seic 1945 nach dem Marshall-Plan und unter anderen Titeln über den halben Erdball fließen ließ, bedenkenlos und ungescheut auch nach einer Reihe von Ländern, wie etwa dem Jugoslawien Titos oder verschiedenen südamerikanischen Republiken, deren Regierungssystem dem Begriff „demokratisch“ gewiß nicht besser entsprach als die Administration des Generals Franco, dann wäre mit einer solchen Befruchtung seiner Wirtschaft und der dementsprechenden Verminderung der oft verzweifelten Sorgen seiner Regierung um die Aufrechterhaltung einer prekären ökonomischen Balance ein freierer Zug überhaupt in das Land gekommen.

So, wie die Dinge in Spanien liegen, ist jedenfalls die Außenpolitik ein Gebiet, auf dem die Nation geschlossen hinter der Staatsführung steht. Mit dem schweren politischen und wirtschaftlichen Druck, der von den Großmächten jahrelang gegen Spanien ausgeübt wurde, mit der Fläufung beleidigender Anwürfe auch verantwortlicher Stellen an die Adresse des Generalissimus und der von ihm geführten nationalen Bewegung, und einer diplomatischen Kampagne, die mit der Erklärung der „Unwürdigkeit“ Spaniens, der UNO anzugehören, und der demonstrativen Abberufung fremder Missionschefs von ihren Posten in Madrid wahre Gipfel der Torheit erklomm, wurde genau das Gegenteil des beabsichtigten Zweckes erzielt: die feindselige Haltung des Auslandes war geradezu eine Herausforderung an das nationalstolze spanische Volk, sich um den Caudillo als den aufrechten Verteidiger der spanischen Ehre zu scharen, und immer enger in dem Maße, als seine Politik der zähen Geduld und der Unnach-giebigkeit gegenüber jeder fremden Einmischung offenkundige Früchte trug. Die Rückkehr der fremden Botschafter und Gesandten uach der spanischen Hauptstadt, die allmähliche Lockerung der verhängten Handelsbeschränkungen, der Abschluß einer spanisch-amerikanischen Militärkonvention, die die Unentbehrlichkeit der spanischen Wehrkraft für die Verteidigung des Westens unterstrich, die schließlich erfolgte Aufnahme in die UNO waren Meilensteine auf dem langen, beharrlich verfolgten Weg, der das Land aus den Niederungen eines internationalen Boykotts zu seiner heutigen Position hohen internationalen Ansehens geführt hat und noch keineswegs abgeschlossen erscheint. Allein schon das jung?'- in Madrid unterzeichnete Abkommen mit dem Sultan von Marokko eröffnet die Perspektive einer sehr bedeutsamen Ausdehnung der spanischen Einflußsphäre. Daß Spanien sich ohne unmittelbaren Zwang zur Preisgabe eines Gebietes entschlossen hat, für welches es unter Verzicht auf jeden materiellen Gewinn das Blut vieler Tausender seiner Söhne und Milliarden Goldes geopfert hatte, .wird den weiten Vorsprung vergrößern, den es durch seine traditionell verständnisvollen Beziehungen zur arabischen Welt den übrigen Mächten des Westens voraus hat. In der Erneuerung und Festigung der heute so schwer bedrohten euro-afrikanischen Gemeinschaft, deren Zukunft, wohl entscheidend sein kann für das Schicksal beider Kontinente, liegt eine Aufgabe von überragender Bedeutung, und sie zu erfüllen, sind die Spanier wie keine andere Nation prädestiniert.

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